Mittwoch, Oktober 30

Sollen alle AHV-Renten um 8,3 Prozent steigen? Das fordert eine Volksinitiative der Gewerkschaften. Die höheren Renten brächten pro Jahr Zusatzkosten von 4 bis 5 Milliarden Franken. Die Stimmbürger entscheiden darüber am 3. März.

Das Wichtigste in Kürze

  • Seit es die AHV gibt, fordert die politische Linke einen Ausbau der Leistungen. Der jüngste Anlauf ist eine Volksinitiative der Gewerkschaften, die jährlich eine 13. AHV-Monatsrente für alle verlangt. Faktisch entspricht dies einer Rentenerhöhung um 8,3 Prozent. Die Kernbegründungen der Initianten für ihre Forderung: Wer jahrzehntelang gearbeitet habe, verdiene eine anständige Rente, die AHV-Rente reiche zunehmend nicht mehr zum Leben, die Renten seien weniger stark gestiegen als die Löhne, und man könne sich die geforderte Rentenerhöhung leisten.
  • Selbst ohne den geforderten Ausbau rutscht die AHV laut den jüngsten Rechnungen des Bundes um etwa 2031 in die roten Zahlen. Ohne Reformen würden sich die Defizite bis 2050 auf über 100 Milliarden Franken summieren. Die Gewerkschaftsinitiative brächte Zusatzkosten von 4 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr. Der Initiativtext sagt nichts über die Finanzierung. Die Initianten wollen am liebsten höhere Lohnabzüge oder höhere Steuern. Die bürgerlichen Parteien lehnen die Initiative ab. Für die Gegner ist die Vorlage eine teure Giesskanne, die nicht zur Bekämpfung der Altersarmut taugt und die Umverteilung von den Jüngeren zu den Älteren noch massiv verstärkt.

Die Vorlage im Detail

Die vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund lancierte Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente ist relativ einfach: Alle derzeitigen und künftigen AHV-Rentner sollen jedes Jahr eine 13. Monatsrente erhalten. Dies entspricht einer Erhöhung der Jahresrente um 8,3 Prozent. Eine praktisch gleiche Gewerkschaftsinitiative – die eine Erhöhung aller AHV-Renten um 10 Prozent gefordert hatte – war 2016 an der Urne gescheitert (59 Prozent Nein-Stimmen). Der Urnengang vom 3. März über die neue Initiative wird Hinweise dafür liefern, wie sich das politische Klima und das Anspruchsdenken der Bevölkerung in den letzten Jahren verändert haben.

Der Text der Volksinitiative sagt nichts über die Finanzierung der geforderten Rentenerhöhung. Das macht den Vorstoss politisch attraktiv: Er verspricht einen Geldsegen und verschiebt die Rechnung dafür auf später. Laut Bundesschätzungen werden die Zusatzrenten schon im ersten Jahr der Umsetzung über 4 Milliarden Franken kosten. Bis zu Beginn der 2030er Jahre steigen die Zusatzkosten auf über 5 Milliarden Franken pro Jahr, später auf 6 Milliarden.

Rund ein Fünftel der Zusatzkosten ginge zulasten der Bundeskasse, die laut Gesetz 20,2 Prozent der AHV-Gesamtausgaben zu zahlen hat. Die Zusatzkosten für den Bund würden sich somit auf rund 1 Milliarde Franken pro Jahr belaufen. Diese Mittel müsste der Bund durch Einsparungen an anderen Orten oder durch Steuererhöhungen wieder hereinholen. Wer am Ende welchen Anteil der Zusatzkosten tragen wird, ist offen. So kann jeder hoffen, dass es «andere» treffen wird.

Den Rest der Zusatzkosten müsste die AHV direkt wieder hereinholen. Schon auf Basis der geltenden Regeln wird die AHV laut den jüngsten Szenarienrechnungen des Bundes um 2031 in die roten Zahlen rutschen – trotz den finanziellen Verbesserungen durch die 2022 vom Volk angenommene Reform «AHV 21» (vgl. Grafik). Laut einer Langfristschätzung des Bundes von 2022 summieren sich die AHV-Defizite des Bundes ohne weitere Reformen bis 2050 auf über 100 Milliarden Franken.

