Mittwoch, Januar 22

Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti ist diese Woche in Zürich auf Stimmenfang. Doppelbürger gelten als grosses Wählerreservoir.

An Staatenlenkern und internationalen Spitzenpolitikern mangelt es dieser Tage nicht in der Schweiz. Am WEF in Davos trifft sich die globale Politikerkaste, um ein paar geopolitische Pflöcke einzuschlagen. Im Anschluss entschwinden die Top-Shots via Flughafen Zürich in aller Herren Länder.

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Einer von ihnen bleibt aber noch in Zürich. Denn er wird nach dem WEF am Donnerstag von Tausenden Anhängern in einer Messehalle in Oerlikon erwartet: der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti.

Kosovo wählt am 9. Februar. Der Wahlkampf läuft derzeit in der heissen Phase, und kosovarische Politiker mobilisieren die Diaspora in der Schweiz. Von Muttenz bis Zürich treten Politiker der drei grössten Parteien auf. Denn hierzulande könnte sich entscheiden, wie die dortigen Wahlen ausgehen.

Die Schweiz ist ein Machtfaktor für die kleine Balkanrepublik. Rund 300 000 Albanisch sprechende Menschen leben hierzulande, das Gros stammt aus Kosovo. Die Geldüberweisungen der «Schatzis», wie die meist deutschsprachige Diaspora in der Heimat süffisant genannt wird, sind zentral für den Staatshaushalt.

Seit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos im Jahr 2008 überwiesen im Ausland lebende Kosovaren über 13 Milliarden, wie Zahlen der Weltbank aus dem Jahr 2022 zeigen. Es ist fast ein Fünftel des Inlandproduktes. Die meisten Devisen stammen aus Deutschland, danach folgt die Schweiz. Aber Geld ist nur eine harte Währung, Wahlstimmen sind die andere.

Keiner mobilisiert seine in der Diaspora lebenden Bürger so wie Ministerpräsident Kurti. Bei den letzten Parlamentswahlen vor vier Jahren unterstützten drei von vier Kosovo-Albanern im Ausland seine Bewegung Vetevendosje (Selbstbestimmung), eine linksnationalistische Partei. Kurti gab den Leuten ein zentrales Versprechen: die Korruption zu beenden.

Tatsächlich wuchs die Wirtschaft um 6 Prozentpunkte, die Arbeitslosenquote fiel auf unter 10 Prozent. Zu seiner Popularität trägt auch seine konfrontative Haltung gegenüber dem Nachbarn Serbien bei, welches die Unabhängigkeit der vormaligen Provinz nicht anerkennt.

Kurtis Wählerschaft besteht längst nicht mehr nur aus Linken, ihm folgen auch viele Protestwähler. Zudem ist er ein Meister der Inszenierung, Kritiker nennen ihn deshalb einen Linkspopulisten. Beobachter erzählen der NZZ, ein Auftritt Kurtis habe etwas von einem Gottesdienst, an dem gestandene Männer den 49-Jährigen tatsächlich «Vater» nennen würden.

Ukë Smajli ist ein Doppelbürger aus Zürich und will sich am Donnerstag selber ein Bild von Kurti machen. Der Unternehmensberater kam 1998 im Alter von fünf Jahren in die Schweiz. Er sagt: «Ich sehe mich als Beobachter.»

In der Schweiz stimmt Smajli ab, an den Kosovo-Wahlen wird er sich wohl nicht beteiligen, wie er sagt. Er sei kein Aktivist und habe keine politischen Ziele. Ihn freue es einfach, wenn es in Kosovo vorwärtsgehe. Kurtis Regierung bemühe sich zumindest, das Land von unten herauf zu führen. So würden sie versuchen, einen Nährboden für die Wirtschaft zu schaffen.

Einmal traf Smajli den Ministerpräsidenten schon. «Ein bodenständiger Typ, ohne Allüren.» Man könne mit ihm reden wie mit jedem normalen Mitbürger.

