Die Deutsche Bahn steht kurz vor einem Beschluss über den milliardenschweren Verkauf ihrer Logistiktochter DB Schenker. Laut einem unbestätigten Bericht soll die dänische DSV den Zuschlag erhalten.
Es geht um die grösste Privatisierung in Deutschland seit Jahren und um einen Erlös in zweistelliger Milliardenhöhe: Der Verkaufsprozess für DB Schenker, eine Tochter der Deutschen Bahn (DB), ist in eine hektische Schlussphase geraten. Am späten Mittwochabend meldete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf anonyme Regierungs- und Konzernvertreter, der Zuschlag werde an das dänische Logistikunternehmen DSV gehen. Ein Vorvertrag solle in den nächsten Tagen, voraussichtlich am Freitag, unterschrieben werden. Der Verkauf stehe noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Aufsichtsrats.
Eine Bestätigung der DB gab es jedoch nicht: Der Verkaufsprozess sei vertraulich. Zu Bietern, Details von Gesprächen oder zur Höhe von Geboten äussere man sich grundsätzlich nicht, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage.
Die Interessenten: CVC contra DSV
Schenker zählt zu den Schwergewichten der globalen Logistikbranche. Das im Landverkehr sowie in der See- und Luftfracht tätige Unternehmen hat im ersten Halbjahr 2024 mit weltweit über 70 000 Mitarbeitern einen Umsatz von 9,4 Milliarden Euro erzielt.
Im Dezember 2022 hatte der Aufsichtsrat den DB-Vorstand beauftragt, einen Verkauf zu prüfen; Ende 2023 wurde ein Bieterprozess eingeleitet. Zuletzt sind nur noch zwei Interessenten im Rennen geblieben: die Private-Equity-Gesellschaft CVC und eben DSV. Damit standen oder stehen sich zwei sehr unterschiedliche Konzepte gegenüber: DSV ist ein strategischer Investor und würde Schenker in den eigenen Konzern integrieren. CVC hingegen ist ein Finanzinvestor, der das Unternehmen fitter machen und nach drei bis fünf Jahren an die Frankfurter Börse bringen möchte. Sein Angebot wird unterstützt von den Staatsfonds von Abu Dhabi (Adia), Katar (QIA) und Singapur (GIC).
Eine Entscheidung könnte innert Tagen erfolgen, war schon vor der Reuters-Meldung aus gut informierten Kreisen zu erfahren. Beide Bieter haben laut diesen Angaben verbindliche Angebote in Höhe von rund 14 Milliarden Euro für eine vollständige Übernahme vorgelegt. Der Erlös soll in der Bahn bleiben, die eine staatliche Aktiengesellschaft ist, und dort vor allem auch dem Schuldenabbau dienen. Per Ende Juni wies der DB-Konzern Nettofinanzschulden von 33 Milliarden Euro aus.
DB verliert Cashcow
Allerdings verliert die Bahn mit dem Verkauf von Schenker auch ein finanzielles Kronjuwel, das mit seinen Gewinnen immer wieder die Verluste anderer Konzernsparten zumindest teilweise zu kompensieren vermochte. So hat DB Schenker im ersten Halbjahr einen Betriebsgewinn (bereinigter Ebit) von 520 Millionen Euro erzielt, während der Gesamtkonzern einen Betriebsverlust von 677 Millionen Euro und einen Verlust nach Steuern von 1,2 Milliarden Euro verbuchen musste.
Vor diesem Hintergrund geht es dem Staat als Eigentümer beim Verkauf zum einen um eine Konzentration der DB auf das marode Kerngeschäft, den Bahnbetrieb in Deutschland. Zum andern peilt er aber einen möglichst hohen Mittelzufluss bei Abschluss der Transaktion an. Der Schuldenabbau soll auch verhindern, dass Rating-Agenturen nach der Trennung von Schenker die Bonitätsbewertung der DB herunterstufen und damit die Aufnahme von Fremdkapital verteuern.
