Freitag, Oktober 4

Ein Patentrezept für den Umgang mit extremistischen Parteien gibt es nicht. Aus den Fehlern im Norden lässt sich jedoch lernen.

Weder die Ausgrenzung noch die Warnungen haben etwas genützt. In Sachsen und Thüringen, wo der Verfassungsschutz die AfD-Landesverbände als rechtsextremistisch einstuft, hat die Partei die Landtagswahlen gewonnen.

Die Wahlen sind von besonderer Bedeutung, sie gelten als Gradmesser für die Bundestagswahlen im kommenden Jahr. Was sich in Thüringen und Sachsen zeigt, könnte bald in ganz Deutschland Realität sein: eine starke AfD, an der rein rechnerisch eigentlich kein Weg vorbeiführt. Noch halten die etablierten Parteien an der Brandmauer fest, um die AfD auszugrenzen. Doch wie sie mit dieser Strategie eine regierungsfähige Koalition bilden wollen, ist unklar. Was also tun?

Diese Frage mussten sich auch Schweden und Finnland in den letzten Jahren stellen. In Schweden wurden die rechtsnationalen Schwedendemokraten 2022 zur zweitstärksten Kraft gewählt. Die Partei tritt offen rassistisch auf und wurde von Neonazis und Skinheads gegründet. Die Finnenpartei hingegen ging aus einer früheren Bauernpartei hervor. Auch sie bewegt sich am rechten Rand. Bei den vergangenen Wahlen stieg sie zur zweitgrössten Partei Finnlands auf.

Im Umgang mit den Rechten haben Finnland und Schweden unterschiedliche Wege gewählt. Im schwedischen Kabinett sind die Rechtsnationalen nicht vertreten, die Regierung kann jedoch nur dank ihrer Unterstützung regieren, weil sie sonst im Parlament nicht auf die benötigte Mehrheit kommt. In Finnland ist die Finnenpartei Teil der rechtskonservativen Regierung.

Schweden: die Hilfskraft am Steuer

In Schweden kursiert ein Video in den sozialen Netzwerken. Es zeigt den schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson und die eingeblendete Frage: «Wer bestimmt die Klimapolitik?» Ehe der Regierungschef antworten kann, erscheint im Bild Jimmie Akesson, der Parteichef der Schwedendemokraten. Er sagt: «Ich entscheide immer alles.»

Der Clip ist eine Produkt aus der Trollfabrik der Rechtsnationalen. Die Schwedendemokraten streuen über anonyme Accounts in den sozialen Netzwerken Falschinformationen und schüren Fremdenhass. Und sie machen sich über die Regierung lustig. Mit dem beschriebenen Video treffen sie einen wunden Punkt: Ministerpräsident Kristersson mag offiziell die Regierung führen, doch der Schwedendemokraten-Chef Akesson hält als Hilfskraft das Steuer fest in der Hand. Ohne die Schwedendemokraten geht in der Politik nichts.

Der rechte Block hat die schwedischen Wahlen im Herbst 2022 mit 176 zu 173 Sitzen knapp gewonnen. Das beste Resultat von den rechten Parteien erreichten die Schwedendemokraten mit 20,5 Prozent der Stimmen vor den Moderaten, die auf 19,1 Prozent kamen. Wenn Akesson seinen Führungsanspruch durchgesetzt hätte, wäre die Koalition nicht zustande gekommen. Die Koalitionsbildung übernahm Kristersson, und die Bürgerlichen mussten sich entscheiden: ein Regierungsbündnis eingehen mit den Geächteten – oder auf die Macht verzichten.

Die Schwedendemokraten wurden zu einem Juniorpartner: Als grösste rechte Partei sind sie nicht im Kabinett vertreten, verhelfen der Regierung im Parlament jedoch zur benötigten Mehrheit.

Die Lösung klang wie Win-win für beide Seiten, hatte aber am Ende vor allem einen Profiteur: die Schwedendemokraten. Auch wenn sie nicht im Kabinett vertreten sind, konnten sie das Regierungsprogramm wesentlich mitbestimmen – insbesondere in der Migrationspolitik.

Doch ihre Macht kommt ohne Verantwortung. Die Schwedendemokraten sind Regierungs- und Oppositionspartei zugleich. Sie können die Arbeit der Regierung kritisieren – schliesslich sind sie nicht Teil des Kabinetts. Das tun sie besonders gern, wenn es um die Bekämpfung der Gangkriminalität geht. Läuft in der Regierung hingegen etwas gut, können sie es sich selbst zuschreiben.