Familie Xhaka macht Politik

Reis Luzhnica organisiert den Wahlanlass in der Halle 622 in Oerlikon. Der SP-Gemeinderat aus Zürich, der auch Vetevendosje-Mitglied ist, sagt: «Kurti spürt den Puls der Leute, er kann sich auf das Publikum einstellen. Einmal redet er eloquent, dann wieder holt er die Menschen mit einfacher Sprache ab.» Luzhnica rechnet mit einem vollen Haus, rund 3000 Besuchern.

Dass der Anlass von einem SP-Politiker organisiert wird, kommt nicht von ungefähr. Die SP Schweiz und Vetevendosje nennen sich «Schwesterparteien» und helfen sich unter anderem gegenseitig im Wahlkampf. Eine Win-win-Situation für die Linksparteien, denn in der Schweiz leben Zehntausende Doppelbürger.

2023 mobilisierte Kurti vor den Nationalratswahlen Stimmen von Schweiz-Kosovaren für die SP. Umgekehrt steht der SP-Co-Parteipräsident Cédric Wermuth – er und Kurti kennen sich seit Jahren – auch in Oerlikon auf der Bühne. 2021 rief die SP Schweiz-Kosovaren sogar dazu auf, Vetevendosje zu wählen.

Längst sind auch andere Schweizer Parteien auf das Potenzial der Doppelbürger aufmerksam geworden. Notabene auch die SVP, die 2011 noch mit dem Inserat «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» aufgefallen ist. Heute wirbt die Partei mit einer Secondo-Liste um Doppelbürger aus dem Balkan. Als gemeinsamer Nenner für den Wahlkampf 2023 diente etwa das Engagement fürs Auto und für tiefe Benzinpreise.

Was Kurtis Bewegung angeht, so scheint die Schweiz-Strategie aufzugehen. «Ohne die Diaspora hätte Vetevendosje bis 3 Prozent weniger», sagt Luzhnica. Dies seien entscheidende Prozentpunkte, wenn man Koalitionen eingehen müsse.

Laut der kosovarischen Wahlkommission sind bereits über 110 000 Auslandwähler registriert, von ihnen stammen 27 000 Stimmen aus der Schweiz. Luzhnica rechnet am Wahlwochenende mit weiteren 50 000 Ausland-Kosovaren, die extra hinunterfahren, um vor Ort zu wählen.

Vetevendosje gilt als Partei der Diaspora, aber auch die anderen kosovarischen Parteien wollen von den Auslandstimmen profitieren. Jüngst mischte sogar die bekannteste kosovarisch-schweizerische Familie im Wahlkampf mit: die Xhakas.

Ragip Xhaka, der Vater der Fussballer Granit und Taulant Xhaka, möchte für die oppositionelle Demokratische Partei Kosovos (PDK) in das kosovarische Parlament einziehen. Ragip Xhaka sass in den 1980er Jahren drei Jahre im Gefängnis, weil er gegen die serbische Regierung demonstriert hatte.

Sein Sohn, der Schweizer Nationalspieler Granit Xhaka, warb per Werbespot für die PDK-Partei des Vaters, wie die Tamedia-Zeitungen berichteten. Taulant Xhaka, Spieler beim FC Basel, habe sogar bei einem Wahlkampfauftritt in Muttenz mit Bedri Hamza, dem Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, auf der Bühne gestanden.

Die PDK ist die Partei des Ex-Staatschefs Hashim Thaci, der in jungen Jahren in der Schweiz lebte. Thaci muss sich derzeit vor einem Sondertribunal in Den Haag verantworten. Es werden ihm Kriegsverbrechen an Serben, Roma und kosovo-albanischen Rivalen vorgeworfen.

Erdogan-Wahlkampf in Deutschland

Auch die LDK, die Partei Ibrahim Rugovas, des ersten Präsidenten Kosovos, und die Dritte im Bunde, tourt durch die Schweiz. Dass der Wahlkampf hier derart aktiv ist, hat noch einen weiteren Grund. In Deutschland sind Wahlkampfauftritte von ausländischen Amtsträgern in der heissen Wahlphase verboten. Drei Monate vor den Wahlen in deren Ländern sind die deutschen Politbühnen tabu.

