Montag, Oktober 7

Einst galt das Land als hervorragender Standort, made in Germany war ein Qualitätsausweis. Jetzt prägen schleichende Deindustrialisierung und sinkende Wettbewerbsfähigkeit die Diskussionen. Immer mehr Unternehmen entlassen Mitarbeiter.

Lausanne, diese schön gelegene Gemeinde am Genfersee mit Blick auf die Alpen, lädt jeden zum Träumen ein. Doch einmal im Jahr, wenn die private Hochschule IMD ihren «World Competitiveness Report» veröffentlicht, interessieren nur die harten Fakten. Der Bericht dreht sich um die Wettbewerbsfähigkeit und die Standortbedingungen von knapp siebzig Ländern. Für Deutschland brachte diese Art der Zeugnisvergabe in den vergangenen Jahren meist nur eines: weitere Belege für den Abstieg als Wirtschaftsnation.

Bürokratie, Energiepreise und Infrastruktur

2024 ist das Land nochmals abgerutscht, von Platz 22 auf 24, und fiel auch in den vier Hauptkategorien weiter zurück: der Wirtschaftsleistung, der Infrastruktur, der Regierungs- und der Unternehmenseffizienz. Vor zehn Jahren belegte Deutschland noch Platz 6, nun liegt das Land hinter Staaten wie China, Saudiarabien, Belgien oder Bahrain. Besonders schwach ist Deutschland, wenn es darum geht, flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Venezuela ist ähnlich schlecht.

Die Studie ist nur ein Beleg für den Niedergang der deutschen Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmer und Manager klagen nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand über die seit vielen Jahren verfehlte Regierungspolitik, und vom Ifo-Institut befragte Ökonomen vergaben im Mai die Note 3,4 für den Standort. Dieses Ergebnis sei für die Industrienation Deutschland besorgniserregend schlecht, sagte der zuständige Ifo-Experte zum Umfrageresultat.

Die Hauptkritikpunkte am Standort sind überbordende Bürokratie, hohe Energiepreise, im internationalen Vergleich übermässige Steuern und Abgaben für Firmen, mangelnde Digitalisierung, zerbröselnde Infrastruktur und allgemeiner Arbeits- und Fachkräftemangel. Der Befund ist nicht etwa das Ergebnis der Schuldenbremse, die in Deutschland gerne für jedes wirtschaftliche Problem verantwortlich gemacht wird, sondern von vielen Jahren schlechter Wirtschaftspolitik und falschen Prioritäten, meist unter einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung.

Am Geldmangel lag es nicht. Die Steuereinnahmen sind von 644 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 916 Milliarden im Jahr 2023 um 40 Prozent gestiegen. Zugleich blähte Berlin den Bundeshaushalt von knapp 300 Milliarden im Jahr 2014 auf rund 480 Milliarden Euro in diesem Jahr um 60 Prozent auf. Damit sind die Staatsausgaben deutlich stärker gestiegen als die Preise, haben also auch inflationsbereinigt zugelegt.

Sprudelnde Steuereinnahmen und tiefe Zinsen

Doch nach der Staatsschuldenkrise investierte Berlin in den 2010er Jahren, in denen die Steuereinnahmen oft sprudelten und die Zinsen tief waren, nicht etwa verstärkt in Bildung und Forschung oder die Infrastruktur, was allen Menschen zugutekäme. Stattdessen wurde mehr Geld für konsumtive soziale Wohltaten zugunsten einzelner Gruppen ausgegeben: Mütterrente, Elterngeld Plus, zeitweise Baukindergeld, Starke-Familien-Gesetz oder Grundrente. Allein die Mütterrente I und II kostete die Steuerzahler im vergangenen Jahr rund 13 Milliarden Euro, dabei ist der deutsche Sozialstaat ohnehin schon üppig dotiert.

Von 2013 bis 2023 sind die Budgets der Ministerien für Familie (+97 Prozent), wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (+92 Prozent) sowie Arbeit und Soziales (+40 Prozent) stärker gestiegen als jenes für Digitalisierung und Verkehr (+35 Prozent). Wer in Deutschland mit Bahn oder Auto unterwegs ist, spürt die Folgen dieser Priorisierung.

Inzwischen senkt das Bürgergeld, die frühere Sozialhilfe, in Kombination mit anderen Leistungen, wie dem gerade erst wieder erhöhten Wohngeld, den Anreiz zu arbeiten. Durch schlecht bezahlte Tätigkeiten lässt sich nämlich nicht viel mehr Geld verdienen, als man vom Staat fast bedingungslos zugesteckt bekommt. Das verschärft die Probleme des weitherum beklagten Arbeits- und Fachkräftemangels.

Die gravierenden Folgen der immer schlechteren Standortbedingungen zeigen sich längst in vielen Bereichen. Der Produktionsindex des verarbeitenden Gewerbes sinkt seit 2018, die Industrie steckt sinnbildlich in einer Dauerrezession. Auch die Bruttowertschöpfung lässt leicht nach. In der Autoindustrie werden in Deutschland Zehntausende Stellen abgebaut, neue Fabriken entstehen dagegen in Osteuropa, China und anderen asiatischen Ländern.

