Freitag, September 20

Seit 2015 kamen 6,8 Millionen Asylsuchende nach Europa. Über 3,6 Millionen von ihnen sollten abgeschoben werden, nur eine Million ging tatsächlich. Zehn Grafiken zeigen, welche Länder für bestimmte Migrantengruppen besonders attraktiv sind, wo viele Abschiebungen angeordnet werden und wer tatsächlich geht.

Seit der Flüchtlingskrise 2015 lässt Europa die Migrationsfrage nicht mehr los. Zwar gingen die Asylzahlen nach den Rekordjahren 2015 und 2016 zunächst zurück. Doch im vergangenen Jahr registrierten die Länder der EU und der Efta fast genauso viele Asylanträge wie vor neun Jahren. Bis Ende April dieses Jahres kamen etwa 317 000 Gesuche dazu, was einem Anstieg von 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht.

Etwa drei Viertel aller Asylanträge in Europa wurden in Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien gestellt – Länder, die in den letzten zehn Jahren zu den Hauptzielen von Migranten in Europa zählten. Aber auch kleinere Staaten wie Österreich, die Schweiz oder Schweden nahmen jeweils Hunderttausende Asylsuchende auf.

Auffällig ist, dass Bulgarien als einziges osteuropäisches Land zu den Hauptzielländern für Asylsuchende in Europa zählt. Seit 2022 bieten die osteuropäischen Staaten allerdings rund 1,8 Millionen der über 4 Millionen ukrainischen Flüchtlinge in Europa Schutz. Diese Flüchtlinge gelten jedoch nicht als herkömmliche Asylsuchende, da sie von speziellen Richtlinien profitieren, die ihnen infolge des Kriegsausbruchs vorübergehenden Schutz gewähren, ohne dass sie ein reguläres Asylverfahren durchlaufen müssen.

Viele Migranten kommen trotz geringer Chance auf Asyl

Abgesehen von den Ukrainern suchen Migranten aus vielen weiteren Ländern Zuflucht in EU- und Efta-Staaten. Ende 2023 kamen in die wichtigsten Zielländer für Migranten Asylsuchende aus über 20 verschiedenen Ländern, die aus fünf verschiedenen Regionen der Welt stammen.

Syrer, Afghanen und Türken gehören zu den grössten Migrantengruppen. Eine Ausnahme bilden Spanien, Italien und Irland, wo häufiger Asylsuchende aus Venezuela, Kolumbien, Bangladesh oder Nigeria ankommen.

Die besten Chancen auf einen Aufenthaltstitel in Europa hatten seit 2015 Antragsteller aus dem kriegsversehrten Syrien. Mit Ausnahme weniger Monate während der Corona-Pandemie lag die Schutzquote für Syrer europaweit konstant über 80 Prozent. Ähnliche Erfolgsaussichten hatten in letzter Zeit einzig Afghanen und Venezolaner.

Für Afghanen stieg die Schutzquote deutlich an, nachdem die Taliban im August 2021 die Macht übernommen hatten. Die Chancen auf Asyl für Venezolaner stiegen, nachdem Präsident Nicolás Maduro das Land in eine schwere wirtschaftliche und politische Krise geführt hatte. Die Krise vertiefte sich nach Maduros umstrittener Wiederwahl zum Präsidenten 2019 und führte zu massiven Protesten gegen seine Regierung im ganzen Land.

Bei anderen Migrantengruppen aus den häufigsten Herkunftsländern zeigt sich ein anderes Bild. Viele kommen weiterhin nach Europa, obwohl ihre Bleibeperspektiven gering sind. So stellten im vergangenen Jahr beispielsweise fast 100 000 Türken einen Asylantrag, doch europaweit erhielten nur etwa 20 Prozent in der ersten Instanz einen positiven Bescheid.

