Mittwoch, Oktober 30

Das deutsche Bruttoinlandprodukt hat im dritten Quartal entgegen allen Erwartungen um 0,2 Prozent zugelegt. Doch Ökonomen warnen vor verfrühtem Jubel. Derweil bleibt die Herbstbelebung am Arbeitsmarkt weitgehend aus.

Es gibt sie noch, die Lichtblicke im Strom der schlechten Wirtschaftsnachrichten aus Deutschland: Im dritten Quartal ist die Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) gegenüber dem Vorquartal preis-, kalender- und saisonbereinigt um 0,2 Prozent gewachsen. Gegenüber dem Vorjahresquartal sank das BIP preis- und kalenderbereinigt um 0,2 Prozent, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Mittwoch in einer ersten Schätzung mitgeteilt hat.

Keine technische Rezession

Die Nachricht ist insofern eine Überraschung, als Ökonomen für das Berichtsquartal überwiegend eine erneute Schrumpfung gegenüber der Vorperiode erwartet hatten. Ein Wermutstropfen ist allerdings, dass Destatis zugleich den Wert für das zweite Quartal nach unten revidiert hat: Nach den neuen Angaben ist das BIP damals gegenüber der Vorperiode um 0,3 Prozent gesunken und nicht wie zuvor gemeldet nur um 0,1 Prozent. Gleichwohl schrammt Deutschland nun an einer «technischen Rezession» vorbei, von der man spricht, wenn das BIP in zwei Quartalen hintereinander sinkt.

Zur Belebung im dritten Vierteljahr haben laut Destatis vor allem der private und der staatliche Konsum beigetragen. In ersten Kommentaren führten Analytiker das darauf zurück, dass die Menschen dank sinkender Teuerung und hohen Tarifabschlüssen allmählich wieder mehr Geld in der Tasche hätten und davon wenigstens einen Teil auch ausgeben statt nur auf die hohe Kante legen würden.

Inflation steigt im Oktober

Allerdings ist der Abwärtstrend bei der Inflation vorerst gestoppt: Im Oktober ist die Jahresteuerung gemessen an den Konsumentenpreisen laut einer gleichentags veröffentlichten ersten Schätzung von Destatis wieder auf 2,0 Prozent gestiegen, nachdem sie im September mit 1,6 Prozent einen Tiefstand erreicht hatte.

Wirtschaftsexperten waren sich am Donnerstag weitgehend einig, dass die positive BIP-Nachricht noch keine Trendwende darstelle. Die Wirtschaft komme nicht von der Stelle, das BIP sei derzeit kaum höher als im Jahr 2019, schrieb Nils Jannsen, Konjunkturchef des IfW Kiel. Nach den pandemiebedingt grossen Schwankungen habe die Wirtschaftsleistung seit Anfang 2022 ungefähr stagniert. Jörg Krämer von der Commerzbank sprach von einem «Ausreisser nach oben». «Die seit dem Frühjahr fallenden Frühindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima deuten unverändert auf ein schwieriges Winterhalbjahr», hielt er weiter fest.

Eine «Wellblech-Konjunktur»

Tatsächlich zeigt das längerfristige Bild, dass Deutschland seit dem Ende der Pandemie in einer Art Wellblech-Konjunktur feststeckt: Kleineren Zuwächsen im einen Quartal folgen immer wieder Rückgänge. Zur Erklärung verweisen Ökonomen zum einen auf die Überlagerung von konjunkturellen und strukturellen Faktoren. In der Industrie sei China zum «neuen Deutschland» geworden, hielt Carsten Brzeski, Chefökonom der ING, fest. Deutschlands altes «Geschäftsmodell», das auf billiger Energie und leicht zugänglichen grossen Exportmärkten beruht habe, funktioniere nicht mehr.

Zum anderen zeigen die Analytiker auf die Wirtschaftspolitik. Unternehmen auch ausserhalb der Automobilwirtschaft seien verunsichert, weil die Bundesregierung die seit den Merkel-Jahren zu beobachtende Erosion der Standortqualität nicht entschieden angehe und eine konsistente Reformpolitik nicht in Sicht sei, erklärte zum Beispiel Krämer.

Vor diesem Hintergrund sind die meisten Auguren für die nähere Zukunft wenig zuversichtlich. Selbst die Bundesregierung erwartet laut ihrem Herbstgutachten, dass das BIP im ganzen laufenden Jahr um 0,2 Prozent schrumpfen wird. Es wäre das zweite Jahr in Folge mit einer leicht rückläufigen Wirtschaftsleistung, womit Deutschland auch im internationalen Vergleich schlecht dasteht.

Für 2025 gehen die meisten Prognosen von einem neuerlichen Wachstum aus, allerdings gehen die Schätzungen über dessen Ausmass recht weit auseinander. So erwartet die deutsche Regierung ein BIP-Zuwachs von 1,1 Prozent, während die Commerzbank der deutschen Wirtschaft lediglich ein Plus von 0,2 Prozent zutraut.

Brzeski verwies am Donnerstag auf die steigende Zahl von Insolvenzen und die Ankündigungen von Unternehmen, im Zuge von Restrukturierungen Personal abzubauen. Der Fall von Volkswagen deute an, dass es zu einer raschen Wende am Arbeitsmarkt kommen und das Lohnwachstum sinken könnte. Bei VW drohen laut Betriebsratsangaben vom Montag die Schliessung von Werken, die Entlassung von Zehntausenden von Mitarbeitern und eine generelle Lohnkürzung.

Herbstbelebung am Arbeitsmarkt fällt aus

Bereits jetzt ist die Lage am Arbeitsmarkt trotz anhaltenden Klagen der Unternehmen über einen Arbeits- und Fachkräftemangel nicht mehr so rosig. Laut jüngsten Angaben der Bundesagentur für Arbeit verharrte die Arbeitslosenquote im Oktober mit 6,0 Prozent auf dem Niveau des Vormonats. Das entspricht jedoch einem Anstieg im Jahresverlauf: Im Oktober 2023 hatte die Kennzahl bei 5,7 Prozent gelegen. Die Zahl der Arbeitslosen hat im Oktober um 16 000 auf 2,79 Millionen abgenommen. Saisonbereinigt legte sie aber um 27 000 zu.

Für einen Herbstmonat sind das keine guten Zahlen: «Die Herbstbelebung am Arbeitsmarkt fällt in diesem Jahr weitgehend aus. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben im Oktober zwar abgenommen; wie schon im Vormonat waren die Rückgänge aber sehr gering», sagte Andrea Nahles, die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur, am Mittwoch bei der Vorstellung der Daten.

Mit Herbstbelebung ist gemeint, dass im Herbst üblicherweise die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt, weil die Unternehmen nach dem Ende der Ferienzeit wieder vermehrt Arbeitskräfte einstellen und junge Menschen nach dem Abschluss von Schule oder Studium erste (Ausbildungs-)Stellen antreten.

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