Montag, November 25

Nach den jüngsten Erfolgen in den USA ist die Kernfusion mittels Lasern im Aufwind. Während andere Länder kräftig in diese Zukunftstechnologie investieren, zögert Deutschland noch.

Sie haben es wieder getan. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate ist es Physikern an der National Ignition Facility (NIF) in den USA gelungen, durch die kontrollierte Verschmelzung von Atomkernen mehr Energie zu erzeugen, als vorher eingestrahlt wurde. Die Details des Experiments sind zwar noch nicht bekannt. Glaubt man jedoch Medienberichten, war die Energieausbeute sogar etwas grösser als im Dezember letzten Jahres: Für eine Energie von 2 Megajoule gab es diesmal 3,5 statt 3,15 Megajoule zurück. Damit haben die Forscher demonstriert, dass der «Schuss» vom Dezember kein Sonntagsschuss war.

Die Experimente in den USA sind Wasser auf die Mühlen jener Startups, die wie die staatliche NIF auf die Laserfusion setzen. Bei dieser Methode der Kernfusion wird ein winziges Brennstoffkügelchen von allen Seiten mit intensivem Laserlicht beschossen. Der Brennstoff wird dadurch so stark komprimiert und erhitzt, dass die Wasserstoffatome im Inneren des Kügelchens zu Helium verschmelzen und dabei Wärme abgeben, aus der sich Strom gewinnen lässt.

Wie die Kernspaltung produziert auch die Kernfusion kein Kohlendioxid. Ein wesentlicher Vorteil gegenüber der Kernspaltung ist, dass bei der Verschmelzung von Atomkernen keine radioaktiven Spaltprodukte anfallen, die über Jahrtausende in einem Endlager verwahrt werden müssen. Die Kernfusion wäre deshalb eine optimale Ergänzung zu den erneuerbaren Energien. Der Weg zu einem stromproduzierenden Fusionskraftwerk ist allerdings – trotz Jahrzehnten der Grundlagenforschung – noch weit. Um die Entwicklung zu beschleunigen, sind in den letzten Jahren rund 40 Startups gegründet worden. Sie werben damit, in 15 bis 20 Jahren einen kommerziellen Fusionsreaktor zu bauen, der kontinuierlich Strom liefert und damit die Schwankungen der erneuerbaren Energie ausgleicht.

Bisher hat die Magnetfusion die Nase vorn

Bisher stand die Kernfusion mittels Lasern im Schatten der Magnetfusion, bei der der heisse Brennstoff durch starke Magnetfelder zusammengehalten wird. Durch die erfolgreichen Experimente an der National Ignition Facility sei jedoch einiges in Bewegung geraten, sagt Markus Roth von der Technischen Universität Darmstadt. Für private Firmen sei es inzwischen leichter, Gelder für die Laserfusion zu erhalten. Davon profitiert auch das Unternehmen Focused Energy, das Roth 2021 zusammen mit amerikanischen Fusionsforschern gegründet hat.

Einen der entscheidenden Vorteile der Laserfusion gegenüber der Magnetfusion sieht Roth darin, dass der Reaktor wesentlich einfacher aufgebaut ist. Man brauche keine riesigen Magnetfeldkäfige, um den 150 Millionen Grad heissen Brennstoff von den Wänden des Reaktors fernzuhalten. Bei der Laserfusion sei nicht die Reaktorkammer das Hauptproblem, sondern das Lasersystem und die Massenfertigung der Brennstoffkügelchen.

Dass diese Probleme nicht zu unterschätzen sind, zeigt ein genauerer Blick auf die Experimente an der National Ignition Facility. Das weltweit grösste Lasersystem verbraucht eine Energie von 400 Megajoule. Davon fliessen nur 2 Megajoule in die 192 Laserstrahlen, die das Brennstoffkügelchen komprimieren und erhitzen. 99,5 Prozent der Energie verpuffen ungenutzt. Setzt man die gewonnene Energie also in Relation zum Stromverbrauch des Lasersystems, ist die Energiebilanz noch lange nicht ausgeglichen.

