Der Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele in Russland war lange ein Streitpunkt zwischen der Ukraine und ihren Partnern. In der Offensive auf russischem Gebiet sieht Washington aber keinen Verstoss gegen die vereinbarten Beschränkungen.
In der russischen Grenzregion Kursk dauern die Kämpfe auch am vierten Tag nach dem überraschenden Einfall ukrainischer Truppen unvermindert an. Die russischen Streitkräfte, die sich auf eigenem Territorium in der ungewohnten Rolle des Verteidigers wiederfinden, fügen den Ukrainern laut eigenen Angaben zwar empfindliche Verluste zu. Den Überraschungsangriff zurückzuschlagen, ist ihnen bisher aber nicht gelungen.
Am Freitagmorgen teilte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau mit, dass ukrainische Truppen bis an den Rand der Kleinstadt Sudscha vorgedrungen seien. Das Katastrophenschutzministerium verschärfte den bereits tags zuvor ausgerufenen Notstand in der Region.
Die ukrainische Seite äussert sich weiterhin kaum zur Offensive. Am Donnerstag hatte ein Berater von Präsident Wolodimir Selenski jedoch gegenüber der «Washington Post» erklärt, dass die ukrainische Armee Hunderte von russischen Soldaten gefangen genommen habe.
Angriff auf Truppentransport
Beim ukrainischen Vorstoss kommt auch westliches Militärgerät zum Einsatz. Dies wirft ein Schlaglicht auf die Debatte um deren Verwendung gegen Ziele in Russland. Am Freitagmorgen tauchten Bilder einer Kolonne von insgesamt vierzehn russischen Truppentransportern auf, die in der Region Kursk zerstört wurden. Jedes der Fahrzeuge kann etwa drei Dutzend Soldaten transportieren. Der Angriff soll durch einen amerikanischen Raketenwerfer des Typs Himars ausgeführt worden sein.
Die Kolonne wurde auf der Strasse in Richtung der Kleinstadt Rylsk zerstört, zu der ein Teil der ukrainischen Verbände vorzustossen versucht. Die russischen Soldaten wurden vermutlich zur Verstärkung ins Kampfgebiet geschickt. Wie viele Opfer der Angriff gefordert hat und welches Waffensystem tatsächlich zum Einsatz kam, lässt sich allerdings nicht unabhängig überprüfen.
Deutsche Marder und amerikanische Stryker
Bereits davor kursierten Aufnahmen von amerikanischen und deutschen Schützenpanzern der Typen Stryker und Marder, die an der Offensive in Kursk beteiligt sein sollen. Ohne die Präsenz amerikanischer Militärtechnik auf russischem Boden explizit zu bestätigen, erklärte eine Sprecherin des State Department am Donnerstag, dass ein solcher Einsatz im Einklang mit den Bedingungen der amerikanischen Waffenhilfe stehe. Die Ukraine unternehme Schritte, um sich gegen Angriffe zu schützen, die von russischem Territorium ausgingen.
Auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags, Marcus Faber von der FDP, sieht im Einsatz deutscher Waffen auf russischem Gebiet kein Problem, wie er gegenüber der Funke-Mediengruppe erklärte. Bisher wollte Berlin allerdings nicht kommentieren, ob dies der offiziellen Regierungsposition entspreche und ob Kiew im Vorfeld der Offensive mit Deutschland Rücksprache gehalten habe.
Einsatz weitreichender Raketen bleibt tabu
Das Einsatzgebiet westlicher Waffen war während Monaten ein Streitpunkt zwischen der Ukraine und ihren Partnern. Dass die Ukraine gemäss dem humanitären Völkerrecht berechtigt ist, auch in Russland militärische Ziele anzugreifen, ist unbestritten. Als die beiden wichtigsten Bedenkenträger begründeten Washington und Berlin die Zurückhaltung vor allem mit der Sorge vor einer weiteren Eskalation, die zu einer direkten Konfrontation zwischen der Nato und Russland führen könnte.
Erst nach der russischen Offensive gegen Charkiw diesen Mai revidierten die USA und Deutschland ihre Haltung. Russland hatte während Wochen in Grenznähe Truppen zusammengezogen und den Angriff vorbereitet. Den ukrainischen Verteidigern waren aber die Hände gebunden, bis die russischen Soldaten tatsächlich die Grenze überschritten.
Seither gilt die Weisung, dass westliche Technik auf russischem Boden eingesetzt werden darf, wenn unmittelbar ein Angriff droht. Die ukrainischen Aktionen in der Region Kursk deuten auf eine gewisse Grosszügigkeit bei der Auslegung dieser Vorgaben hin.
Auch die anfängliche Einschränkung auf das Grenzgebiet von Charkiw gilt offensichtlich nicht mehr. Weiterhin nicht erlaubt ist jedoch der Einsatz von Waffen mit grosser Reichweite, wie Atacms-Raketen, für Ziele tief im russischen Hinterland. Dies unterstrich das amerikanische Aussenministerium am Donnerstag erneut.
Wie so oft in diesem Krieg erscheint allerdings auch diese rote Linie einigermassen künstlich und nicht in Stein gemeisselt. Moskaus Reaktion auf die – bis vor kurzem als undenkbar dargestellte – ukrainische Offensive auf russischem Boden verstärkt diesen Eindruck. Tatsächlich ist das Eskalationspotenzial Russlands, das bereits mit einer halben Million Mann Krieg führt, abgesehen von der nuklearen Option beschränkt.
Drohnenangriff hinter der Front
Der Ukraine gelingt es mitunter aber auch mit eigener Waffentechnik, weit hinter der Frontlinie zuzuschlagen. In der Nacht auf Freitag löste ein Drohnenangriff am Militärflughafen von Lipezk eine Explosion in einem Munitionslager aus. Dabei soll eine grössere Zahl von Gleitbomben des Typs KAB-500 zerstört worden sein. Lipezk befindet sich fast 300 Kilometer vom ukrainischen Staatsgebiet entfernt. Bereits am vergangenen Wochenende hatten die Ukrainer mit einem Drohnenangriff bei Morosowsk in Südrussland das Munitionsdepot eines anderen Militärflughafens zerstört.