Nach den Wahlen konnten die Schwedendemokraten ihre Position als zweitstärkste Partei ausbauen. In den letzten Umfragen schwächelt die Partei zwar ein wenig und wurde hinter die Moderaten auf den dritten Platz verdrängt. Von einer Trendumkehr zu sprechen, wäre aber verfrüht: Die nächsten Wahlen in Schweden stehen erst 2026 wieder an.

Finnland: Die Oppositionspartei in der Verantwortung

Bei den Wahlen 2023 stiegen die finnischen Rechtsnationalen mit 20,1 Prozent zur zweitstärksten Kraft auf. Dass die konservative Sammlungspartei, die die Wahl mit 20,8 Prozent gewonnen hatte, die Finnenpartei in die Koalition einlud, war kein Tabubruch – auch wenn die Zusammenarbeit mit den Rechtsnationalen ihr noch viel Kritik einbringen sollte.

Die finnischen Rechtsnationalen lassen sich nur bedingt mit den Schwedendemokraten oder der AfD vergleichen. Als Nachfolgerin einer Bauernpartei hat die Finnenpartei eher Gemeinsamkeiten mit der SVP, die in der Schweiz seit Jahrzehnten wie selbstverständlich mitregiert. In ihren Reihen hat die Finnenpartei allerdings einige dubiose Exponenten.

Die fragwürdigen Personalien führten Finnland fast in eine Regierungskrise. Nach nur zehn Tagen im Amt musste der Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila wegen Nazi-Vorwürfen zurücktreten. Dann machten finnische Medien publik, dass die Parteichefin und Finanzministerin Riikka Purra rassistische Kommentare im Blog ihres Parteikollegen Jussi Halla-aho veröffentlicht hatte.

Der konservative Ministerpräsident Petteri Orpo geriet in Erklärungsnot und machte bei der Schadensbekämpfung keinen besonders souveränen Eindruck. Um den Imageschaden zu begrenzen und die Koalition zusammenzuhalten, kündigte die Regierung eine Kampagne gegen Rassismus an. Im August zog sich ausgerechnet die Finnenpartei von diesem Vorhaben zurück. Orpos Glaubwürdigkeit hat das geschwächt.

Anders als viele Rechtsaussenparteien wurde die Finnenpartei nicht nur wegen ihrer harten Migrationspolitik gewählt. Finnland hat sich in den vergangenen Legislaturen stark verschuldet, die Finnenpartei will sparen – ein Anliegen, das grosse Teile der Bevölkerung mit ihr teilen. Die Finanzministerin und Parteichefin Riikka Purra wurde in den letzten Monaten zum Gesicht eines Sparprogramms, das viele ihrer Wählerinnen und Wähler direkt trifft. Doch Wahlversprechen umsetzen zu müssen, wirkt sich auf die Beliebtheit aus. In den letzten Umfragen hat die Partei gegenüber ihrem Wahlergebnis 4,2 Prozent an Wähleranteilen eingebüsst.

Vor sieben Jahren war die Finnenpartei schon einmal an einer Regierung beteiligt. Damals spaltete sie sich in einen fundamentalistischen und einen pragmatischen Flügel auf. Die Pragmatiker übernahmen Verantwortung, blieben im Kabinett und verschwanden nach der Legislatur von der politischen Bühne. Die Fundamentalisten begaben sich in die Opposition. Ob die Partei diesmal Macht und Verantwortung tragen kann, ohne erneut zu implodieren, wird sich zeigen.

Das Dilemma: Ausgrenzung und Akzeptanz

Die Beispiele von Schweden und Finnland zeigen, dass es für den Umgang mit extremistischen Parteien kein Patentrezept gibt – zumal sich der Kontext und der Grad des Extremismus unterscheidet. Deutschland ist nur schon wegen seiner Geschichte ein Spezialfall.

In Schweden hat die Ausgrenzung der Schwedendemokraten dazu geführt, dass die Partei enorm gewachsen ist. 2010 zog sie mit sechs Prozent der Stimmen erstmals ins Parlament ein. Heute wählt im Land jeder Fünfte die Rechtsnationalen. Von einer unangenehmen Randerscheinung, die sich ignorieren lässt, kann man nicht mehr sprechen. Die Rolle als Hilfspartei der Regierung hat vor allem einer Partei geholfen: den Schwedendemokraten.

In Finnland hat die Regierungsverantwortung die Rechtsnationalen hingegen entmystifiziert. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass extreme Positionen salonfähig werden und das Image des Landes leidet.

Ausgrenzung und Ignoranz helfen nicht, um Rechtsaussenparteien zu bekämpfen. Inzwischen haben etablierte Kräfte in Finnland und Schweden erkannt, dass sie nur eine Möglichkeit haben, um die Entwicklung zu stoppen: Sie müssen sich die Themen der Extremisten zu eigen machen und echte Lösungen bieten – jenseits von Polemik und Populismus.

Exit mobile version