Auch die Wiederholungsrate der Laserpulse entspricht nicht den Anforderungen eines kommerziellen Reaktors. Das Lasersystem an der NIF kann höchstens einmal am Tag feuern, weil es sich sonst überhitzt. Um kontinuierlich Energie zu erzeugen, müssten jedoch bis zu zehn Brennstoffkügelchen pro Sekunde gezündet werden. Das sind fast eine Million pro Tag. Die National Ignition Facility, deren eigentlicher Zweck die Simulation von Kernwaffenexplosionen ist, taugt deshalb nur bedingt als Vorbild für einen kommerziellen Fusionsreaktor.

Startups setzen auf unterschiedliche Konzepte

Die privaten Firmen wollen diese Herausforderungen mit unterschiedlichen Konzepten meistern. Focused Energy möchte die Laserstrahlen direkt auf das Brennstoffkügelchen richten. An der NIF wird das Laserlicht zunächst in einen Hohlraum gelenkt, um es homogener zu machen. Der «direct drive» stelle zwar höhere Anforderungen an die Symmetrie der Laserstrahlen und des Targets, so Roth. Dafür verspreche man sich aber eine effizientere Nutzung der eingestrahlten Energie.

Zudem möchte Focused Energy das Komprimieren und das Erhitzen des Brennstoffkügelchens entkoppeln. Wenn man den Brennstoff zuerst komprimiere und dann erst erhitze, lasse sich ein grösserer Prozentsatz des Brennstoffs zünden, so Roth. Folglich werde pro Schuss mehr Energie produziert. Last, but not least soll der Festkörperlaser von Focused Energy nicht mehr mit Blitzlampen angeregt werden, sondern mit Laserdioden. Dadurch lässt sich die Effizienz des Lasersystems um den Faktor 20 steigern.

Neben Focused Energy gibt es mit Marvel Fusion eine zweite deutsche Firma, die die Laserfusion zu kommerzialisieren versucht. Die Besonderheit bei Marvel Fusion ist, dass der Brennstoff gezündet werden soll, ohne dass man ihn vorher komprimiert. Damit die Atomkerne trotzdem häufig genug miteinander verschmelzen können, muss der Brennstoff ungemein schnell erhitzt werden. Dafür sollen nanostrukturierte «Brandbeschleuniger» im Brennstoff sorgen, die mit intensiven, ultrakurzen Laserpulsen beschossen werden.

Eine weiterer Unterschied ist, dass Marvel Fusion seinen Reaktor mit einem Brennstoffgemisch aus Protonen und Bor betreiben will. Der Vorteil ist, dass bei dieser Kernreaktion keine Neutronen entstehen, die die Wände der Reaktorkammer radioaktiv machen. Dafür muss der Brennstoff allerdings auf sehr viel höhere Temperaturen aufgeheizt werden, damit die Atomkerne verschmelzen können.

In drei Schritten zum kommerziellen Reaktor

Sowohl Focused Energy als auch Marvel Fusion sind derzeit dabei, Demonstrationsanlagen zu bauen. Diejenige von Focused Energy soll im deutschen Bundesland Hessen gebaut werden und aus einem Lasersystem mit vier bis sechs Strahlen bestehen. Eine positive Energiebilanz werde man damit noch nicht erzielen, sagt Roth. Vielmehr gehe es darum, die Technologie zu demonstrieren. Der nächste Schritt soll dann eine grössere Pilotanlage sein, die 100 bis 200 Mal so viel Energie liefert, wie zur Zündung des Plasmas benötigt wird. Sie soll in den nächsten 10 bis 15 Jahren gebaut werden. Erst danach käme ein kommerzieller Reaktor, der Strom ins Netz einspeist.

