Freitag, Oktober 11

Zwei Drittel des Gewinns stammen inzwischen aus den USA, wo die Deutschen die Konkurrenz deklassiert haben. Sie stehen nicht nur beim Börsenwert der US-Tochter vorn, sondern auch bei der Profitabilität. Die soeben verkündeten Ziele bis 2027 und die moderate Bewertung machen die Aktien zum Kauf.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Am Donnerstag nutzte Investor Hendrik Leber den Monatsbrief seiner Fondsgesellschaft Acatis, um von den Herbstkonferenzen der Investmentbanken zu berichten, bei denen Unternehmenschefs und Finanzchefs der Unternehmen ihre Strategie vor Analysten und Grossanlegern präsentieren. «Das Interesse ausländischer Investoren an deutschen Firmen ist nicht sehr hoch», lautet eine Erkenntnis. Die deutschen Banken seien nur noch europäisches Mittelmass, die Autoindustrie kämpfe mit unklaren politischen Vorgaben, Wettbewerbern aus China und teuren Restrukturierungsmassnahmen, die Chemie leide unter den hohen Energiekosten.

Dann kommt Leber zu den Lichtblicken: «Die deutschen Rückversicherungen sind immer noch Weltspitze.» Nebenbei: Am Donnerstag profitierten sie von einer Erleichterungsrally, weil Hurrikan «Milton» wohl weniger Schaden angerichtet hat als befürchtet. Als Nächstes zählt der Fondsmanager die grössten Kursgewinner des Jahres im Dax auf: Siemens Energy (nach langen schwierigen Jahren), Rheinmetall und MTU, die von einer Sondernachfrage aufgrund des Ukraine-Konflikts profitieren, die Commerzbank (sie wird übernommen) und SAP als «einziger deutscher Weltstar der letzten dreissig Jahre». Für weitere aussichtsreiche Investmentchancen empfiehlt er einen Blick auf eher unbekannte deutsche Firmen aus der zweiten Reihe.

Deutsche Telekom: unterschätzte Erfolgsgeschichte

Einen Langfristgewinner aus der ersten Reihe nennt Leber jedoch nicht: die Deutsche Telekom. Sie hat in den zurückliegenden Jahren die Konkurrenz in Europa und in den USA geradezu deklassiert.

Eindrucksvoll ist auch der Einzelvergleich mit den Wettbewerbern beiderseits der Atlantiks anhand der Marktkapitalisierung. Den beachtlichen Zuwachs seines Börsenwerts präsentierte der Bonner Konzern während des zweitägigen Kapitalmarkttreffens für Analysten, das er alle drei bis vier Jahre veranstaltet.

Aufstieg zum grössten US-Telekommunikationskonzern

Der Vergleich mit den US-Wettbewerbern ist angemessen. Zwei Drittel des Ebitda der Deutschen Telekom dürften 2024 aus den USA kommen (durch die Tochter T-Mobile US), ein Viertel aus Deutschland und der Rest aus anderen europäischen Staaten, schätzt die UBS.

Vor den Analysten und Investoren konnten CEO Tim Höttges und Finanzchef Christian Illek am Donnerstag verkünden, dass sie fast alle im Jahr 2021 avisierten Mittelfristziele für 2024 erreicht haben. Den Ebitda steigerten sie um fast 7% per annum, besser als die versprochenen 5 bis 6% . Bis 2027 sollen es nun 4 bis 6% pro Jahr sein. Die breitere Spanne der Prognose ist eher der für Illek typischen Vorsicht geschuldet als absehbaren Schwierigkeiten.

Bis 2027 will das Duo an der Telekom-Spitze einen Cash-Puffer von 15 Mrd. € aufbauen. Der könne dann genutzt werden für die Erhöhung des Anteils an der hoch profitablen und kräftig wachsenden Tochter T-Mobile US von derzeit gut 50% auf «den oberen 50er-Bereich», was Höttges als Wunschniveau beschrieb. Weitere Möglichkeiten sind Aktienrückkäufe zusätzlich zu den bereits angekündigten im Volumen von 2 Mrd. € bis 2027, Übernahmen oder auch ein Schuldenabbau, wobei Schatzmeister Illek bereits zu Jahresende das Zielniveau erreicht haben will mit Nettoschulden beim 2,75-Fachen des Ebitda.

Besonders das Investment in T-Mobile US und die Übernahme des US-Rivalen Sprint machten sich für die Deutsche Telekom bezahlt. Die knappe Mehrheitsbeteiligung an T-Mobile US hat seit Mai 2021 eine Wertsteigerung von 48 Mrd. € für den deutschen Konzern gebracht.

Konzernbürokratie soll dank KI schrumpfen

Ausserdem versprechen Höttges und Illek, die Kosten bis 2027 um 1,5 Mrd. € zu senken. 700 Mio. € davon sollen von Effizienzgewinnen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz kommen, zum Beispiel im Kundenservice durch immer bessere Chatbots (die Angestellte der Telekom bei Kundengesprächen ersetzen) oder in der Verwaltung, etwa durch das schnellere Abfassen von Verträgen in der Rechtsabteilung.

