Mittwoch, Oktober 9

Kanzler Olaf Scholz will die Hilfen für Kiew zurückfahren, doch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer warnt die deutsche Koalition vor einem schweren und teuren Fehler.

Was für die Küche gilt, trifft auch auf das deutsche Kabinett zu: Es wird nichts so heiss gegessen, wie es gekocht wird. Das zeigt sich in der neuerlichen Debatte, die über die Finanzhilfen für die kriegsgeplagte Ukraine geführt wird. Am Wochenende wurde bekannt, dass die Regierung plant, ihre Unterstützung für das Land im laufenden Jahr zu deckeln und 2025 dann um fast die Hälfte der Summe einzukürzen.

Jetzt könnte die Rolle rückwärts folgen. Das Finanzministerium deutet an, dass die Finanzspritzen doch grösser ausfallen werden, als zuvor angekündigt. Das Ministerium sei grundsätzlich bereit, die Bereitstellung weiterer Mittel zu prüfen. Der zusätzliche Bedarf müsse dafür aber konkret gemeldet und nachvollziehbar sein, um allen haushaltsrechtlichen Regeln zu entsprechen, teilte ein Sprecher mit.

Die Bundesregierung vollzieht damit einen deutlichen Wechsel in ihrer Kommunikation. Denn in einem Brief hatte Finanzminister Christian Lindner seinen Kabinettskollegen Boris Pistorius zuvor noch mit sehr deutlichen Worten darauf hingewiesen, dass der Ukraine 2024 keine weiteren Hilfszahlungen mehr bewilligt werden würden, die über die bereits zugestandenen Finanzhilfen hinausgehen. Darüber berichtet die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» am Wochenende.

Damit nicht genug, das Hilfsbudget im kommenden Jahr sollte sogar deutlich zusammengekürzt werden. Angesichts der angespannten deutschen Haushaltslage sind noch 4 Milliarden Euro als Kriegsunterstützung für das von Russland überfallene Land vorgesehen – nach 7,5 Milliarden Euro im laufenden Jahr. In den folgenden Jahren soll diese Summe dann noch weiter schrumpfen.

Stattdessen setzt die deutsche Regierung darauf, dass die Ukraine ihre Verteidigungsausgaben künftig aus anderen Quellen finanziert. So arbeiten die führenden Industrienationen, die sogenannten G-7-Länder, aktuell daran, der Ukraine einen Hilfskredit mit einem Volumen von 50 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Abgesichert werden soll das Darlehen mit Zinserträgen, die aus vom Westen eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank stammen.

Wirtschaftsweise Schnitzer warnt vor Kostenexplosion

Die Ökonomin Monika Schnitzer hält das zwar grundsätzlich für einen richtigen Ansatz. Allerdings sei die Einigung darüber noch längst nicht in trockenen Tüchern, warnt die Vorsitzende der «Wirtschaftsweisen», einem Gremium, das die Bundesregierung in ökonomischen Fragen berät. «Eine solche Konstruktion muss rechtssicher erarbeitet werden. Das ist alles andere als trivial und braucht seine Zeit», sagte Schnitzer der NZZ.

Die deutsche Regierung dürfe deshalb nicht ihre Verantwortung einfach auf die internationale Ebene abschieben, sondern müsse stattdessen sicherstellen, dass Kiew auch in der Zwischenzeit alle notwendige Unterstützung bekommt, die das Land in seinem Kampf mit Russland benötige.

Letztlich würde die Regierung mit einer Kürzung der Hilfsmittel ein «fatales Signal» an Russland senden. Denn Moskau könne zur Auffassung gelangen, dass Deutschland und damit Europa nicht länger bereit ist, alles zu unternehmen, um die Ukraine in ihrem Überlebenskampf zu unterstützen. Kiew wiederum sei darauf angewiesen, sich auf seine europäischen Partner verlassen zu können: Munition und Kampfgeräte müssen mit Vorlauf bestellt werden, andernfalls könnten diese nicht rechtzeitig geliefert werden. «Die Entscheidung der deutschen Koalition gefährdet damit unnötig den militärischen Erfolg der Ukraine», sagte Schnitzer, «Damit wird auch die europäische Sicherheit insgesamt gefährdet.»

Auch für Deutschland selbst könnte sich eine Kürzung der Hilfsmittel noch als teurer Fehler herausstellen, glaubt die Ökonomin. «Schon heute muss der deutsche Staat viel Geld für die Versorgung ukrainischer Flüchtlinge aufwenden. Sollte Russland weitere Gebietsgewinne erzielen oder die Ukraine, im schlimmsten Fall, sogar fallen, würde sich die Flüchtlingskrise in Deutschland noch zuspitzen.» Das würde zu einem deutlichen Anstieg der Kosten auch für den deutschen Staat führen. «Die Bundesregierung mag mit ihrem Plan deshalb jetzt kurzfristig sparen – die Kosten könnten langfristig aber dadurch noch deutlich höher ausfallen.»

Druck auf Kanzler Scholz steigt

Mit ihrer Warnung steht Schnitzer nicht alleine da. Zuvor hatten sich bereits Stimmen aus der Opposition und sogar aus den Reihen der Regierungskoalition kritisch zu den Kürzungsplänen der Bundesregierung geäussert. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sah sich dazu veranlasst, sich in die aktuelle Debatte einzuschalten – was ein ungewöhnlicher Vorgang für den deutschen Präsidenten ist, der Äusserungen zum politischen Tagesgeschehen für gewöhnlich meidet.

Er erwarte, sagte Steinmeier am Rande einer Dienstreise in die ungarische Stadt Sopron, dass Deutschland der grösste europäische Unterstützer der Ukraine bleibe.

Vermutlich hat Kanzler Olaf Scholz also schlichtweg den öffentlichen Widerspruch unterschätzt, der auf die Ankündigung folgte, die Mittel für die Ukraine-Hilfen zu kürzen. In einem Interview mit dem TV-Sender Sat1 bemühte sich der Sozialdemokrat deshalb, Zweifel am deutschen Engagement zu zerstreuen. Das Versprechen Deutschlands, die Ukraine zu unterstützen, wackele «überhaupt nicht», sagte er dem Sender.

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