Auch Marvel Fusion geht schrittweise vor. Kürzlich hat das Unternehmen einen Vertrag mit der Colorado State University in Fort Collins abgeschlossen. Dort soll bis 2026 im Rahmen einer mit 150 Millionen Dollar geförderten öffentlich-privaten Partnerschaft ein Forschungszentrum mit mehreren Hochleistungslasern entstehen. Eines dieser Lasersysteme mit bis zu zehn Laserstrahlen wird von Marvel Fusion finanziert und soll ausschliesslich der Erforschung der Laserfusion dienen.

Im Vergleich zu bestehenden Lasern werde der neue Hochleistungslaser kompakter und effizienter sein und bis zu zehn Mal pro Sekunde ultrakurze, intensive Laserpulse abfeuern, sagt Erhard Gaul, der die Entwicklung der Laser von Marvel Fusion leitet. Der nächste Schritt auf dem Weg zu einem kommerziellen Fusionsreaktor wäre dann eine Pilotanlage mit mehr als hundert Laserstrahlen. Wo diese Anlage gebaut werde, sei noch offen, so Gaul.

Ist der Zug für Deutschland bereits abgefahren?

Dass Marvel Fusion seinen Technologiedemonstrator in den USA baut, hat in Deutschland für Aufregung gesorgt. In der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» begründete der Vorstandsvorsitzende von Marvel Fusion, Moritz von der Linden, den Schritt damit, dass man in Europa vergeblich nach finanzieller Unterstützung gesucht habe. Daraufhin entspann sich eine Diskussion darüber, ob Europa und speziell Deutschland wieder einmal eine Zukunftstechnologie verschlafe.

Tatsache ist: Im Gegensatz zu anderen Ländern – allen voran die USA –hat Deutschland die Laserfusion bisher stiefmütterlich behandelt. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind) will in den nächsten fünf Jahren zwar 90 Millionen Euro in die Laserfusion investieren. Davon profitieren die deutschen Startups allerdings nur indirekt. Das Geld soll vor allem für die Entwicklung von Laser-, Diagnostik- und Rechensystemen genutzt werden. Das sind Technologien, die für ein späteres Fusionskraftwerk gebraucht werden.

Dass es in Deutschland Handlungsbedarf gibt, ist inzwischen erkannt. So hat eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eingesetzte Expertenkommission kürzlich ein Memorandum veröffentlicht, in dem der Laserfusion ein grosses Potenzial für die weltweite Energieversorgung nach 2045 attestiert wird. Die Experten empfehlen, dass Deutschland in die Laserfusion investiert und einen Rahmen für ein lebendiges Fusionsenergie-Ökosystem schafft. Dazu gehörten ein starkes Programm, um den wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden, eine offene Infrastruktur für Wissenschaft und Industrie, eine Abstimmung mit anderen Ländern sowie eine kompetente Industrie, die sich an Innovationen beteilige.

Die Voraussetzungen für die Laserfusion seien in Deutschland sehr gut, sagt Constantin Häfner vom Fraunhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen, unter dessen Leitung das Memorandum erstellt wurde. Deutschland sei weltweit führend in der Lasertechnik. Und auch die von der National Ignition Facility benutzten Brennstoffkügelchen seien in Deutschland entwickelt worden. Die Schlüsselkompetenzen für die Laserfusion seien also vorhanden, so Häfner. Jetzt müsse Deutschland etwas daraus machen.

Häfner findet nicht, dass der Zug bereits abgefahren sei. Die erfolgreichen Experimente an der National Ignition Facility seien nur der Anfang. Jetzt komme das Brot-und-Butter-Geschäft. Wenn Deutschland es schaffe, eine Balance zwischen privatwirtschaftlicher Initiative und staatlicher Förderung herzustellen, gebe es gute Chancen, von der Entwicklung der Laserfusion zu profitieren.

Folgen Sie der Wissenschaftsredaktion der NZZ auf Twitter.

Exit mobile version