Jüngst kündigte der einstige Getriebespezialist ZF Friedrichshafen die Streichung von bis zu 14 000 Stellen an. Auch Konkurrenten wie Bosch und Continental reduzieren in den Autosparten das Personal. Die schleppenden E-Auto-Verkäufe verschärfen die Lage der Konzerne.
Die Branche steckt in einer tiefen Transformation, ja sogar in einer Krise: Die deutschen Automobilzulieferer kündigen seit etlichen Quartalen regelmässig einen grossen Stellenabbau an. Erst am vergangenen Freitag gab der Branchenriese ZF Friedrichshafen bekannt, bis 2028 bis zu 14 000 der 54 000 Stellen in Deutschland streichen zu wollen. Weitere solcher Schocknachrichten für die Mitarbeiter dürften in dem Sektor folgen.
Bosch ist gemessen am Umsatz der grösste deutsche Automobilzulieferer, dann folgen etwa gleichauf ZF Friedrichshafen und Continental. Mit grossem Abstand kommen danach Mahle, Schaeffler, Vitesco Technologies sowie kleinere Anbieter wie Brose oder Eberspächer. Sie alle kämpfen mit der Transformation der Automobilindustrie vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb, viele bauen in diesem Prozess Arbeitsplätze in Deutschland ab. Häufig kommen jedoch auch hausgemachte Fehler hinzu.
Konzerne produzieren zunehmend im Verkaufsland
Laut einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung Horváth unter Führungskräften in der Branche rechnen 59 Prozent der Befragten in den kommenden fünf Jahren mit einer Reduzierung der Mitarbeiterzahl in Deutschland, davon 14 Prozent sogar mit einer starken Reduzierung. Dagegen gehen nur 15 Prozent von einem Personalaufbau aus. Die Zahlen für Westeuropa sehen kaum besser aus. Produziert werde zunehmend in den Regionen, in denen die Autos verkauft würden, sagte Frank Göller, der Automobilexperte bei Horváth. Dieser Trend hält schon lange an, hat sich aber nochmals verstärkt.
Die Automobilhersteller und ihre Zulieferer bauen demnach Kapazitäten in Indien, China, Osteuropa sowie weiteren asiatischen Ländern auf, ebenfalls in Nord- und Südamerika. Der Arbeitsplatzabbau geht gemäss der Horváth-Studie allerdings an Deutschland und Westeuropa vorbei.
Ein kleiner Trost ist, dass ein Viertel der Investitionen der global agierenden deutschen Autofirmen immer noch nach Deutschland fliesst. Die Konzerne verwenden die Gelder für neue Produkte, Technologien und die Umrüstung bestehender Standorte auf Elektroantriebe. Dabei wird in der Produktion jedoch stark in die Automatisierung und Digitalisierung investiert, zulasten der Beschäftigung.
Während es im Jahr 2018 in der deutschen Autozulieferer-Industrie noch 311 000 Beschäftigte gab, sind es in diesem Jahr nur noch rund 270 000. Beobachter erwarten, dass die Zahl bis zum Ende des Jahrzehnts auf rund 200 000 zurückgehen wird. Bei Fahrzeugen mit herkömmlichem Antrieb gehören der Motor, das Getriebe und die Abgasanlage inklusive der Abgasreinigung zu den Kernbauteilen. Diese fallen bei einem Elektrofahrzeug weg. Das ist ein Grund dafür, dass die Herstellung von E-Autos deutlich weniger Personal benötigt.
Enorme Investitionen für den Umbau zur E-Mobilität
Zulieferer wie Bosch, ZF und Continental haben enorm in die Transformation zur Elektromobilität investiert, das zahlt sich aber noch nicht wie erhofft aus. In der Krise stecken oft vor allem die Abteilungen für Antriebstechnologien. Bei ZF kommen milliardenschwere Übernahmen hinzu, nämlich von TRW im Jahr 2015 und Wabco 2020.
Die unter anderem daraus resultierenden 13 Milliarden Euro an Schulden lasten nun auf dem Stiftungsunternehmen vom Bodensee, das im vergangenen Jahr einen Umsatz von knapp 47 Milliarden Euro erzielte. Ferner hat ZF laut Medienberichten zuletzt Aufträge über 30 Milliarden hereingeholt, diese aber angeblich vor allem dadurch erhalten, dass nicht kostendeckend kalkuliert wurde. Auf Ende Juli muss der zuständige Vorstand für die Antriebssparte das Unternehmen verlassen, angeblich aus familiären Gründen.