Dies liegt an den demografischen Grundlagen. In den nächsten fünf bis zwanzig Jahren gehen zahlenmässig starke Jahrgänge in Rente. Und die Lebenserwartung nimmt laufend zu, so dass die AHV eine gegebene Jahresrente ohne Erhöhung des Rentenalters länger ausrichten muss. Die laufende Erhöhung der Lebenserwartung bewirkt damit ohne jede Gesetzesänderung einen stetigen Ausbau der AHV-Leistungen – was irgendwann irgendjemand bezahlen muss.

Kommende Finanzlücken

Jährliches Umlageergebnis* der AHV im Referenzszenario, in Milliarden Franken

Mit Volksinitiative für höhere Renten

Die von der Gewerkschaftsinitiative geforderte Rentenerhöhung würde trotz einer zusätzlichen Bundesmilliarde pro Jahr das kommende Finanzloch der AHV noch massiv vergrössern. Mögliche Wege zur Finanzierung dieser Zusatzrenten wären laut Bundesrechnung eine generelle Erhöhung des ordentlichen Rentenalters um etwa zwei bis zweieinhalb Jahre, eine Erhöhung der Lohnabzüge um total 0,8 Prozentpunkte oder eine noch stärkere AHV-Subventionierung durch Steuergelder (zum Beispiel durch zusätzlich 1,1 Mehrwertsteuerprozente). Dies käme zu den ohnehin schon nötigen Sanierungsmassnahmen hinzu. Die Initianten sähen am liebsten höhere Lohnabzüge oder mehr Subventionen via Steuergelder (inklusive Finanzierung durch Nationalbankgelder, was faktisch ebenfalls einer Steuerfinanzierung entspräche).

Das Alter ist in der Schweiz kein generelles Armutsrisiko. Die meisten Rentner stehen finanziell gut da – mindestens so gut wie die Erwerbstätigen. Dies zeigen statistische Analysen und Umfragen. Doch es gibt Altersarmut – so wie es auch Armut unter den Jüngeren gibt. Laut den offiziellen Daten gilt jeder achte Altersrentner als arm. 2022 bezogen gut 12 Prozent aller Altersrentner Ergänzungsleistungen. Können Rentner zeigen, dass ihre Einnahmen zur Finanzierung der minimal notwendigen Lebenskosten nicht reichen, haben sie Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Die Gewerkschaftsinitiative verlangt, dass die geforderte Rentenerhöhung bei der Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen nicht berücksichtigt wird. Dies soll verhindern, dass arme Rentner ihre Rentenerhöhung durch Reduktion der Ergänzungsleistungen gleich wieder wegschwimmen sehen. Die Initiative unterhöhlt damit aber das Prinzip der Ergänzungsleistungen als bedarfsorientierte und damit zielgerichtete Sozialmassnahme.

Im Kern geht es nicht um die Bekämpfung der Altersarmut – denn dafür gibt es mit den Ergänzungsleistungen schon lange ein zielgerichtetes Instrument. Vielmehr geht es bei der Volksinitiative um einen massiven Ausbau der versteckten Umverteilung von oben nach unten und von Jüngeren zu Älteren. Die jetzigen Rentner würden von der pauschalen Rentenerhöhung sofort profitieren, aber später höchstens einen kleinen Teil dieser Zusatzleistung durch höhere Steuern wieder zurückzahlen. Im Prinzip das Gleiche gilt, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, für Erwerbstätige, die nicht mehr allzu weit vom Rentenalter entfernt sind.

Die genauen Umverteilungswirkungen hängen von der Art der Finanzierung ab. Die Initiativen wollen die versteckte Umverteilung von oben nach unten und von Jung zu Alt maximieren. Dieses Ziel wird durch eine Finanzierung über Lohnabzüge am ehesten erreicht. Ein 20-Jähriger zahlt erhöhte Lohnabzüge etwa 45 Jahre lang, ein 60-Jähriger nur 5 Jahre lang, und ein Rentner zahlt überhaupt nichts. Die Umverteilung von oben nach unten steigt derweil dadurch, dass (vereinfacht gesagt) Lohnbeiträge nur bis zu einem Jahreslohn von etwa 100 000 Franken die Rente des Betroffenen erhöhen. Beiträge auf Löhnen über dieser Schwelle sind faktisch Steuern und subventionieren die Bezüger von tieferen Einkommen.