In der Chemiebranche sieht es aufgrund der hohen Energiepreise durch die verkorkste Energiewende und den russischen Angriff auf die Ukraine kaum besser aus. Mittelständische Firmen verlassen zudem leise das Land und bauen ihre Produktion jenseits der Grenze auf.

Deindustrialisierung und desillusionierendes Image

Die Diskussion über die Deindustrialisierung Deutschlands, man könnte auch weniger dramatisch von einem tiefen Strukturwandel sprechen, hat die breite Öffentlichkeit erreicht und trägt zur weiteren Verschlechterung des Images bei. Ein anderes Beispiel für das sinkende Ansehen war im Sommer, dass sich viele internationale Journalisten während der Fussball-Europameisterschaft über den desaströsen Zustand der Deutschen Bahn in Berichten lustig machten.

Das Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft sinkt kontinuierlich weiter und könnte laut Ökonomen bis 2028 den Tiefstwert von 0,4 Prozent pro Jahr erreichen. Das wäre nur noch ein Drittel des durchschnittlichen Potenzialwachstums der vorangegangenen Dekade. Zudem fliesst gemessen an den Direktinvestitionen seit Jahren massiv Kapital aus Deutschland. Ausländische Firmen sehen Deutschland laut einer Umfrage noch kritischer als inländische. In die Bundesrepublik kommen sie oft primär wegen der Subventionen, nicht wegen der Standortvorteile. Man denke etwa an die neuen Halbleiter- und Batteriefabriken in Ostdeutschland.

Die Wirtschaftsflaute wirkt nur deshalb nicht noch dramatischer, weil die Massenarbeitslosigkeit fehlt, die es zur Jahrhundertwende gab. Der demografische Wandel hin zu den geburtenschwachen Jahrgängen sorgt dafür, dass Arbeitskräfte trotz inzwischen gut zweijähriger Stagflation weiterhin heiss begehrt sind. Von Stagflation spricht man bei einer stagnierenden Wirtschaft bei zugleich hoher Inflation.

Die miserable Lage ist natürlich nicht allein der oft schlechten Politik geschuldet. Der Boom des Freihandels, von dem Deutschland enorm profitiert hat, ist zu Ende, etwa aufgrund der zunehmenden Spannungen zwischen demokratischen und repressiven Staaten. Beim wichtigen Handelspartner China läuft es auch nicht rund, was bedeutende Branchen wie den Automobil- und Maschinenbau trifft und auf die Exporte drückt. Ferner sind die Zinsen deutlich gestiegen.

Brüsseler Taxonomie und Frankfurter Geldpolitik

Berlin hat darüber hinaus vieles nicht mehr in der eigenen Hand. Ein Teil der Wirtschaftspolitik kommt aus Brüssel, wo die EU-Kommission zur massiven Bürokratie beiträgt, etwa durch das Verwaltungsmonster Taxonomie, mit dem die EU staatliche Vorgaben für nachhaltige Investitionen definiert und neue Berichtspflichten für Unternehmen eingeführt hat. Deutschland hat die Taxonomie sogar unterstützt, anstatt sie zu bekämpfen. Durch den Brexit hat Berlin zudem bei vielen (Handels-)Themen einen Verbündeten in der EU verloren und nähert sich immer mehr den zum staatlichen Dirigismus neigenden Franzosen an.

Die Geldpolitik wiederum wird in Frankfurt nicht mehr von der Bundesbank für Deutschland, sondern von der EZB für die gesamte Euro-Zone gemacht. Diese ist aber sehr heterogen, so dass die Zinsen für Deutschland in früheren Jahren oft zu tief waren, derzeit allerdings angesichts der Stagnation wohl etwas zu hoch sind.

Angesichts dieser Gemengelage wäre es für Berlin umso wichtiger, die eigenen Hausaufgaben zu machen. Stattdessen streitet die Ampelregierung wochenlang über die Einsparung von lediglich 1,5 Prozent des kommenden Bundeshaushalts, was schon per se lächerlich wirkt. Und in der Öffentlichkeit werden oft ausgiebig Randthemen diskutiert, wie beispielsweise angebliche Übergewinne mancher Unternehmen.

Verbesserungsideen liegen alle auf dem Tisch

Ideen und Vorschläge zur Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität liegen auf dem Tisch. Dazu gehören ein wirklicher, nennenswerter Bürokratieabbau, die Senkung der Unternehmenssteuern, die Sicherung einer günstigen Energieversorgung, kein weiterer Ausbau des Sozialstaats, mehr Investitionen in Digitalisierung und Infrastruktur sowie die Organisation der Zuwanderung von Fachkräften statt unkontrollierter Einreise von Wirtschaftsmigranten mit kaum vorhandener Ausbildung.

Deutschland kann nicht ewig von der Substanz leben. Deshalb muss eine Regierung, egal welcher Couleur, die genannten Themen beherzt angehen. Wenn es in der Wirtschaft rundläuft, geht es meist auch den Menschen gut. Und dann verbessert sich auch wieder das deutsche Abschneiden in Standort-Rankings wie jenem aus Lausanne.

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