Montag, November 10

Die Einnahmen des Staates kratzen erstmals an der Billionenmarke, allerdings legen auch die Ausgaben deutlich zu. Über die Reform des Rentensystems ist deshalb jetzt ein heftiger Streit in der Regierungskoalition entbrannt.

Wenn die Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit ihrer neuen Prognose richtig liegen, winken dem deutsche Staat im laufenden Jahr Rekordeinnahmen. Insgesamt 997 Milliarden Euro werden die Steuerzahler demnach in den kommenden Monaten an die Staatskasse überweisen – so viel Geld wie niemals zuvor in der Geschichte des Landes.

Mit diesem Einnahmenhöchststand kalkulieren die IW-Forscher in ihrer am Mittwoch veröffentlichten, aktualisierten Konjunkturprognose für das Jahr 2024. Trotz Wirtschaftsflaute kann Bundesfinanzminister Christian Lindner also auf ein üppiges Einnahmenplus hoffen: Im vergangenen Jahr lagen die Steuereinnahmen noch bei 954 Milliarden Euro und damit fünf Prozent niedriger.

Grund für den Geldsegen sei vor allem die robuste Lage am Arbeitsmarkt, schreiben die Ökonomen. Die hohen Lohnabschlüsse der vergangenen Monate machten sich jetzt auch in der Staatskasse bemerkbar. Gleichzeitig steigen auch die staatlichen Einnahmen aus den Sozialbeiträgen mit einem Plus von 5,6 Prozent auf 750 Milliarden Euro deutlich. Soweit die guten Nachrichten.

Nun zu den schlechten: Das Geld reicht der Bundesregierung trotzdem nicht. Denn die Ausgaben zugleich gleichzeitig stark zu. 2024 wird es ein Plus von 4,1 Prozent auf 2071 Milliarden Euro sein. Die Staatsquote, also das Verhältnis zwischen dem Geld, das die Regierung zur Erfüllung ihrer Aufgaben ausgibt, und dem, was die Bürger erwirtschaften, nähert sich deshalb in Deutschland nach einem Rückgang in den beiden zurückliegenden Jahren wieder der 50-Prozent-Grenze an.

Sozialausgaben steigen deutlich

Es sind dabei nicht zuletzt die Sozialausgaben, die das Budget der Bundesregierung belasten. Höhere Kosten etwa für die Krankenversicherungen oder das «Bürgergeld» treiben den Sozialetat um rund sechs Prozent in die Höhe. Grösster Kostenpunkt bei den Sozialausgaben bleibt dabei erneut die gesetzliche Rentenversicherung, deren Kosten für den Staat im laufenden Jahr um sechs Prozent steigen werden.

Die weiteren Aussichten: düster bis wolkig. «Langfristig droht sich das überproportional starke Ausgabenwachstum in den Sozialversicherungen zu verfestigen», schreiben die IW-Forscher in ihrem Bericht. Denn die umlagefinanzierten Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen seien besonders anfällig gegenüber der Bevölkerungsalterung im Land.

Nicht zuletzt über diesen Kostenpunkt ist daher in den vergangenen Tagen ein heftiger Streit in der Regierungskoalition entbrannt. Der deutsche Finanzminister Christian Lindner von der FDP will die Neuverschuldung und die Ausgaben des Staates in den kommenden Jahren drastisch senken. Und er muss es auch: dazu verpflichtet ihn die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Seine Kabinettskollegen hatte er deshalb bereits vor Wochen dazu aufgefordert, Sparvorschläge einzureichen.

Warnschuss von Lindner

Der Rücklauf aber verlief offenbar enttäuschend. Es gäbe «einzelne Ressorts, die exorbitante Wunschzettel eingereicht haben – Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen», stellte Lindner am Montag fest. Das sei nicht akzeptabel. Der Finanzminister deutete an, dass es sich vor allem um Ministerien handelt, die ihr Budget im Ausland einsetzen. Dazu zählt einerseits das Aussenministerium von Grünen-Politikerin Annalena Baerbock. Andererseits das Entwicklungsministerium von SPD-Politikerin Svenja Schulze.

Offenbar, so heisst es aus Regierungskreisen, denkt aber auch Sozialminister Hubertus Heil nicht ans Sparen. Der SPD-Politiker hat bei Lindner vielmehr einen Mehrbedarf von mehreren Milliarden Euro angemeldet. Der FDP-Chef revanchierte sich umgehend: Die eigentlich für den heutigen Mittwoch geplante Abstimmung im Kabinett über Heils geplantes Rentenpaket liess Lindner kurzfristig platzen.

«Aufgrund hoher Anmeldungen für den Haushalt 2025 müssen aktuelle Vorhaben neu in den Gesamtkontext eingeordnet werden», teilte Lindners Ministerium erkennbar angesäuert mit. Es war ein deutlicher Warnschuss in die Richtung des Sozialministers, denn die Rentenreform zählt zu den Prestigeprojekten des Sozialdemokraten.

Es war aber auch ein Seitenhieb auf einen der kostspieligsten Plänen der deutschen Koalition. Heil plant, das Rentenniveau langfristig bei 48 Prozent zu «sichern». Mit dem Wert wird das Verhältnis zwischen der durchschnittlichen Rente eines (statistischen) Standardrentners und dem gegenwärtigen Durchschnittslohn beschrieben. Ruheständler sollen nach dem Willen von Minister Heil in den kommenden Jahren zudem weder Rentenkürzungen noch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters fürchten müssen.

FDP will Rentenreform nachbessern

Wirtschaftsexperten rechnen deshalb mittelfristig mit zusätzlichen Belastungen für den Staatshaushalt in zweistelliger Milliardenhöhe. Um den Konflikt zwischen Lindner und seinen sparunwilligen Kollegen zu entschärfen, wurden mittlerweile ein erstes Krisengespräch mit Kanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen geführt. Zumindest Lindner scheint nun bereit zum Einlenken zu sein, noch im Mai soll das Rentenpaket im Kabinett beschlossen werden.

In Lindner Partei allerdings gärt es. So hat der FDP-Sozialpolitiker Jens Teutrine eine Ablehnung des Rentenpakets im Bundestag angekündigt: «Es muss allen klar sein, dass ein solches Rentenpaket nicht im Bundestag beschlossen werden kann», sagte er der «Bild»-Zeitung. Durch die Reform würden die Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung zu stark belastet: «Immer weniger Netto vom Brutto aufgrund von explodierenden Rentenbeiträgen bestraft nicht nur Leistung und Arbeit übermässig, sondern ist auch sozial nicht gerecht.»

Auch der Fraktionschef der FDP im Bundestag, Christian Dürr, erhöhte den Druck auf die Koalitionspartner. Er erwarte in Bezug auf den Bundeshaushalt, dass die Ministerien ihre Ausgabenwünsche noch einmal «kritisch überprüfen», sagt er dem Blatt. Es gelte jetzt, Prioritäten zu setzen und Reformen vorzunehmen. Der Koalitionsstreit um höhere (Sozial-)Ausgaben mag also vorerst entschärft worden sein, ein neuer Schlagabtausch zwischen dem Finanzminister und seinen Kollegen dürfte aber nicht lange auf sich warten lassen.

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