Donnerstag, Dezember 26

Bereits in zehn Jahren könnte die Wohnbevölkerung auf über zehn Millionen steigen. Die Reserven in den Bauzonen reichen nicht für das erwartete Wachstum. Nun fordern Experten Einzonungen von zusätzlichem Bauland.

Das Wohnhaus, von dem hier die Rede ist, liegt nur einen kurzen Spaziergang von einem S-Bahnhof im Norden Zürichs entfernt. Ein ruhiges Wohnquartier mit Gärten, grünen Hecken und belebten Spielplätzen. Es wäre der perfekte Ort für die Aufwertung und bessere Nutzung des Grundstücks.

Die Bau- und Zonenordnung (BZO) würde sogar den Abbruch des 75-jährigen Wohnhauses gestatten – mit einem Neubau liesse sich die Wohnfläche mehr als verdreifachen. In einer Stadt, die mit steigenden Mieten kämpft und die bis 2040 zusätzliche 70 000 bis 80 000 Bewohner beherbergen soll, wäre dies ein wichtiger Beitrag.

Trotz den offensichtlichen Vorteilen, die ein Neubau mit sich bringen würde, macht die Bürokratie die guten Absichten zunichte. Mit dem Resultat: Die Bauherrschaft hatte keine andere Wahl, als es bei einer Sanierung und einer geringfügigen Vergrösserung der Wohnfläche bewenden zu lassen.

Theorie und Praxis klaffen weit auseinander

«Die Verfahren sind viel zu komplex und dornenreich», sagt der für das Projekt zuständige Architekt Andreas Voigt. «Allein die behördlichen Vorgaben zur Fassade oder zur Dachform können den Eigentümern und ihren Architekten schlaflose Nächte bereiten.»

Das ist noch lange nicht alles. Fast immer sind die Nachbarn involviert, was Verhandlungen über Grenzabstände und Ähnliches erforderlich macht. «Weder die Eigentümer, die dort wohnen wollen, noch wir als Architekten haben Zeit für fünfjährige Planungs- und Bewilligungsprozesse», so Voigt.

Der Architekt spart nicht mit Kritik an der Baubürokratie und lenkt den Blick auf die ganze Stadtentwicklung: «Im besten Fall wird man in der Stadt Zürich innerhalb nützlicher Frist höchstens einen Drittel aller Grundstücke verdichten können, wie es die BZO vorsieht.»

Eine Verdreifachung der Nutzung wäre höchstens auf der «grünen Wiese» weitab von der Stadt vorstellbar, wo die Bedingungen einfacher und die Risiken für Einsprachen deutlich geringer ist.

Landpreise in astronomischer Höhe

Die Folgen sind klar: Eine verschärfte Knappheit und der Wettbewerb um die halbwegs realisierbaren Reserven führen zu immer noch höheren Grundstückpreisen. So muss man in Zürich heute selbst für kleinere Wohnbauprojekte mit Preisen von 12 000 Franken pro Quadratmeter Bauland rechnen. Das sind drei bis vier Millionen für kleine Parzellen.

Die exakt gleichen Erfahrungen macht Daniel Strolz, Architekt und CEO der gleichnamigen Firma mit Sitz in Zug: «Die auf den Plänen vorhandenen Ausnützungsreserven lassen sich heute baurechtlich nicht mehr durchsetzen.» Zu aufwendig sei der Kleinkrieg um jedes noch so kleine Detail, wenn man schon nur ein Gebäude um ein Geschoss erhöhen möchte.

Daniel Strolz zeigt die finanziellen Folgen auf: «Dies führt zu einer behördlich verursachten Teuerung.» Wenn zum Beispiel anstelle von zehn Wohnungen die Behörden nur acht bewilligen, steigen entsprechend die Stückkosten pro Wohneinheit.

Luzern: Nur zwei Drittel des Potenzials

Schauen wir uns die Stadt Luzern an, wo nach aktueller Planung ein Verdichtungspotenzial für rund 19 000 Personen vorhanden wäre. Alex Widmer, Geschäftsführer der Hauseigentümerverbands Luzern und Präsident einer Wohngenossenschaft, zieht die gleiche Bilanz: «In der Stadt Luzern wird man höchstens zwei Drittel des angenommenen Potenzials wirklich bebauen können.»

Juristische Hürden sind nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt auch praktische Bedenken. Es stehe nirgends, dass zum Beispiel ein Ersatzneubau oder eine Aufstockung dem Willen des jeweiligen Eigentümers entspreche und wirklich Sinn ergebe, so Alex Widmer. Ein gutes Gegenbeispiel sind nach seiner Erfahrung auch Wohnungen im Stockwerkeigentum: «In der Praxis ist es unmöglich, die nötigen Mehrheiten für grössere Veränderungen oder eine Aufstockung eines Wohnhauses zu bekommen.»

Bauland in Zug ist völlig ausverkauft

Fehlannahmen zu den Bauzonen finden sich überall, auch auf Kantonsebene. Dies bestätigt der Architekt Philipp Peikert, der mit seiner Firma p-4 AG mit Sitz in Zug seit mehr als 30 Jahren im Wohnungsbau tätig ist: «Die Praxis zeigt immer wieder, dass die in den kantonalen Richtplänen ausgewiesenen Reserven rein theoretisch sind.» Im Kanton Zug, wo der Siedlungs- und Bevölkerungsdruck besonders gross ist, sei bestenfalls die Hälfte der behaupteten Reserven tatsächlich nutzbar.