Bei den Konkurrenten Bosch und Conti sollen jeweils ebenfalls 7000 Stellen abgebaut werden, und der Volkswagen-Konzern hat jüngst angekündigt, sein Werk in Brüssel zu schliessen. Letzteres gilt als ein Zeichen struktureller Probleme und ist äusserst ungewöhnlich, denn VW hat schon lange kein Werk mehr in Europa dichtgemacht, obwohl laut Branchenkennern einige nicht profitabel arbeiten sollen.
«Deutschland ist weltweit der zweitgrösste Standort zur Herstellung von E-Fahrzeugen», sagt eine Sprecherin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). «Gleichzeitig sehen wir besonders in der Zulieferindustrie, dass durch die Transformation zur Klimaneutralität und die Digitalisierung weniger Beschäftigung benötigt und nicht automatisch woanders aufgebaut wird.» In einer VDA-Umfrage im automobilen Mittelstand habe fast jedes zweite Unternehmen angegeben, derzeit in Deutschland die Beschäftigung abzubauen.
Konflikte zwischen Autoherstellern und Zulieferern
Die Gemengelage führt dazu, dass die Konflikte zwischen Herstellern und Zulieferern zunehmen. Während die Hersteller in der Zeit des Halbleitermangels sehr gut verdienten, weil sie die vorhandenen Chips vor allem in grosse Fahrzeuge mit hohen Margen eingebaut haben, profitierten die Zulieferer von dieser Entwicklung nicht, sondern sie mussten in Zeiten hoher Inflation die Kosten senken. Der ständige Sparzwang führt nun laut Beobachtern immer öfter zu Problemen.
Mercedes-Benz streitet mit Bosch, BMW mit Conti und Audi mit Vitesco. In Stuttgart ist das Mercedes-Management ungehalten, weil Bosch den Konzern mit dem Stern nicht ausreichend mit 48-Volt-Batterien versorgen kann, die Mercedes in vielen Verbrenner-Modellen benötigt. Bei BMW soll es Probleme mit den elektronischen Bremsen von Continental geben, weswegen der Konzern bereits Zehntausende Autos zurückrufen musste. Und Audi soll fehlerhafte Riemenstarter-Generatoren von Vitesco beklagen.
Durch den intensivierten Wettbewerb, globale Handelskonflikte, die Pandemie, den Ukraine-Krieg und die Energiekrise habe sich der Strukturwandel in der deutschen Automobilindustrie noch einmal erheblich beschleunigt, sagt Oliver Falck, Leiter des Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien beim Ifo-Institut.
Das Institut hat in Zusammenarbeit mit der Online-Jobbörse Indeed in einer Studie herausgefunden, dass sich in der Autoindustrie jene Unternehmen besser auf dem Arbeitsmarkt schlagen, die auf nachhaltige Antriebstechnologien setzen. Der Verbrenner verliere als klassische Domäne deutscher Ingenieurskunst hingegen an Bedeutung. Zugleich suchten die Unternehmen Experten für Softwareentwicklung, Infotainment und automatisiertes Fahren.
Deutschland fällt im Standortwettbewerb zurück
Zu den steigenden Kosten für Material, Personal und Energie kommt die harzende Konjunktur und der im Vergleich mit der Zeit vor Corona mässige Fahrzeugabsatz hinzu. Viele Konzerne haben stark in die Elektromobilität investiert, doch die prognostizierten Absatzzahlen für E-Autos und Fahrzeuge mit Hybridantrieb haben sich als zu optimistisch erwiesen. Das trifft Zulieferer besonders. Derzeit wirke sich der schwache Marktausblick für E-Autos negativ auf die Lage der Zulieferer aus, sagt die VDA-Sprecherin. Die Entwicklung betreffe besonders jene Zulieferer stark, die ihr Geschäftsmodell auf die E-Mobilität ausgerichtet hätten.
Hinzu komme, dass Deutschland und Europa im Standortwettbewerb immer mehr ins Hintertreffen gerieten. In der VDA-Umfrage hätten gut acht von zehn Unternehmen angegeben, geplante Investitionen in Deutschland zu verschieben, zu verlagern oder zu streichen. So plane mehr als jedes dritte Unternehmen eine Investitionsverlagerung ins Ausland, und lediglich ein Prozent der Firmen plane seine Investitionen in Deutschland angesichts der aktuellen Lage zu erhöhen. Die Unternehmen belasten unter anderem die hohen Energiepreise, eine überbordende Bürokratie sowie hohe Steuern und Abgaben.
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