Dienstag, Januar 7

Vor sechzig Jahren nahmen Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen auf. Nun lehnt das deutsche Auswärtige Amt einen Vorschlag Israels ab, an der nächsten Frankfurter Buchmesse das Jubiläum mit einem Gemeinschaftsstand zu begehen.

Dieses Jahr jährt sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland zum sechzigsten Mal. Im Zusammenhang mit diesem Jubiläum hat die israelische Regierung dem deutschen Aussenministerium vorgeschlagen, an der Frankfurter Buchmesse mit einem Gemeinschaftsstand den kulturellen Austausch zwischen den beiden Ländern zu vertiefen.

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Das Ministerium von Annalena Baerbock erteilte nun eine Absage, was in den israelischen Medien weitgehend unbemerkt blieb. Lediglich eine israelische Website erwähnt den negativen Bescheid auf ihrer englischsprachigen Seite, als ob die Angelegenheit israelische Leser und Schriftsteller nicht beträfe.

Nach den zahllosen Protesten gegen Israel in der Zeit seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges als Reaktion auf das schreckliche Massaker vom 7. Oktober 2023 mag eine derartige Ablehnung in der Literaturszene für die breite Öffentlichkeit wenig interessant erscheinen. Es handelt sich jedoch nicht um einen weiteren von unabhängigen Schriftstellern unterzeichneten Boykottbrief, sondern um eine offizielle Absage im Namen des deutschen Aussenministeriums. Sie wurde Israel in einer kurzen Mitteilung ohne Erklärung an Yoel Pollak übermittelt, den Koordinator der Veranstaltungen zum sechzigsten Jahrestag. Finanzielle Gründe wurden angedeutet, die aber zweifelhaft erscheinen, denn in den vergangenen Jahren wurden Jubiläen mit gemeinsamen festlichen Initiativen gefeiert.

Gespräche statt Boykotte

Vor zehn Jahren, anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern, war Israel das Gastland der Leipziger Buchmesse 2015. Damals bin ich eingeladen worden, um meinen Debütroman «Jeder Tag wie heute» (Wallstein-Verlag) vorzustellen. Dieser Jahrestag fand nur sieben kurze Monate nach dem Ende der Operation «Protective Edge» statt, einer Militäroperation, die Israel im Juli 2014 im Gazastreifen startete, nachdem drei israelische Teenager im Westjordanland von militanten Palästinensern, die der Hamas nahestanden, entführt und ermordet worden waren.

Ich erinnere mich an einige propalästinensische Demonstranten, die im Jahr zuvor mit Schildern am Eingang zur Frankfurter Buchmesse standen. Kurz vor einem Live-Panel in der Sendung «Kulturzeit» auf 3sat wurde ich von der Moderatorin darüber informiert, dass mein Kollege, ein in Deutschland lebender irakischer Dichter, sich weigere, mit mir an dem Panel teilzunehmen. Ich ging hinter die Bühne, um den vierzig Jahre älteren Mann zu treffen. Nachdem wir uns ein wenig kennengelernt hatten, liess sein Widerstand nach. Es kam mir nie in den Sinn, ihn zu boykottieren – nicht einmal als Reaktion darauf, dass er mich boykottierte. Die Begegnung auf der Buchmesse hat es uns ermöglicht, eine kleine, aber wichtige Brücke zu schlagen.

Es ist noch zu früh, um festzustellen, ob es sich bei der jetzigen Weigerung um ein «stilles Embargo» gegen Israel oder einfach um die Gleichgültigkeit der Bürokratie handelt. So oder so sind die Schriftsteller, die an dem Jahrestag teilgenommen hätten, sowie ihre Leser und Zuhörer auf der Messe direkt betroffen.

In Israel vergeht keine Woche ohne Demonstrationen gegen den Krieg, gegen die Regierung und für eine Vereinbarung zur Freilassung der israelischen Geiseln, die sich noch immer in der Gewalt der Hamas in Gaza befinden. Schriftsteller, unter ihnen ich, erheben ihre Stimme in allen verfügbaren Medien, um die Regierung und Netanyahu selbst zu kritisieren. Warum sollte man diese Stimmen nicht aufgreifen und ihnen auf der Frankfurter Buchmesse eine öffentliche Bühne geben?

Beeindruckende Solidarität

«Seit dem 7. Oktober habe ich erlebt, dass Schriftsteller sich weigerten, nach Israel zu kommen. Die meisten dieser Absagen erfolgten still und heimlich», erzählt mir Julia Fermentto-Tzaisler, Leiterin des internationalen Schriftstellerfestivals Mishkenot Shaananim in Jerusalem, bei einem Gespräch in Tel Aviv. «Gleichzeitig gibt es eine unglaubliche Mobilisierung der bedeutendsten Schriftsteller der Welt, die sich gegen den Boykott aussprechen. Einige von ihnen kamen letztes Jahr zum Festival, und eine noch grössere Zahl wird dieses Jahr im Mai 2025 zum Festival kommen. Wenn sie nach Jerusalem kommen, ist die Tür offen, und sie sind eingeladen, Kritik zu äussern und zum Frieden aufzurufen. Die Bühne ist offen.»

Zurück in das Jahr 2015: Die deutsch-israelischen Literaturtage an der Leipziger Buchmesse fanden in der Zeit der Messerattentate statt, die in jenem Jahr Jerusalem heimsuchten. Meine israelischen Kollegen und ich waren beeindruckt und ermutigt von der Solidarität der deutschen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die trotz der drohenden Gefahr an der Veranstaltung teilnahmen. Sie betrachteten uns nicht als «Israeli», «Besetzer» oder «Soldaten». Sondern einfach als Schriftsteller.

Das Auswärtige Amt täte gut daran, sich diesen Ansatz zu eigen zu machen. Die Frankfurter Buchmesse hingegen kann den Fehdehandschuh aufnehmen und sich unabhängig von der Unterstützung durch die Politik für einen deutsch-israelischen Gemeinschaftsstand entscheiden.

Der israelische Schriftsteller und Filmemacher Ron Segal, geboren 1980, lebt seit 2009 in Berlin.

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