Ökonomen warnen vor dem Niedergang, während die Börsenkurse auf Rekordwerte klettern: Das deutsche Schuldenpaket spricht für Aktienkäufe – namentlich als Schutz gegen die angeheizte Inflation.
Einig sind sich die Experten lediglich darüber, dass dieser Schritt als historisch zu werten ist. Sonst gehen die Meinungen zwischen den Börsianern sowie einflussreichen Ökonomen diametral auseinander. Veronika Grimm, die dem Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen angehört, warnt vor einem «Weg in den Abgrund». Es sei eine «extrem riskante Wette», die nötigen Reformen im Land durch Verschuldung immer weiter hinauszuschieben.
Der renommierte Professor Lars P. Feld äusserte in der NZZ die Befürchtung, mit dem Schuldenpaket werde die Inflation angeheizt. Bis zu 1000 Milliarden Euro will die neue Regierung zusätzlich für die Verteidigung sowie für Investitionen in die Infrastruktur ausgeben. Laut Feld dürfte die Staatsverschuldung in den nächsten zehn Jahren von heute 60 bis auf 90 Prozent des Bruttoinlandprodukts hochschiessen. Weil dadurch auch die Zinsen anstiegen, werde das Land gezwungen, Dutzende Milliarden pro Jahr zusätzlich für den Schuldendienst auszugeben. Dies werde die Handlungsfähigkeit des Bundes massiv einschränken.
Völlig konträr dagegen fallen die Reaktionen an der Börse aus: Mega (Make Europe Great Again) lautet hier das aktuelle Schlagwort – als Gegenstück zu Donald Trumps Maga. Der deutsche Leitindex DAX ist innert Tagesfrist um 3,4 Prozent nach oben geschnellt und hat in der Folge den bisherigen Höchstwert geknackt. Der MDAX der mittelgrossen Firmen gewann gar mehr als 6 Prozent.
Die Bank UBS rechtfertigt den Kurssprung damit, dass die Zuversicht in der Wirtschaft steige, bevor die Ausgaben überhaupt bei den Firmen ankämen – getreu dem Motto «Der Aufschwung beginnt im Kopf». «Das ausgeprägt wachstumsfreundliche Signal dieses Vorhabens könnte das Konsumentenvertrauen und das Geschäftsklima lange vor der ersten Verwendung der Mittel unterstützen», schreibt die UBS in einer Analyse.
Besonders angelsächsische Investoren hatten vehement gefordert, dass Deutschland sich von der Fessel der staatlichen Schuldenbremse befreie. Die Zeitschrift «Economist» kritisierte etwa: «Deutschland mag sich seiner fiskalischen Vorsicht rühmen, aber zuletzt war es von einer abenteuerlichen finanzpolitischen Panik ergriffen.» Die Folgen seien erschütternd: Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung brauche die Infrastruktur eine dringende Erneuerung.
Vorteil der günstigen Bewertung
Doch wer liegt jetzt richtig: die pessimistischen Sparapostel oder die euphorischen Börsianer? So überraschend es zunächst klingen mag: Beide Seiten haben ihre Berechtigung. Was für eine Investition in deutsche Aktien spricht, ist ihre solide, günstige Bewertung: Die 40 grössten Konzerne im DAX – dazu gehören Perlen wie SAP, Siemens, Deutsche Telekom, Airbus, Allianz oder Merck – kommen gemeinsam auf eine Marktkapitalisierung von 2000 Milliarden Euro. Das ist gerade so viel, wie die Google-Muttergesellschaft Alphabet auf die Waage bringt.
Auch das Kurs-Gewinn-Verhältnis des DAX von knapp 20 sowie die Dividendenrendite von 3,1 Prozent verdeutlichen, dass deutsche Aktien im Vergleich zur US-Börse deutlich attraktiver bewertet sind. Ohnehin hat das Comeback bereits eingesetzt, bevor der designierte Kanzler Friedrich Merz seine Schulden-Bazooka präsentierte. Seit Anfang Jahr hat der DAX 16 Prozent zugelegt, während der amerikanische Aktienmarkt im Minus liegt – Trumps wirre Zoll-Pläne haben dessen Schwäche sogar noch verstärkt.
Weil zusätzliche Schulden die Inflation antreiben, bieten Aktien überdies einen Schutz gegen den drohenden Kaufkraftverlust. Denn natürlich muss jemand die zusätzlichen Ausgaben finanzieren. Das sind neben den Steuerzahlern namentlich die Sparer, deren Zins auf dem Konto teuerungsbereinigt schrumpft. Die Ökonomen bezeichnen den Effekt als finanzielle Repression.
Deutsche hängen am Sparkonto
Die deutschen Sparer sind bekannt für ihre verbreitete Skepsis gegenüber dem Aktienbesitz. Angesichts der absehbaren inflationären Tendenz sollten sie nun aber vermehrt an der Börse investieren. Auch die Anleihenmärkte haben darauf unmittelbar reagiert: Während die Kurse der Staatsobligationen einbrachen, kletterte das Zinsniveau stark nach oben. Bei den langfristigen Laufzeiten war der Sprung so heftig wie letztmals in den 1990er Jahren. Was die Tatsache spiegelt, dass die jetzt geplante Finanzspritze womöglich grösser ausfallen wird als bei der deutschen Wiedervereinigung.
Noch muss der Bundestag kommende Woche grünes Licht zum Finanzpaket geben. Dass die Staatsschulden weiter zunehmen, zeichnet sich aber auch im restlichen Europa ab. Die EU-Kommission will die Verteidigungsausgaben ebenfalls um bis zu 800 Milliarden Euro steigern. Wer in diesem Umfeld sein Geld vom Sparkonto zu Realwerten wie Aktien verlagert, dürfte deshalb gut beraten sein.
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