Montag, November 25

Mechatroniker, Busfahrer, Pflegerinnen: Der Bedarf an Arbeitskräften in Deutschland ist gross. Einen Teil will Berlin durch die Anwerbung von Fachkräften in Indien decken. Die Sprache bleibt aber eine Hürde, wie ein Besuch des Arbeitsministers in Delhi zeigt.

Deutsch ist gefragt bei jungen Indern. In mehreren Regionen Indiens laufen derzeit Programme an, die jungen Arbeitskräften die nötigen Sprachkenntnisse für den deutschen Arbeitsmarkt vermitteln sollen. Auch an einer Schule in Delhi ist ein Pilotprojekt gestartet, bei dem die Mädchen und Knaben Deutsch lernen, damit sie nächstes Jahr eine Lehre bei einer Firma in Deutschland beginnen können. Dort werden Lehrlinge händeringend gesucht. In der Pilotphase gibt es nur 30 Plätze, doch später sollen weitere Schulen hinzukommen.

Von einer Win-win-win-Situation spricht der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil, als er am Donnerstag das Pilotprojekt an der Schule im Osten der indischen Hauptstadt besucht: für Indien als Herkunftsland, für Deutschland als Empfängerland und für die jungen Leute, die ein Handwerk in Deutschland lernen können. Mit seiner alternden Bevölkerung sei es für Deutschland enorm wichtig, Fachkräfte zu gewinnen, betont Heil im Gespräch mit den Schülern.

Der SPD-Politiker ist mit Kanzler Olaf Scholz und anderen Ministern angereist, um an den deutsch-indischen Regierungskonsultationen teilzunehmen. Ein Schwerpunkt der Gespräche ist die Anwerbung von Fachkräften. Vor zwei Jahren haben Scholz und sein Amtskollege Narendra Modi bereits ein Migrationsabkommen geschlossen, das indischen Staatsbürgern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern soll. Nun soll über die Umsetzung gesprochen werden.

Für Indiens Regierung ist die hohe Arbeitslosigkeit brisant

Mehr als 400 000 Arbeitskräfte braucht die deutsche Wirtschaft im Jahr. Indien wiederum hat eine sehr junge Bevölkerung, jedoch viel zu wenige Stellen für die Millionen Arbeitskräfte, die jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt streben. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, gerade unter jungen Leuten. Auch Uni-Absolventen haben es schwer, eine geeignete Stelle zu finden. Politisch ist das brisant und gilt mit als ein Grund für das schlechte Abschneiden der Partei von Premierminister Narendra Modi bei den Parlamentswahlen im Juni.

Indiens Regierung hat daher ein Interesse daran, dass junge Inder zum Arbeiten ins Ausland gehen. Dies reduziert den Druck auf dem heimischen Arbeitsmarkt, zudem sind die Arbeitsmigranten eine wichtige Quelle von Devisen. Heute zählt die indische Diaspora 18,7 Millionen Menschen, rund sechs Millionen von ihnen leben in den Golfstaaten. Im Jahr 2023 überwiesen sie 120 Milliarden Dollar an ihre Familien in der Heimat, was 3,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts entsprach.

In den vergangenen Jahrzehnten strebten Hausangestellte und Bauarbeiter meist an den Persischen Golf, während Ingenieure, Programmierer und andere Hochqualifizierte vor allem nach Kanada, Australien und in die USA gingen. In jüngster Zeit hat neben diesen traditionellen Migrationszielen aber Europa an Attraktivität gewonnen. So ist die Zahl der Inder in Deutschland von 39 000 im Jahr 2004 auf 246 000 im vergangenen Jahr gestiegen, unter ihnen 50 000 Studierende.

Die Inder in Deutschland sind hoch gebildet und verdienen gut

Der Grossteil der Inder im Land sind bis jetzt IT-Fachleute, Ingenieure und andere Uni-Absolventen. Die indische Diaspora gehört daher zu den Migrantengruppen in Deutschland mit dem höchsten Bildungs- und Einkommensniveau. In Zukunft dürfte sich dies aber verändern. Denn Deutschland wirbt nun auch um Busfahrer, Pflegerinnen und Mechatroniker für die Automobilindustrie. Noch stehen die Anwerbeprogramme erst am Anfang, und damit sie Erfolg haben, sind einige Herausforderungen zu meistern – für beide Seiten.

Bei dem Treffen mit Heil nutzen die Jugendlichen die Chance, dem Minister kritische Fragen zu stellen – zur Gesundheitsversorgung, zur Bezahlung und zur Höhe der Steuern. Die Mutter eines Mädchens erkundigt sich besorgt nach der Sicherheitslage, ein Junge nach der Unterbringung. Die meisten Schüler stammen aus einfachen Verhältnissen, die wenigsten Eltern haben Auslandserfahrung. Viele zögern, ihre Kinder in ein fernes, fremdes Land zu schicken.

Heil erkundigt sich seinerseits, ob die Jugendlichen nicht fürchteten, in Deutschland Heimweh zu haben. Nicht nur das Klima ist völlig anders, auch die Küche und die Kultur. Heil betont wiederholt, wie wichtig es sei, dass die Firmen die Lehrlinge bei der Integration unterstützten. Ohne Hilfe haben sie auf dem umkämpften deutschen Wohnungsmarkt kaum eine Chance. Die Firmen zahlen ihren Lehrlingen daher nicht nur den Flug aus Indien, sondern stellen auch die Wohnung.

Im Gegenzug erwarten die Firmen allerdings, dass die Lehrlinge ausreichend Deutsch sprechen. Wie gross diese Hürde ist, zeigt sich an der Schule in Delhi. Viele der Schüler sprechen zwar Englisch, aber ihr Deutsch ist noch holprig. Meist wechseln sie nach wenigen Sätzen zurück auf Hindi oder Englisch. Zwar haben sie noch ein Jahr, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Bei einer so schwierigen Sprache wie Deutsch ist dies allerdings nicht viel Zeit.

Maharashtra will flächendeckend Deutschunterricht anbieten

Das Pilotprojekt in Delhi ist nur eines von mehreren Programmen, die derzeit in Indien anlaufen. Besonders ehrgeizig sind die Pläne in Maharashtra – einem Partnerland von Baden-Württemberg mit über 112 Millionen Einwohnern. Die Regierung hat dort angekündigt, in allen Bezirken des Teilstaats Deutschunterricht anzubieten. Vor den am 20. November anstehenden Regionalwahlen warb sie mit einer Plakatkampagne für die Emigration nach Deutschland.

Dort sah man sich gezwungen, den Enthusiasmus etwas zu bremsen, nachdem der Eindruck entstanden war, Deutschland sei dabei, Hunderttausende Arbeitskräfte zu rekrutieren. Deutschland hat zwar ein Interesse an Fachkräften, will aber auch die Kontrolle über die Auswahl behalten. In Berlin weiss man um die Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber der irregulären Migration. Es ist der Politik daher wichtig zu zeigen, dass die Anwerbung von Fachkräften geregelt und streng nach den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft abläuft.

Ein Grossteil der Inderinnen und Inder kommt jedoch nicht über die offiziellen Programme, sondern auf eigene Initiative. Sie nutzen dafür das grosse, etablierte Netzwerk an privaten Vermittlern, die gegen Geld Arbeitskräfte bei der Beantragung von Visa und der Vermittlung von Stellen unterstützen. Diese Migrationsindustrie ist nur unzureichend reguliert, Fälle von Betrug und Ausbeutung sind häufig. Hier die Kontrolle zu bewahren, wird eine weitere Herausforderung sein, wenn Deutschland qualifizierte und geeignete Fachkräfte gewinnen will.

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