Höttges zeigte sich erstaunt über die aktuelle Debatte unter Ökonomen und Investoren, ob die hohen Investitionen in künstliche Intelligenz zu ausreichend grossen Produktivitätsgewinnen und neuen Geschäftsmöglichkeiten führen würdne. «Wir haben einen positiven Business Case für KI und haben bereits Vorteile in unseren Plan eingerechnet, in Geld», sagte er. Schon jetzt liegt die Ebitda-Marge der Deutschen Telekom deutlich über dem US-Branchendurchschnitt.

Die Telekom habe finanziell noch nie so komfortabel dagestanden, sagte Höttges nach der Präsentation dieser Zahlen. Er kündigt an, 21% des Umsatzes zu investieren, vor allem in Infrastruktur wie die Netze und zu einem kleineren Teil in Lizenzen für Mobilfunkspektrum. Der Kapitalmarkt honoriere die hohen Investitionen inzwischen. Höttges Begründung dafür: Die besten 5G- und Glasfaser-Netze würden Kunden anziehen, was höhere Einnahmen generiere und wiederum Investitionen ermögliche; ebenso finanzierbar würden so die auf 90 Cent pro Aktie erhöhte Dividende und die Aktienrückkäufe.

«Wir sind in der Lage, 60 Mrd. € zusätzlichen Wert zu kreieren, an zusätzlicher Marktkapitalisierung», kündigt Höttges für die Jahre bis Ende 2027 an. Der bereinigte Gewinn pro Aktie soll auf 2.50 € steigen. Bei Bloomberg erfasste Analysten erwarten bislang 2.37 €. Im vergangenen Geschäftsjahr lag die Kennziffer bei nur 1.60 €., für 2024 werden 1.75 € angestrebt. Der Gewinn pro Aktie soll bis 2027 also um 50% zulegen, deutlich stärker als das Ebitda. Das liegt auch am Effekt der Aktienrückkäufe, durch die sich der Gewinn pro Aktie verdichtet.

Im Januar hatte The Market darauf hingewiesen, dass das Wachstum in den USA nachlasse und der Wettbewerb zunehme. AT&T und Verizon hatten wir angesichts der US-Lastigkeit und aufgrund der Bewertung als attraktive Anlagealternativen zur Deutschen Telekom bezeichnet. Doch auch die Aktie der Deutschen Telekom wirkt aus heutiger Sicht attraktiv. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von 14 für die kommenden zwölf Monate ist moderat. Die Dividendenrendite für 2024 beträgt mehr als 3%, und bis 2026 dürfte die Barausschüttung weiter steigen. Die Ausschüttung ist komfortabel abgesichert durch den starken Free Cashflow des Unternehmens. Dazu kommen Aktienrückkäufe von 2 Mrd. € oder mehr.

Die Deutsche Telekom steht auf Rang 5 im Dax gemessen am Kursmomentum, wie die jüngste Auswertung der Relativen Stärke nach Levy (RSI) von The Market gezeigt. Bei den Titeln haben Anleger derzeit also den Markt auf ihrer Seite.

Für die Deutsche Telekom spricht ausserdem die Qualität des Managements. Höttges hat mit seiner Strategie Wert für die Anleger geschaffen. Illek ist seit Jahren der Finanzchef im Dax, der am transparentesten über die Unternehmenszahlen informiert, wie die Untersuchung von Ökonom Henning Zülch an der HHL für das «Manager Magazin» 2024 erneut bestätigte. Es wäre untypisch, wenn die beiden mit ihren neuen Mittelfristzielen mehr versprechen würden, als sie am Ende liefern können. Im Gegenteil: Es gibt Potenzial für weitere Aktienrückkäufe, die den Gewinn pro Aktie noch höher hebeln dürften, und für ein Wachstum des Ebitda von mehr als 6%. Von The Market nach dem Grund für die Differenz zwischen dem 7%-Wachstum des Ebitda per annum im vorigen Prognosezeitraum und dem nun niedrigeren Zielkorridor von 4 bis 6% gefragt, sagte Höttges: «Hoffentlich können wir sogar ein bisschen mehr erreichen, schöner wär’s.»

Bei allem Lob für das Führungsduo: Das Geschäft mit Mobilfunk und Internetzugang ist auch deutlich planbarer als die Entwicklung in vielen anderen Sektoren. Diese Resilienz könnte für Anleger gerade derzeit attraktiv werden, denn eine Rezession in den USA ist infolge der starken Zinserhöhungen seit 2022 noch immer nicht ausgeschlossen.

Das solide Management und das krisenfeste Geschäft mit den plausibel wirkenden Wachstumsplänen machen die Deutsche Telekom bei der derzeit moderaten Bewertung zu einem attraktiven Investment.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Mark Böschen

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