Es sind die Folgen des gehässigen Wahlkampfs, der vor dem türkischen Verfassungsreferendum 2017 entbrannt war. Der Streit gipfelte damals in einem Auftrittsverbot türkischer Politiker in Deutschland. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Deutschland wegen der Auftrittsverbote Nazimethoden vorgeworfen.

Daraufhin sprach sich die Regierung in Berlin für ein generelles Auftrittsverbot fremder Politiker aus. Ausgenommen von der Regel sind Politiker aus Staaten der Europäischen Union.

Auch in der Schweiz forderten Politiker damals, den ausländischen Wahlkampf hierzulande zu verbieten, auch hier hatte man mutmasslich türkische Politiker im Visier. Das Aussendepartement stellte sich aber dagegen. Der Tenor: Die Meinungsäusserungsfreiheit gehe vor, solange das Recht und die Sicherheit gewährleistet seien.

Laut Beobachtern haben die kosovarischen Parteien die drei Monate Auftrittsverbot in Deutschland längst einkalkuliert. Dort hätten die Wahlkampfauftritte der Politiker einfach bis November gedauert.

Përparim Avdili, Präsident der Stadtzürcher FDP, der selber Wurzeln in einem albanischen Dorf in Nordmazedonien hat, sieht den kosovarischen Wahlkampf hierzulande kritisch. Er sagt: «Man macht einen Fehler, wenn man nach Pristina und nicht nach Bern schaut. Wenn man sagt: ‹Mein Ministerpräsident heisst Kurti und nicht Keller-Sutter.›»

Er finde es «fahrlässig», dass die Leute hier für einen fremden Wahlkampf mobilisiert würden. Und auch als Kurti umgekehrt für die SP Wahlkampf machte, fand Avdili dies «stossend und inakzeptabel».

Avdili sagt, er werde regelmässig an kosovarische Wahlanlässe in der Schweiz eingeladen. Er besuche diese aber nicht. Denn wichtiger sei es für ihn, die Diaspora für die Schweizer Politik zu politisieren. Etwas, das er parteiübergreifend auch schon versucht hat, wie er sagt.

Tatsächlich ist die Wahlbeteiligung der Eingebürgerten im Schweizer Wahlkampf tief. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie an Wahlen teilnehmen, liegt bei gebürtigen Schweizern um ein Viertel höher als bei eingebürgerten Schweizern.

Kurti löst bei den Leuten Emotionen aus

Reis Luzhnica, der Organisator des Kurti-Anlasses, selber in Zürich aufgewachsen, sieht keinen Zwiespalt in seinem Engagement. Weder ideologisch, schliesslich seien die Parteien verwandt, noch realpolitisch.

Es sei ja gerade die Idee, dass mit Vetevendosje als zusätzlichem Hebel die Diaspora für Politik begeistert würde, sagt er. Zudem versuche er dies jeden Tag mit seinem Engagement als SP-Gemeinderat.

Luzhnica selber ist durch die politisch brisanten Themen in Kosovo politisiert worden. Diese hätten dann sein Interesse an Schweizer Politik geweckt. Kurti löse bei vielen Emotionen aus. «Viele sagen mir, dass das in der Schweiz fehle.» Darum gestalte sich für manche der Einstieg in die hiesige Politik schwierig.

In Kosovo selber sind auch kritische Meinungen über den Wahlkampf in der Schweiz oder Deutschland zu hören. Die Gretchenfrage lautet dabei: Darf sich jemand in die Politik einmischen, der gar nicht (mehr) im Land lebt?

Es ist eine Frage, über die auch der Schweizer Politikbetrieb streitet. Nämlich immer dann, wenn das Stimm- und Wahlrecht der Auslandschweizer zur Sprache kommt.

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