Freitag, April 18

Union und SPD haben ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Sie haben sich auf Zurückweisungen an den Grenzen und eine striktere Abschiebung migrantischer Straftäter geeinigt. Beim Kampf gegen äussere Bedrohungen bleiben sie hingegen vage.

CDU, CSU und SPD haben an diesem Mittwoch in Berlin ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Als Oppositionsführer hatte der CDU-Chef Friedrich Merz kein gutes Haar an der Politik der SPD-geführten Ampelregierung gelassen. Neben der Wirtschaftspolitik war seine Kritik in den Bereichen Migration und Verteidigung besonders scharf.

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Der Druck auf CDU und CSU war deshalb gross, sich in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD auf beiden Feldern durchzusetzen. Aus Sicht der Union hängen sie zusammen. Die Migrationsfrage wurde im Wahlkampf schliesslich besonders unter dem Aspekt der inneren Sicherheit thematisiert. So brachten CDU und CSU nach dem tödlichen Messerangriff eines ausreisepflichtigen Afghanen in Aschaffenburg im Januar einen Fünf-Punkte-Plan in den Deutschen Bundestag ein.

Die Grenzkontrollen werden fortgesetzt

In der jetzt vorgestellten Vereinbarung finden sich letztlich alle Punkte des Entschliessungsantrags wieder. Die deutschen Staatsgrenzen zu allen Nachbarstaaten müssen dauerhaft kontrolliert werden, hiess es im Januar. Jetzt ist vereinbart worden, die Kontrollen an allen deutschen Grenzen fortzusetzen, bis der Schutz der EU-Aussengrenzen funktioniert und das reformierte europäische Asylrecht greift.

Besonders umstritten war zwischen den Verhandlern die Frage der Zurückweisung von Asylbewerbern. Der schmissige Ton des Entschliessungsantrags vom Januar – «Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise» – musste weicheren Formulierungen weichen. «Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen», heisst es jetzt.

Vertreter von CDU und CSU wiesen aber schon nach dem Sondierungspapier Anfang März darauf hin, dass «in Abstimmung» nicht «im Einvernehmen» heisse. Letztlich genügt es aus Sicht der Union, die Nachbarn Deutschlands nur zu informieren. Auf ihre Zustimmung kommt es demnach nicht an. Fraglich ist, ob SPD und Nachbarn das auch so sehen.

Merz will illegale Einwanderung «weitgehend beenden»

Der dritte Punkt des Merz-Plans vom Januar sah vor, Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, unmittelbar in Haft zu nehmen. Im Koalitionsvertrag findet sich diese Forderung wörtlich so nicht, der Sache nach aber schon. So sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, indem die Zahl der Abschiebehaftplätze erhöht wird. Zudem soll die Bundespolizei die Kompetenz erhalten, für ausreisepflichtige Ausländer vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen.

Der vierte Punkt des Merz-Plans, die für die Ausschaffungen zuständigen Bundesländer besser zu unterstützen, findet sich hingegen ebenso im Koalitionsvertrag wieder wie der letzte, das Aufenthaltsrecht für Straftäter und Gefährder zu verschärfen. So soll die Möglichkeit geschaffen werden, diese nach ihrer Haft in Ausreisearrest zu nehmen. Ausserdem soll es zur Regel werden, für schwere Straftaten verurteilte Ausländer auszuweisen.

Auch zahlreiche weitere Einzelmassnahmen sind geplant. So soll der Familiennachzug für eingeschränkt Schutzberechtigte ausgesetzt werden. Auch sollen freiwillige Aufnahmeprogramme beendet und die Expresseinbürgerung nach drei Jahren abgeschafft werden. Der Bereich Migration trägt also eindeutig die Handschrift der Union.

Viel hängt freilich von der Umsetzung ab. Auch Kanzler Olaf Scholz hatte im Oktober 2023 erklärt, in grossem Stil abschieben zu wollen, blieb aber trotz manchen Verbesserungen nicht zuletzt wegen der Grünen hinter diesem Ziel zurück. Da Kanzleramt, Innenministerium und Aussenministerium künftig aber in Unionshand sein werden, sind die Vorzeichen jetzt völlig andere, das Ziel auch.

So machte Merz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags deutlich, dass er die illegale Einwanderung weitgehend beenden wolle. Daran wird er sich messen lassen müssen. Im parlamentarischen Verfahren könnte die SPD dem künftigen Kanzler aber noch manchen Knüppel zwischen die Beine werfen.