Zahlreiche Abgewiesene bleiben in Europa

Mehr als 1,2 Millionen Asylgesuche sind derzeit noch offen, wobei über die Hälfte der Antragsteller seit mehr als sechs Monaten auf eine Entscheidung wartet. In Hunderttausenden Fällen pro Jahr lehnen die Behörden die Asylanträge jedoch ab und fordern die Migranten auf, das Land zu verlassen. Allein unter den Migranten aus Staaten ausserhalb der EU und der Efta, den sogenannten Drittstaaten, waren Ende 2023 fast 500 000 Personen ausreisepflichtig. Bis zum Frühjahr 2024 kamen über 100 000 weitere hinzu. Allerdings reiste nur etwa ein Viertel der Drittstaatenangehörigen tatsächlich aus.

In Frankreich besteht die grösste Diskrepanz zwischen ausreisepflichtigen und tatsächlich ausgereisten Migranten: Das Land will mit grossem Abstand die meisten Migranten ausweisen – allein im Jahr 2023 wurden knapp 140 000 Personen aus Drittstaaten des Landes verwiesen. Doch nur etwa 11 000 verliessen Frankreich wirklich.

Auch in anderen europäischen Staaten folgte nur ein kleiner Teil der abgewiesenen Migranten der Aufforderung, das Land zu verlassen. Einzig Schweden, Polen und Litauen gelang es, mehr als die Hälfte der Abgewiesenen auszuschaffen.

Unter den Personen, die am häufigsten zur Ausreise aufgefordert werden, sind vor allem Migranten aus Marokko, Algerien, Afghanistan und Syrien.

Allerdings gehören zu jenen, die tatsächlich ausreisen, vor allem Staatsbürger aus Georgien, Albanien und der Türkei. Mit diesen Staaten hat die EU Rückübernahmeabkommen. Anders sieht es bei ausreisepflichtigen Afghanen, Syrern und Bangalen aus – der Grossteil von ihnen bleibt in Europa. Die Sicherheitslage in Syrien und Afghanistan wird als zu instabil für Rückführungen eingeschätzt. Mit Bangladesh fehlt ein rechtlich verbindliches Rückübernahmeabkommen.

Dublin-Verfahren scheitern regelmässig

Nicht nur die Rückführung von abgewiesenen Migranten in Drittstaaten läuft harzig. Die EU- und Efta-Staaten, die den Schengenraum bilden, haben Schwierigkeiten, ihre eigenen Asylregeln konsequent umzusetzen. Diese Regeln sehen vor, dass Schutzsuchende in den Staat überstellt werden können, in dem sie den Schengenraum zuerst betreten haben. Im Rahmen des sogenannten Dublin-Verfahrens reicht ein Land ein Rücknahmegesuch bei dem zuständigen Staat ein.

Im vergangenen Jahr stellten europäische Länder fast 200 000 Gesuche untereinander, wobei die meisten aus Deutschland und Frankreich stammten. Ein Grossteil dieser Anfragen wurde jedoch nicht vollzogen. Lediglich etwa 19 000 Dublin-Verfahren führten tatsächlich zu Überstellungen in den Erstaufnahmestaat.

Rückführungen scheitern häufig, weil Betroffene Klage einreichen, sich der Abschiebung entziehen oder die zuständigen Staaten die Übernahme verweigern. Besonders Italien lehnt es seit über einem Jahr ab, Migranten aus anderen europäischen Ländern zurückzunehmen. Das Land habe keine Aufnahmekapazitäten, so die Regierung von Giorgia Meloni.

Ähnlich argumentieren schon länger auch Bulgarien und Österreich, wo viele Dublin-Anfragen ebenfalls versanden. Auch Deutschland kehrt dem Schengenraum zunehmend den Rücken. Zuletzt weitete Berlin beispielsweise die Grenzkontrollen an allen Landesgrenzen aus.

Ziel der Massnahme sei es, die irreguläre Migration zurückzudrängen und Islamisten frühzeitig zu erkennen und aufzuhalten, so die Regierung. Sie reagiert damit auch auf den Terroranschlag von Solingen. Der Tatverdächtige war ein Asylsuchender, der im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Bulgarien hätte abgeschoben werden sollen. Die Überstellung scheiterte. Allerdings sprechen die Erfahrungen etwa in Österreich dagegen, dass diese Kontrollen Einfluss auf die Zahl der Asylgesuche haben.

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