Jüdische Intellektuelle distanzieren sich von der französischen Linken. In deutschen Medien sorgt das für Unverständnis – weil man sich lieber nicht mit dem Thema beschäftigt.

Ihren Twitter-Account ziert ein «Stopp Genozid»-Button, dazu der Slogan «Im Leben kann man an vielen Dingen zweifeln, nur nicht an der Befreiung Palästinas». Rima Hassan, 32 Jahre alt, ist Juristin und Spitzenpolitikerin der Partei La France Insoumise (LFI), Anfang Juni ist sie ins Europaparlament gewählt worden.

Auf X postet Hassan beinahe im Stundentakt Botschaften, die meisten davon betreffen Israel. «Israel benutzt trainierte Hunde, um Palästinenser in Haftanstalten zu vergewaltigen», schreibt sie am 24. Juni. Oder: «Die Terroristen in den besetzten Gebieten sind die Besetzer, nicht die Besetzten.» Dazu postet sie Bilder von toten Kindern und immer wieder die gleiche Botschaft: «Israel ist ein namenloser Betrug.»

Die Greueltaten der Hamas findet die frankopalästinensische Politikerin legitim. Den französischen Aussenminister beschuldigte sie, er habe sich «auf Wunsch» des jüdischen Dachverbandes Crif geweigert, die Hamas und Israel gleichzusetzen. Eine klassische Verschwörungstheorie über den Einfluss der, wie es bei Linksaussen und Islamisten heisst, «zionistischen Lobby».

Bedrohliches Klima für jüdische Bevölkerung

Rima Hassan ist nicht zu Unrecht zur Symbolfigur einer Linken geworden, die Kritik an Israel bewusst mit Judenhass, Verschwörungstheorien, antikapitalistischer Rhetorik und Terror-Apologie vermischt – und damit massgeblich zu einem Klima beiträgt, das für Juden schon lange bedrohlich ist.

Seit dem 7. Oktober ist die Zahl der ohnehin schon vielen antisemitischen Vorfälle explodiert, von 436 im Jahr 2022 auf 1676 im letzten Jahr. Das Meinungsforschungsinstitut Ifop hat kürzlich die Bevölkerung befragt, welche Partei am meisten für den Anstieg des Judenhasses verantwortlich sei. 92 Prozent der jüdischen Teilnehmer nannten die LFI. Im Fall der Rechtsaussenpartei Rassemblement national von Marine Le Pen waren es nur 49 Prozent, noch hinter den Grünen mit 60 Prozent.

«Partei der Schande» nannte der Publizist Saïd Mahrane die LFI in der Zeitschrift «Le Point». Israel und die Juden seien zum Thema Nummer eins der Partei geworden. Das zeigt sich auch im Parlament, wo LFI-Vertreter unlängst eine palästinensische Flagge hissten. Ein proisraelischer Abgeordneter wurde als «Schwein» beschimpft, das sich im Sumpf des Genozids suhle.

Der Wandel des Jean-Luc Mélenchon

Dahinter steht eine gewagte Strategie des LFI-Gründers Jean-Luc Mélenchon: Seine Partei versucht, neue Wählerschichten in arabisch und maghrebinisch geprägten Quartieren zu mobilisieren, in denen Ressentiments gegen Israel und die Juden stark verbreitet sind.

Dabei war Mélenchon einst ein Vertreter der laizistischen Linken. Es sei falsch, in Frankreich «die Probleme am Jordan» angehen zu wollen, sagte er 2001. «Es liegt an ihnen, das zu lösen.» Mit Islamisten wollte er nichts zu tun haben. Noch 2010 mokierte er sich über Kopftuchträgerinnen: «Sie stigmatisieren sich selbst (. . .) und beschweren sich dann über die Stigmatisierung, der sie sich ausgesetzt fühlen.»

Neun Jahre später lief derselbe Mann bei einer Demonstration gegen «Islamophobie» in Paris mit, an der bärtige Männer «Allahu akbar» riefen und sich Demonstranten mit Judensternen schmückten, als wären sie die Verfolgten der Gegenwart. Heute verkündet er an Demonstrationen, er sei stolz auf «das Volk», das sich «gegen den Genozid in Gaza» erhebe. Die Teilnehmer einer grossen Kundgebung gegen Antisemitismus beschuldigte er dagegen, sie würden die Bombardements in Gaza unterstützen.