Bei einer Finanzierung via Mehrwertsteuer zahlen die Rentner mit, doch sie zahlen viel weniger als die Jüngeren. Das gilt auch bei einer Finanzierung via allgemeine Steuermittel oder die Nationalbank. Bei einer Finanzierung durch allgemeine Erhöhung des Rentenalters kämen die jetzigen Rentner ungeschoren davon, aber wenigstens wären die Lasten innerhalb der Gruppe der Erwerbstätigen eher gleichmässig verteilt. Das Rentenalter ist Gegenstand einer Volksinitiative der Jungfreisinnigen, die ebenfalls am 3. März zur Abstimmung kommt. Die politische Linke kämpft vehement gegen jede Erhöhung des Rentenalters, weil dies die versteckte Umverteilung von oben nach unten und von Jung zu Alt bremsen würde.

Ganz grob gesagt, dürften Personen ab etwa Alter 50 von der Gewerkschaftsinitiative per saldo finanziell profitieren, während die Jüngeren irgendwann später die Rechnung dafür zahlen müssen. Politisch ist diese Volksinitiative damit sehr attraktiv, denn 60 bis 65 Prozent der Urnengänger in der Schweiz sind älter als 50-jährig. Ähnlich wie in der Klimapolitik werden die Stimmbürger auch in der Altersvorsorge entscheiden müssen, welche Hypotheken sie den Jüngeren hinterlassen wollen. Der Urnengang vom 3. März liefert einen wichtigen Testfall dazu.

Die Gewerkschaften und generell die politische Linke kämpfen für die Initiative. Sie bringen vor allem folgende Begründungen vor: Von Mieten über Krankenkassenprämien und Lebensmittel bis zum Strom werde vieles teurer, was für Rentner einen Kaufkraftverlust bedeute; die Pensionskassenrenten seien am Sinken, weshalb es eine Kompensation durch Rentenerhöhung in der AHV brauche; für die Frauen sei eine Rentenerhöhung besonders wichtig; die Reichen zahlten in der AHV mehr als die Armen; die geforderten Zusatzrenten seien für die AHV finanzierbar und würden für die Arbeitnehmer nur einen zusätzlichen Lohnabzug von 0,4 Prozentpunkten bedeuten (ohne Berücksichtigung des Arbeitgeberanteils); die «Angstszenarien» über Finanzlücken in der AHV hätten sich bisher nicht bewahrheitet.

Die bürgerlichen Parteien, die Grünliberalen und die Wirtschaftsverbände sind gegen die Vorlage. Auch der Bundesrat und das Parlament lehnen die Initiative ab. Doch auch die bürgerlichen Parteien haben wegen der Wählerdemografie ein Interesse daran, die Rentner und die älteren Erwerbstätigen bei Laune zu halten und möglichst hohe Lasten den Jüngeren anzuhängen.

Die Gegner der Initiative bringen besonders folgende Argumente vor: Eine pauschale Erhöhung aller AHV-Renten sei eine sozialpolitisch verschwenderische Giesskanne, da sie nicht nur der relativ kleinen Minderheit der armen Rentner zugutekomme, sondern auch den vielen gutgestellten Rentnern einschliesslich Multimillionären; die Kosten der Initiative seien sehr hoch und brächten die ohnehin schon nicht nachhaltig finanzierte AHV in eine noch stärkere Schieflage; der hohe Finanzierungsbedarf für die geforderte Rentenerhöhung bringe zusätzliche wirtschaftliche Belastungen und verschärfe den ohnehin schon grossen Finanzdruck beim Bund; die Ausklammerung der geforderten AHV-Renten-Erhöhung bei der Berechnung von Ansprüchen für Ergänzungsleistungen schaffe eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen AHV- und IV-Rentnern.

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