Während sich die beiden erwähnten Offerten in der Grössenordnung gleichen, unterscheiden sie sich nicht nur in der Strategie, sondern auch in den finanziellen Details. So will DSV den gesamten Kaufpreis mit dem Abschluss der Transaktion (Closing) überweisen. CVC hingegen will eine Milliarde vorerst zurückhalten und deren Zahlung an die Erreichung des von Schenker selbst formulierten Businessplans knüpfen. Dieser Unterschied könnte für DSV sprechen.
Brief an den Bahnchef
Zusätzlich zum Angebot einer 100-prozentigen Übernahme hat CVC im Sinne einer Nachbesserung indessen ein modifiziertes Angebot vorgelegt, das eine sogenannte Rückbeteiligung vorsieht: In dieser Variante könnte die Bahn mit einer Investition von rund einer Milliarde Euro mit bis zu 24,9 Prozent an Schenker beteiligt bleiben und später (beim Börsengang) daraus einen Erlös von 2 bis 2,5 Milliarden Euro erzielen. Der Gesamterlös aus dem Verkauf würde damit bis zu 16 Milliarden Euro betragen, argumentierte der Finanzinvestor.
CVC sah möglicherweise seine Felle bereits in den letzten Tagen davon schwimmen. Jedenfalls wies der Finanzinvestor in zwei identischen Schreiben an den DB-Chef Richard Lutz und an Werner Gatzer, Aufsichtsratschef der DB und ehemaliger Finanzstaatssekretär, explizit auf dieses modifizierte Angebot hin. Die Briefe sind an verschiedene Medien gesickert und liegen auch der NZZ vor. Zwischen den Zeilen geht daraus hervor, dass sich der Finanzinvestor im Entscheidungsprozess benachteiligt sieht.
Man lasse den Adressaten die Eckpunkte der Offerte direkt zukommen, «da unser vollständiges Angebot unserer Kenntnis nach im zuständigen Lenkungsausschuss weder detailliert vorgestellt noch diskutiert wurde», schrieb CVC unter anderem. Angesichts der enormen wirtschaftlichen und standortpolitischen Bedeutung des Verkaufs sei es wichtig, dass der Prozess das wirtschaftlich beste Angebot für Bahn und Bund berücksichtige und keine Vorfestlegungen getroffen würden.
Auch hierzu teilte die DB am Mittwochnachmittag auf Anfrage mit, dass der Verkaufsprozess vertraulich sei. «Wichtigstes Kriterium bleibt, dass ein Verkauf für die Bahn wirtschaftlich vorteilhaft sein muss», fügte eine Konzernsprecherin hinzu.
Sorge um Arbeitsplätze
Unterstützung erhielt CVC von ungewohnter Seite: den Arbeitnehmervertretern. Am Mittwochmittag fanden auf Aufforderung des Gesamtbetriebsrats 15-minütige Mahnwachen vor Geschäftsstellen von Schenker in mehreren deutschen Städten statt. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi unterstützte die Aktion, die ein Zeichen für den Erhalt der Arbeitsplätze setzen sollte.
In einem internen Schreiben, über das mehrere Medien berichtet haben, hatte sich Verdi explizit für CVC als Käufer ausgesprochen. Dass die Gewerkschaft einen Finanzinvestor unterstützt, einen Vertreter jener Zunft, die sonst gerne als «Heuschrecke» verschrien wird, liegt an der Sorge um die Arbeitsplätze. Vor allem in der Konzernzentrale und in sich überlappenden Geschäftsbereichen könnte es zu einem massiven Abbau von Stellen kommen, wenn DSV zum Zuge käme und durch die Integration von Schenker Synergien nutzen wolle, fürchteten die Gewerkschafter.
Zugleich hofften sie, dass bei einem Zuschlag an CVC viel weniger Stellen verlorengehen würden, weil Schenker selbständig bliebe und weiterhin zum Beispiel eine Konzernzentrale in Deutschland brauchte. Verfechter des CVC-Angebots verweisen zur Illustration auf die 2019 vereinbarte Übernahme des Schweizer Logistikunternehmens Panalpina durch DSV. Auch danach seien viele Stellen verlorengegangen.
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