Verteidigung: unter «ferner liefen»

Den Krieg denken, damit er gar nicht erst ausbricht. Das wäre angesichts der Bedrohung durch Russland eine zentrale Aufgabe der neuen Bundesregierung. Doch das Wort «Krieg» kommt nur im Zusammenhang mit der Ukraine vor, nicht aber mit dem restlichen Europa, nicht mit dem Westen, nicht mit Deutschland, obwohl seit Jahren von einem «hybriden Krieg» mit Russland die Rede ist. Stattdessen zwei allgemeine Sätze: «Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges müssen Deutschland und Europa in der Lage sein, ihre Sicherheit deutlich umfassender selbst zu gewährleisten» und «Stärke ist Voraussetzung für Frieden».

Die Kapitel zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik finden sich auf den hinteren Seiten der Koalitionsvereinbarung, quasi unter «ferner liefen». Von 146 Vertragsseiten befassen sich 3 mit diesem Thema. Sicherheitspolitische Zeitenwende? Politikwechsel? Nicht nur die Gewichtung im Vertrag lässt davon ausgehen, dass es für die mögliche künftige Regierung Wichtigeres als die Verteidigung zu geben scheint.

Die SPD dürfte sich bei der Wehrpflicht durchgesetzt haben. Eine Wiedereinführung des Dienstes wird es nicht geben, vorerst zumindest, doch das Prinzip der Freiwilligkeit funktionierte schon in der Vergangenheit nicht. Es bleibt die drängende Frage, woher die Bundeswehr ihre Soldaten bekommen soll. Klar ist, dass sie mehr benötigt und bereits heute ihr Personalsoll nicht erfüllt.

Auffällig ist, dass es kaum konkrete Aussagen zur künftigen Truppenstärke, zur Ausrüstung oder Beschaffung der Bundeswehr gibt. Auch die Rolle der deutschen Armee im Heimatschutz bleibt unklar. Zu anderen Aspekten finden sich nur Absichtsbekundungen. Dazu zählen eine Reform des Planungs- und Beschaffungswesens, der Abbau von Regelungen und Bürokratie und langfristig planbare Aufträge für die Rüstungsindustrie. Entscheidend für Deutschlands Verteidigungsfähigkeit wird sein, wie diese vage formulierten Ziele in den nächsten vier Jahren umgesetzt werden.

Langfristige Planungssicherheit

Neu ist die Absicht, für die Bundeswehr einen mehrjährigen Investitionsplan zu schaffen. Auf diese Weise soll langfristige Planungssicherheit für die Streitkräfte und auch die Rüstungsindustrie geschaffen werden. Bis anhin ist es so, dass viele Beschaffungen von Waffen, Gerät, Munition und Ausrüstung maximal über die vier Jahre einer Legislaturperiode einigermassen verbindlich geplant werden konnten. Dieser Zyklus ist zu kurz und soll deutlich verlängert werden.

Durchaus interpretierbar sind die Aussagen von Union und SPD zur Nato. Zum einen heisst es, die Nato sei «ein» tragender Pfeiler der transatlantischen Partnerschaft. Die bisherige deutsche Politik sah die Nato aber als «den» tragenden Pfeiler. Das hat sich offenbar mit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump geändert. Die mögliche künftige deutsche Regierung scheint auf eine stärkere europäische Achse in der Allianz zu setzen. Dazu heisst es: «Wir setzen uns dafür ein, den europäischen Pfeiler der Nato mit Nachdruck fortzuentwickeln.»

Zum anderen wollen Union und SPD offenkundig keine weiteren Zusagen für die Verteidigung der Nato-Ostflanke machen. Die dauerhaft in Litauen stationierte Kampfbrigade sei der zentrale deutsche Beitrag für Abschreckung und Verteidigung, heisst es. Aufstellung, Ausstattung, Finanzierung sowie Personalbedarf der Brigade hätten Priorität. Das ist bemerkenswert, denn mindestens ebenso wichtig wie der Aufbau der Brigade wäre der Aufbau einer Luftverteidigung nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, sowie die Stationierung von weitreichenden Präzisionswaffen in der Bundesrepublik als Abschreckung gegenüber Russland. Zu beiden Aspekten findet sich im Koalitionsvertrag kein Wort.

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