Wieder einmal debattiert Deutschland im Bundestagswahlkampf über die Schuldenbremse. Nötig wäre stattdessen eine ehrliche Diskussion über Prioritäten im Staatshaushalt und Strukturreformen, die das Land auf den Wachstumspfad zurückführen.
Sie lesen einen Auszug aus dem Newsletter «Der andere Blick am Abend», heute von René Höltschi, Wirtschaftskorrespondent Deutschland. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Auch wenn das Thema derzeit von der Migrationsdebatte verdrängt wird: Bei der Bundestagswahl am 23. Februar geht es vor allem auch um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands. Wer immer die nächste Koalition bilden wird, steht vor der Herausforderung einer seit 2019 anhaltenden Stagnation und einer sinkenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
Geld für Bahn und Heer
Deutschland wäre nicht Deutschland, würde dabei nicht die alte Debatte über die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse neu aufgekocht. Ähnlich wie in der Schweiz setzt diese der Neuverschuldung des Staats relativ enge Grenzen, verbunden mit Ausnahmen für Notlagen.
Der Streit um ihre Anwendung hat zum Bruch der Ampelkoalition beigetragen, und in den Wahlprogrammen ist eine Links-rechts-Spaltung zu erkennen: Parteien links der Mitte, darunter SPD und Grüne, fordern Reformen der Schuldenbremse, jene rechts davon, also CDU/CSU, FDP und AfD, wollen an ihr festhalten. Dabei wackeln die konservativen Unionsparteien, es gibt dort unterschiedliche Signale zum Thema.
Auf den ersten Blick hat das Reformlager valable Argumente. Deutschland hat in Bereichen wie Infrastruktur und Verteidigung enormen Nachholbedarf. Wer Bahn und Brücken sanieren, die Energieinfrastruktur ausbauen und die Bundeswehr auf Vordermann bringen will, muss dafür in den nächsten Jahren Hunderte von Milliarden Euro aufwenden. Auch manche Ökonomen plädieren deshalb für Korrekturen.
Steter Tropfen höhlt den Stein: Genoss die Schuldenbremse lange Zeit in der Bevölkerung grossen Rückhalt, ergab eine im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Januar durchgeführte Forsa-Umfrage erstmals eine Mehrheit für Änderungen: 55 Prozent der Befragten sprachen sich für eine Anpassung oder gar Abschaffung der Schuldenbremse aus.
Auf dem Buckel der Jungen
Nur: Auch zusätzliche Schulden für sinnvolle Investitionen belasten die Steuerzahler in der Gegenwart mit Zinslasten und müssen in Zukunft irgendwann zurückbezahlt werden. Der demografische Wandel erhöht aber mit steigenden Sozialausgaben und einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung ohnehin schon den Druck auf künftige Generationen.
Bürdet man ihnen auch noch eine signifikante Erhöhung der Verschuldung auf, werden die Generationengerechtigkeit und die Nachhaltigkeit der Finanzen erst recht verletzt. Belässt man es hingegen bei kleineren Reformen der Schuldenbremse, würde dies nur wenig zur Finanzierung des erwähnten Investitionsbedarfs beitragen.
Auch ein zeitlich befristetes «Sondervermögen», also zusätzliche Kreditaufnahmen für Infrastrukturinvestitionen ausserhalb der Schuldenbremse, würde das Problem kaum lösen. Erhalt und Ausbau von Schienen und Brücken sind Daueraufgaben, ein in Jahrzehnten entstandener Rückstau lässt sich nicht von jetzt auf gleich beheben. Selbst wenn es Geld vom Himmel regnete, sind die nötigen Kapazitäten der Bauwirtschaft und die Heerscharen an zusätzlichen Gleisarbeitern kurzfristig nicht aufzutreiben.
Was es wirklich braucht
Viel wichtiger wäre im Wahlkampf eine Debatte über Strukturreformen, die Deutschland wieder auf einen Wachstumspfad führen. Dazu zählen Reformen der Sozialwerke und des Steuersystems, der Abbau von Bürokratie und Subventionen sowie Umschichtungen und Priorisierungen im Staatshaushalt.
Zu Letztgenanntem zwingt die Schuldenbremse. Und genau davor schrecken Politiker zurück. Während SPD und Grüne offen für den vermeintlichen Ausweg über Schulden plädieren, meiden selbst Union und FDP zum Beispiel das Thema Renteneintrittsalter.
Wer aber solche Diskussionen jetzt nicht führt und die Wähler im Glauben wiegt, es werde ohne Einschnitte in Pfründen und Privilegien gehen oder Einsparungen beim Bürgergeld würden alle Finanznöte beheben, wird es nach den Wahlen schwer haben, eine echte Wende durchzusetzen. Darin liegt der eigentliche Schaden der Schuldendebatte.
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