Samstag, September 28
Nachgewürzt

Wolfgang Fassbender


Jubiläum

Auch wenn das Luxushotel gerade sein 125-Jahre-Jubiläum feiert, ist mehr von der heutigen Kulinarik zu hören als von der vergangenen. Doch gut essen konnte man hier schon immer. Ein Rückblick in die Geschichte der «Dolder»-Gastronomie.

Es war gerade wiedereröffnet worden, das von Lord Norman Foster bis 2008 umgestaltete Hotel, da stiess der Autor dieses Artikels auf ein altes Dokument. Eine Weinkarte aus dem Jahr 1949, also gedruckt, als das Haus gerade sein 50-Jahre-Jubiläum beging, konnte er auf einem Flohmarkt günstig erwerben. «La Cave Cinquantenaire du Dolder Grand Hôtel Zurich» stand in verschnörkelten Lettern auf dem abgegriffenen Kartoneinband. Es ging, wie man sofort sehen konnte, zu jener Zeit französisch zu in der feinen Hotellerie. Doch wer glaubte, damals wären ausschliesslich Champagner, Burgunder und Bordeaux getrunken worden, läge falsch.

Die «Dolder»-Gäste hatten eine grosse Auswahl, durften sich an einem auch aus heutiger Sicht verblüffend breiten Sortiment Schweizer Weine (ein Dézaley Clos des Abbayes zu 9 Franken die Flasche) erfreuen und reichlich deutschem Moselriesling zusprechen. Der 1921er Berncasteler Doctor der Witwe Thanisch kostete anno 1949 mit 35 Franken rund achtmal so viel wie ein schlichter Riesling-Sylvaner von der Zürcher Sonnenhalde.

Französische Küche war lange Trumpf

Beim Thema Essen indes ging es 1949 in Zürich wohl ebenso französisch zu wie in Paris oder London. So war es immer schon gegangen seit der Eröffnung des Hotels als «Dolder Grand Hotel & Curhaus» im Jahre 1899. Es war halt nicht nur eine Zeit des Jugendstils, sondern auch eine des kulinarischen Aufbruchs. Der Franzose Auguste Escoffier war auf dem Höhepunkt seines Ruhms angekommen, hatte bereits Pfirsich Melba und Birne Helene erfunden, beeinflusste mit seiner Interpretation der klassischen französischen Küche Kollegen in ganz Europa.

Die ältesten verfügbaren «Dolder»-Dokumente lassen vermuten, dass zunächst Menus auf dem Programm standen. Eines für mittags, eines für abends. Poulet à la Reine gab es nachweislich, eine Consommé Monaco war beispielsweise als erster Gang vorgesehen, zum Abschluss servierte man Salade d’Oranges. Abwechslungsreich dürfte es gewesen sein, schliesslich blieben Gäste in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts im Durchschnitt weit länger als heute, und elegant sowieso.

Oberkellner trugen Stehkragen, die Köche hohe weisse Mützen. In der Küche wiederum machte ein Monstrum von Kohleherd die Arbeit zur schweisstreibenden Qual. Erst allmählich setzte sich weitere Technik durch, erleichterten moderne Spülmaschinen die Arbeit. Von solchen Details dürfte indes kaum ein Besucher erfahren haben, die Mitglieder der weissen Brigade blieben unsichtbar.

Wer das Parfait de Foie gras zubereitet hat, das auf einem festlichen «Dolder»-Menu stand, wer vor rund siebzig Jahren Hummer à la Newburg gekocht hatte, interessierte auch kaum jemanden. Die Herren Schiess und Baldegger, Anfang der 1950er Jahre erster Küchenchef beziehungsweise erster Maître d’hôtel des Hotels Dolder, dürften nur den wenigsten Gästen bekannt gewesen sein; das Haus wurde über Jahrzehnte repräsentiert vom langjährigen Direktor G. Henry Kraehenbühl.

Küchenchef Paul Spuhler prägte die Kulinarik im «Dolder»

Einen kulinarischen Umbruch kann man wohl nicht nennen, was in den ersten Nachkriegsjahrzehnten passierte, die Entwicklungen erfolgten vielmehr schrittweise, gingen einher mit dem zunehmenden Fremdenverkehr. Und mit dem jungen Paul Spuhler, der 1960 Küchenchef im «Dolder» wurde. Noch nicht einmal dreissig war der Vater des späteren Unternehmers Peter Spuhler damals, doch er sollte die hiesige Gastronomie für nicht weniger als 27 Jahre prägen.

Die «Rotonde», das Hauptrestaurant des Hauses seit 1924, wurde immer stärker auch zum Treffpunkt der Zürcher, und viel spricht dafür, dass Spuhler sich spätestens in den Siebzigern einen Namen machte in Zürich; er wurde jedenfalls auf der Speisekarte erwähnt. Längst mussten sich die Gäste nicht mehr mit einem Menu zufriedengeben, sondern konnten à la carte wählen. Obwohl die französische Küche noch immer dominierte, schimmerte hier und dort die Moderne durch.

Neben Seezunge «au beurre Vladimir» und dem Toast au foie de volaille Bergerac gab es auch Bündnerfleisch (zu 20 Franken) oder neumodischen Gravad Lax («für den Liebhaber der skandinavischen Küche») zu stolzen 35 Franken. Langoustines («Jungfernhummer») mit Pfefferschoten zu 44 Franken oder Wolfsbarsch vom Grill für zwei Personen (85 Franken) dürften in Spuhlers Zeit zu den teuersten Hauptspeisen der Stadt gezählt haben und lassen heute noch staunen: Angesichts der damaligen Transportwege, der Logistik- und Zollprobleme wirkt es umso beeindruckender, welche Fülle an hochwertigen Zutaten der Küchenchef einkaufen durfte.

Die Sterneküche kam erst nach dem Umbau

Den Stern im Guide Michelin gab es trotzdem nicht, nachdem der französische Guide 1982 begonnen hatte, zumindest einige Schweizer Restaurants auszuzeichnen. Nach Paul Spuhlers Weggang schien der Ruf der «Dolder»-Küche zu stagnieren. Heiko Nieder, der 2008 im «Dolder» anheuerte, war nach Schliessung, Umbau und Neueröffnung der erste Küchenchef des Hauses, der sich über Sterne à la Michelin freuen konnte. Das war 2011.

Und die langjährige Sommelière Lisa Bader konnte ab 2017 eine Weinkarte aufbauen, die mindestens so spannend ausfällt wie die von 1949, allerdings noch deutlich umfangreicher – auch wenn die zahlreichen einst vorhandenen halben Flaschen dem früher unbekannten Wine Pairing zum Opfer gefallen sind.

Apropos früher: Die 1949er Carte du Cave Cinquantenaire ist viel zu aufwendig gestaltet, als dass man sie jährlich hätte neu drucken wollen. Ausgegangene Jahrgänge und veraltete Preise wurden einfach überklebt oder mit Bleistift ergänzt. Eigentlich eine ebenso nachhaltige wie sympathische Methode der Weinkartengestaltung, die locker mit dem gereichten iPad von 2024 mithalten kann.

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