Peikert lässt keinen Zweifel daran, dass die Realisierung dieser Potenziale mit enormen Schwierigkeiten verbunden ist: «Es müssen unzählige Dinge zusammenkommen, damit ein Eigentümer heute überhaupt baut und sein Grundstück intensiver nutzt.»

Was bedeuten all diese Schwierigkeiten für die Stadtentwicklung und den Wohnungsmarkt? Der Bedarf an mehr Wohnraum ist so hoch wie noch nie. Nach den Bevölkerungsprognosen des Bundesamtes für Statistik (BfS) wird die Schweiz zwischen 2034 und 2040 die Schwelle von 10 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner erreichen.

Bund: Möglichkeit der 10-Millionen-Schweiz

Es ist die Aufgabe von Bund und Kantonen, für ausreichend Bauzonen zu sorgen. Aber können sie mit dem Tempo der Bevölkerungszunahme Schritt halten? Ökonomen der Hochschule Luzern (HSLU) melden Zweifel an. «Die Reserven werden kaum ausreichen, um das gesamte erwartete Bevölkerungswachstum aufzunehmen», erklärt Daniel Steffen von der HSLU.

Das Bundesamt für Raumplanung (ARE) weist diesen Vorwurf zurück und betont, massgeblich sei ausschliesslich die sogenannte «Bauzonendimensionierung» der Kantone, die regelmässig überprüft werde.

«Die Kantone beziehen bei ihren Berechnungen selbstverständlich die Möglichkeit einer 10-Millionen-Schweiz in ihre Berechnungen ein», schreibt das ARE. Denn die meisten Kantone gingen bei der erwarteten Bevölkerungsentwicklung vom oberen denkbaren Wert (Szenario «hoch») aus.

Martin Hofer, Architekt und Mitbegründer des Beratungsunternehmens Wüest Partner, kritisiert das Vorgehen des Bundes: «Es ist allzu einfach», sagt er, «alle verfügbaren Bauzonen zusammenzurechnen. Dies ist eine rein planungsrechtliche Betrachtungsweise. Die Reserven müssen am richtigen Ort vorhanden sein.»

Planung kann den Wohnort nicht zuweisen

Hofer argumentiert, dass sich Raumplanung und Bauzonen nach dem Wohnungsmarkt und der Nachfrage richten müssten. «Investoren wollen ja dort bauen, wo die Leute wohnen möchten. Wir können den Menschen den Wohnort aber nicht zuweisen», betont er.

Der Immobilienexperte sieht sowohl in den Reserven ausserhalb der Städte als auch in den Verdichtungspotenzialen in den Zentren nicht genügend Spielraum. «Mit dem prognostizierten Bevölkerungswachstum bis 2040 wird der verfügbare Raum – am richtigen Ort zur richtigen Zeit – nicht ausreichen.» Die Nachfrage sei so stark, dass selbst Aufstockungen ganzer Stadtgebiete oder Vororte um ein Stockwerk nicht die gewünschte Entlastung bringen würden, warnt Hofer.

Hofer schlägt vor, Freiflächen in Stadtnähe für den Wohnungsbau freizugeben: «Es ist nicht nachvollziehbar, warum bestens erschlossenes Land an der Stadtgrenze zur Anpflanzung von Futtermais genutzt wird.» Er erwähnt ausgedehnte Freiflächen in Zürich, etwa im Bereich Tobelhof oder im Norden der Stadt zwischen Seebach und Zürich Affoltern. Er hält diese Vision für realisierbar, nicht zuletzt, weil die Stadt selbst Eigentümerin der meisten dieser Freiflächen ist.

Hofer fasst seinen Denkanstoss unter dem Titel «Verdichtung nach aussen» zusammen.

Freiflächen besser nutzen

Auch im Raum Basel, etwa zwischen Kleinbasel und Riehen oder südlich des Bruderholz-Quartiers, oder in Bern mit dem Entwicklungsprojekt Viererfeld oder der Waldstadt Bremer finden sich ähnliche Freiräume – sie wären geradezu prädestiniert dafür, den Bedarf dort zu decken, wo eine Wohnnutzung und Erschliessung mit Infrastruktur optimal umsetzbar wären.

Martin Hofer ist sich dabei der Verantwortung bewusst, die mit seinem Vorstoss einhergeht. Für ihn steht ausser Frage, dass die Nutzung dieser Flächen an gewisse Auflagen geknüpft sein muss – etwa eine ökologische Bauweise und einen Mindestanteil an erschwinglichen Wohnungen. Allein für die direkt an Zürich angrenzenden Flächen schätzt Hofer, dass dort Neubauten an bester Lage einige Tausend Bewohner aufnehmen könnten.

Doch was passiert, wenn wir einfach weitermachen wie bisher? Für Experten wie Hofer sind die Folgen offensichtlich: «Wenn wir die gleiche Politik der letzten Jahre fortsetzen, wird sich die Verteuerung von Wohnraum in den Zentren weiter zuspitzen.»

Ein Artikel aus der «»

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