Donnerstag, März 13

Das «NZZ Podium» debattiert über Deutschland nach den Bundestagswahlen und ist sich einig: Das Land steht vor grossen Herausforderungen.

Zusammenbruch der Regierung, erodierendes Wirtschaftswachstum, Rechtspopulisten als zweitstärkste Partei: Je nachdem, worauf man blickt, kann man den Eindruck gewinnen, dass es um Deutschland schlecht bestellt ist.

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Deshalb hat das «NZZ Podium» am Mittwoch die Frage gestellt: Ist Deutschland noch zu retten? Diese Fragen diskutierten Eric Gujer, Chefredaktor der NZZ, der Journalist Rainer Meyer, der das Pseudonym «Don Alphonso» nutzt, der Historiker Andreas Rödder, der die liberal-konservative Denkfabrik Republik 21 leitet, und die Politikwissenschafterin Dorothée de Nève, Professorin an der Universität Giessen. Moderiert wurde die Debatte von Martin Meyer, Leiter «NZZ Podium».

Der Moderator Martin Meyer eröffnete das Podium mit einem Impulsreferat zum gegenwärtigen Zustand Deutschlands. Das Land, sagte Meyer, sei gedanklich so gespalten wie selten zuvor. Angesichts des Erstarkens der Linken und der AfD sehe sich Deutschland einer «toxischen Mixtur gegensätzlicher Überzeugungen» gegenüber.

Das seien aber nicht die einzigen Herausforderungen, so Meyer. Auch die Energiepolitik, der Krieg in der Ukraine und die schwächelnde Wirtschaft seien Probleme, mit denen das Land umgehen müsse. Dazu komme, dass die USA unter Trump kein verlässlicher Partner mehr seien, weil sich Trump «wie ein aus der Bahn geratener Meteor» verhalte. Die Koalition, die sich wahrscheinlich um Friedrich Merz aus CDU und SPD bilden wird, stehe deshalb vor «kaum bewältigbaren Herausforderungen», sagte Meyer und fragte die Runde: «Ist Deutschland noch zu retten?»

«Deutschlands Zustand ist nicht dramatisch»

Die Politikwissenschafterin Dorothée de Nève war mit Meyers Analyse nicht einverstanden. Der Zustand des Landes sei weitaus weniger dramatisch, als oft transportiert werde. Die Probleme, vor denen die Bundesrepublik stehe, seien keine Deutschland-spezifischen Herausforderungen. «Ganz Europa steht vor denselben Problemen», sagte de Nève. Beispielsweise verlören die etablierten Parteien auch in vielen anderen Ländern Wähleranteile.

Deutschland, so de Nève, stehe momentan eher vor dem Problem einer grossen Ungeduld in der Bevölkerung: «Die Menschen wollen, dass alles schnell geht. Die Probleme des Landes sind aber gross und komplex und können nur langsam gelöst werden.»

Der Historiker Rödder stimmte de Nève in Teilen zu. «Deutschland spielt in der Champions League der historischen Probleme», sagte Rödder. Die Situation sei vergleichbar mit den 1910er und 1930er Jahren.

Deutschland, so Rödder, sehe sich einem Paradigmenwechsel gegenüber. Die «grüne Hegemonie» habe geendet, nun schlage das Pendel nach rechts aus. Ob die Koalition aus CDU und SPD dieses Pendel stoppen könne, müsse sich nun zeigen. Gelinge dies nicht, könne es sein, dass sich Deutschland 2029 mit einer AfD konfrontiert sehe, die bei der Regierungsbildung nicht mehr ignoriert werden könne.

Eric Gujer, Chefredaktor NZZ, attestierte der Bundesrepublik, sie sei «der kranke Mann Europas». Bisher habe sich Deutschland alle zwanzig Jahre von seinen Problemen befreien können. Das gehe heute nicht mehr, weil die Parteienverhältnisse nicht mehr klar seien. Bisher habe jeweils eine grosse Partei – meist CDU oder SPD – mit einem kleineren Partner zusammen stabil regieren können. Jetzt, so Gujer, sei die politische Mitte zersplittert und könne nicht nach vorne blicken, weil die AfD nicht «als akzeptable Partnerin betrachtet» werde.

Der Moderator Meyer fasste zusammen: «Die Classe politique hat sich von den Bürgerinnen und Bürgern entfernt, und das hat zum Erstarken einer nicht sehr angenehmen Partei geführt.»

Berichte von der «Ringbahnrepublik»

Dieser Analyse stimmte der Journalist Rainer Meyer zu. Meyer wohnt in Berlin und Ingolstadt in Bayern und berichtete davon, welch gravierende Unterschiede zwischen den beiden Orten er wahrnimmt. In Berlin, der «Ringbahnrepublik», seien alle links-grün und unterhielten sich über «Sternchen und so», statt die eigentlichen Probleme des Landes anzugehen.

In Ingolstadt hingegen, wo Audi produziert, wohnten Arbeiter, die grösstenteils die AfD wählten. «Die wählen die AfD, weil es ihnen nicht gutgeht, und die anderen wählen Grün, weil es ihnen gutgeht.» Diese Spaltung, sagt Meyer, sei unmöglich wieder zu schliessen.

Schliesslich wandte sich die Runde dem Thema Migration zu. NZZ-Chefredaktor Gujer erzählte, dass er sich in Deutschland wegen der Häufung der Attentate in letzter Zeit unsicher fühle. Wie die «Asylmigration» in Deutschland gehandhabt werde, sei «ein Irrsinn und ein Wahnsinn».

Die Politikwissenschafterin de Nève warf ein, dass das Recht auf Asyl seit den 1990er Jahren sukzessive eingeschränkt und nicht ausgeweitet worden sei. Derweil schwenkte der Historiker Rödder auf die konzeptuelle Ebene um: Das Problem sei, dass sich in Sachen Asyl nationales und supranationales Recht oft widersprächen – was Lösungen unmöglich mache.

Damit schloss das «NZZ Podium» den Kreis zum Anfang der Diskussion, indem es feststellte: Deutschland hat viele Probleme – und wenig Lösungen.

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