Donnerstag, September 19

Aussenminister Ignazio Cassis erhält Applaus im Ständerat: Die Uno verbessert auf Schweizer Initiative hin den Rechtsschutz bei Sanktionen. Das ist auch das Verdienst des inzwischen verstorbenen Tessiner Freisinnigen Dick Marty.

Sie wurde im Parlament schon als «lebende Untote» bezeichnet, die Motion von Dick Marty, dem früheren freisinnigen Tessiner Ständerat und international prominenten Juristen. «Die Uno untergräbt das Fundament unserer Rechtsordnung», so der Titel des fast schon legendären Vorstosses, der seit 15 Jahren seine Kreise zieht, zwischen Bundesrat, Verwaltung, Nationalrat und Ständerat hin- und herwandert und dessen Behandlungsfrist ein ums andere Mal vom Parlament verlängert wurde. So auch am Dienstag im Ständerat. Doch nun könnte es die letzte Verlängerung sein. Denn inzwischen hat die Motion Früchte getragen.

Die Schweiz wollte mehr

Zur Vorgeschichte: Der im vergangenen Dezember verstorbene Dick Marty war ein hartnäckiger Verteidiger der Rechtsstaatlichkeit. Und er störte sich enorm daran, dass der Uno-Sicherheitsrat in wenig transparenten Verfahren Terror-Listen mit Tausenden von Personen oder Unternehmen erstellte, die für die Uno-Mitgliedstaaten verbindlich sind. Wer auf einer dieser schwarzen Listen aufgeführt wird, darf nicht mehr reisen, sein Vermögen wird blockiert, er wird international zum Paria, dies eventuell über Jahre hinweg. Marty forderte den Bundesrat in seinem Vorstoss dazu auf, er müsse sich innerhalb der Uno für die Rechtsstaatlichkeit einsetzen, auch gegenüber gelisteten Personen.

Die Schweiz hatte es sich zusammen mit gleichgesinnten Staaten schon vor Jahren zum Ziel gesetzt, den Rechtsschutz im Rahmen des Uno-Sanktionssystems zu verbessern. Einen ersten Erfolg gab es 2009: Die Uno richtete eine Ombudsstelle ein, bei der sich Personen, die im Zusammenhang mit dem Islamischen Staat und der Al-Kaida sanktioniert wurden, melden und ihren Fall überprüfen lassen können. Bei den anderen der vielen Uno-Sanktionsregimes gab es bis anhin indes keinen solchen Schutzmechanismus. Das hat sich nun geändert, zumindest ein bisschen, massgeblich dank der Schweiz.

So hat der Uno-Sicherheitsrat im Juli eine Resolution verabschiedet, die es betroffenen Personen oder Unternehmen ermöglichen soll, ein Verfahren zur Streichung von einer Sanktionsliste zu beantragen. Es sei eine «erfolgreiche Geschichte», sagte Aussenminister Ignazio Cassis im Ständerat. Dank der Mitgliedschaft der Schweiz im Uno-Sicherheitsrat sei es seinem Departement gelungen, die Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Motion Marty voranzubringen.

Ganz zufrieden ist die Schweiz allerdings nicht, sie hatte ehrgeizigere Pläne. Ihr Ziel war es, das bestehende Ombudsverfahren zum Vorbild zu nehmen und auf alle Uno-Sanktionsregimes auszuweiten. Die Widerstände gegen diesen Vorschlag seien aber zu gross gewesen, führte Cassis aus, er habe keine Chance gehabt. Das in der Resolution vorgesehene Verfahren setzt die Hürden deutlich höher an, als sie beim Ombudsverfahren gelten: Damit eine Person von der Liste wegkommt, müssen alle Vertreter im Sanktionsausschuss dem Antrag zustimmen (beim Ombudsverfahren ist es gerade umgekehrt: Empfiehlt der Ombudsmann, eine Person von der Liste zu streichen, kann sein Antrag nur mit der Stimme aller Vertreter im Sanktionsausschuss umgestossen werden).

Gleichwohl stärke die Resolution die Rechte der Betroffenen, es handle sich um den Beginn einer neuen Etappe, sagte Cassis. Im Ständerat zeigte man sich erfreut über den Erfolg der Schweizer Diplomatie, für einen Kleinstaat habe sie viel erreicht. In einem Jahr werde man sehen, was die Resolution bringe. Wenn das Verfahren den Ansprüchen der Motion Marty entspreche, könne das Parlament den Vorstoss dannzumal abschreiben.

Parallele zum EU-Sanktionsregime

Wie aktuell das Thema von Rechtsschutz und Sanktionen ist, zeigt eine andere Motion, die nächste Woche in der kleinen Kammer traktandiert ist. «Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen» heisst sie, und sie stammt vom Walliser Mitte-Politiker Beat Rieder. Thema sind nicht die Uno-Listen, sondern das sich laufend ändernde EU-Sanktionsregime gegenüber Russland, das der Bundesrat zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk übernimmt.

Dass bei diesem hohen Rhythmus mitunter auch Fragwürdiges ins hiesige Recht überführt wird, gibt schon seit längerem zu reden. Im Mittelpunkt der Kritik steht das achte Sanktionspaket der EU gegen Russland, das der Bundesrat im November 2022 übernommen und in der Ukraine-Verordnung umgesetzt hat. Es sieht ein Verbot der Rechtsberatung von sanktionierten russischen Unternehmen vor; Anwälte, die dagegen verstossen, müssen mit einer Strafe rechnen.

Der Bundesrat macht geltend, dass die schweizerischen Sanktionen im Einklang mit der EU gestützt auf das Schweizer Embargogesetz ergriffen worden seien. Rieder dagegen argumentiert, dass Rechtsberatung Teil des rechtlichen Gehörs sei und nicht einfach durch den Bundesrat eingeschränkt werden könne.

Der Walliser ist mit seiner Meinung nicht allein. Die vorberatende Rechtskommission unterstützt seine Motion mit 8 zu 3 Stimmen. Ein Verbot der Rechtsberatung, wie es in der Ukraine-Verordnung verankert ist, verletze wichtige rechtsstaatliche Verfassungsprinzipien. Es sei unverhältnismässig und grundrechtswidrig, auch wenn sich sein Geltungsbereich auf die russische Regierung und auf in Russland ansässige Unternehmen beschränke, findet die Kommissionsmehrheit. Einer linken Minderheit scheint die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit weniger wichtig zu sein als das politische Signal, das die Schweiz aussenden würde, wenn sie einen eigenständigen Weg ginge: Sie lehnt die Motion ab.

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