Judenhass, so erklärte er vor einigen Wochen, sei ohnehin ein «Restproblem», das von der «offiziösen Propaganda» aufgebauscht werde. Als wären Beschimpfungen von Juden auf Schulhöfen nicht verbreitet und als hätte es nicht zahlreiche Gewalttaten und mehrere islamistische Morde an Juden gegeben in Frankreich.

Im Mai hat ein bewaffneter Algerier versucht, die Synagoge in Rouen anzuzünden. Und in Courbevoie sollen drei Minderjährige ein Mädchen vergewaltigt haben, weil es jüdisch ist. Der Hauptverdächtige ist laut einem Bericht der Zeitung «Le Figaro» ein muslimischer Konvertit, der das Mädchen beschuldigt haben soll, ihm gegenüber seine Religionszugehörigkeit verleugnet zu haben, und zudem beschuldigte er es, gegen Palästina zu sein. Sein Tiktok-Profil zierte ein «Stopp Genozid»-Button.

Mélenchons Strategie zahlt sich aus: Bei den Präsidentschaftswahlen 2022 gaben ihm 69 Prozent der muslimischen Wähler ihre Stimme.

Bei den Europawahlen hat die LFI nur knapp 10 Prozent der Stimmen erhalten. Sie dominiert aber die neue «Volksfront», die Kommunisten, Sozialisten, Grüne und kleinere Linksaussenparteien als «antifaschistischen» Gegenpol zu Marine Le Pens Rassemblement national gebildet haben.

Offiziell ruft das Bündnis zum Kampf gegen alle Judenhasser auf, behauptet aber, auch «Islamophobie» müsse an Schulen bekämpft werden – womit Täter in den eigenen Reihen geschützt und massgebliche Ursachen des Problems gleich wieder verwischt werden.

Deutsches Tribunal gegen die Nazijäger Klarsfeld

Der Ruf der France Insoumise ist mittlerweile so schlecht, dass einige jüdische Intellektuelle öffentlich erklärt haben, sie könnten bei den anstehenden Wahlen nicht für die linke Volksfront stimmen. Was die LFI verbreite, könne man nicht mehr als «Ausrutscher» abtun, schreibt Bernard-Henri Lévy bei «Le Point»: Politik sei auch eine Sache der Sprache – und die entlarve Mélenchons Bewegung als antisemitisch.

Das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld will gar lieber für die Partei von Marine Le Pen stimmen. Serge Klarsfeld entkam der Gestapo nur knapp, sein Vater wurde in Auschwitz ermordet. Das Ehepaar hat sein Leben lang dafür gekämpft, Nazi-Verbrecher wie Klaus Barbie vor Gericht zu bringen – und den Front national zu bekämpfen.

Nun haben die beiden ihre Meinung geändert. «Man darf nicht übertreiben, das sind keine Faschisten, sondern Populisten», sagte Klarsfeld der «Tageszeitung» («TAZ»). Die Partei habe sich gewandelt.

Sicher ist, dass sich Marine Le Pen heute philosemitisch und proisraelisch gibt. Ihren Vater Jean-Marie hat sie 2015 aus der Partei geworfen. Er war ein klassischer Antisemit, der in seinem Front national ehemalige Angehörige der Waffen-SS, OAS-Terroristen und Holocaust-Leugner versammelte. Wie weit sich die Partei wirklich gewandelt hat, ist jedoch fraglich – der RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella sagte kürzlich ernsthaft, Jean-Marie Le Pen sei kein Antisemit gewesen.

In deutschen Medien haben die Äusserungen der Klarsfelds für grosses Unverständnis gesorgt. «Nazi-Jäger will Nazi-Partei» wählen, schrieb der «Tagesspiegel». Bezeichnenderweise klagte die Zeitung lieber über die «Islamophobie» und den Antisemitismus der Rechten, als sich mit der Frage zu beschäftigen, ob es auch nachvollziehbare Gründe für den Entscheid der Klarsfelds gibt.

Die «TAZ» wiederum löcherte die verdienten Antifaschisten mit vorwurfsvollen Fragen und forderte sie auf, die Aussage zu bestätigen, wonach Bildung mehr gegen Antisemitismus helfe als Abschiebungen. Dass in Frankreich viele Lehrer Angst haben, den Holocaust zu thematisieren, ist der Zeitung offenbar nicht bekannt. Dabei haben heute viele französische Lehrer Angst, Themen wie jüdische Religion oder den Holocaust überhaupt anzusprechen. Schulungen dürften also schwierig sein.

Die Deutsche Presse-Agentur (DPA) schrieb, die France Insoumise verfolge derzeit einen dezidiert propalästinensischen Kurs. So kann man es auch nennen.

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