Samstag, Oktober 5

Laut dem Inlandgeheimdienst sind Landesverbände und Jugendorganisation der Alternative für Deutschland gesichert rechtsextrem. Doch an dieser Einordnung gibt es auch Zweifel.

Der thüringische Spitzenkandidat der AfD betritt am Wahlabend das ARD-Fernsehstudio. Vierzig Sekunden dauert der folgende Wortwechsel zwischen Björn Höcke und dem Moderator Gunnar Breske. Der begrüsst den AfD-Politiker wie folgt:

«Und damit kommen wir zu Ihnen, Herr Höcke. Sie sind die Partei mit den meisten Stimmen an diesem Wahlabend. Sie werden aber auch als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.»

«Das musste ja gerade wieder sein», fällt Höcke ihm ins Wort.

«Ist eine Tatsache», sagt der Moderator.

«Wollen wir uns darüber unterhalten?»

«Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten über . . .»

«Dann hören Sie bitte auf, mich zu stigmatisieren. Wir sind die Volkspartei Nummer eins in Thüringen. Sie wollen doch nicht ein Drittel der Wähler als rechtsextrem einstufen», erwidert Höcke.

Was heisst «gesichert rechtsextrem»?

Tatsächlich kommen wenige Journalisten in Deutschland ohne den Hinweis aus, die AfD sei eine «gesichert rechtsextreme» oder «gesichert rechtsextremistische» Partei. Doch wer bestimmt das?

Die gebetsmühlenartig wiederholte Einschätzung kommt vom Bundesamt für Verfassungsschutz, dem deutschen Inlandgeheimdienst. Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen einem Prüffall, einem Verdachtsfall und einer gesichert extremistischen Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung.

Seit März 2021 stuft das Landesamt für Verfassungsschutz die Thüringer AfD als «erwiesen rechtsextremistisch» ein. Auch die Junge Alternative des Landes (JA Thüringen) gilt für die Behörde seit März als «gesichert rechtsextremistisch». Das Gleiche gilt für den sächsischen Landesverband der AfD.

Der Verfassungsschutz ist weisungsgebunden

Dreh- und Angelpunkt der Beobachtung ist der von der Behörde attestierte «ethnisch-kulturelle Volksbegriff», dem Teile der AfD laut dem Verfassungsschutz anhängen. Der Begriff sei nie «rein deskriptiv», sondern mit «Wertungen» verbunden, «die zu einer Abwertung zugewanderter Menschen führen», er verstosse gegen die Menschenwürde. Das mache die Partei gesichert rechtsextremistisch. So kann man es im Thüringer Bericht der Behörde aus dem Jahr 2022 nachlesen.

In seinem Buch «Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?» weist der ehemalige SPD-Minister Mathias Brodkorb darauf hin, dass die Einschätzung des Volksbegriffs, wie ihn einige AfD-Politiker verwenden, nicht einheitlich als rechtsextrem angesehen werde. Die Bewertung variiere vielmehr zwischen den Verfassungsschutzbehörden und stehe teilweise im Widerspruch zu anderen Veröffentlichungen. Auch das Grundgesetz selbst kennt ein «deutsches Volk». Die Bundesregierung fördert zudem nachweislich selbst die «ethnokulturelle Identität» von Auslanddeutschen.

Das Beispiel zeigt, dass die Interpretation des Begriffs nicht eindeutig festgelegt ist und von Behörde zu Behörde unterschiedlich ausfällt.

Was der Moderator des öffentlichrechtlichen Rundfunks als «Tatsache» darstellt, ist die Auslegungssache einer nicht unabhängigen, sondern weisungsgebundenen Behörde mit politischen Beamten. Die Behörde untersteht dem Bundesinnenministerium. Das schliesst zwar eine rechtsextreme Gesinnung einiger AfD-Politiker nicht aus, stellt jedoch auch kein wissenschaftlich fundiertes Urteil dar, sondern bietet Raum für Interpretation.

Haldenwang will Zustimmung für AfD senken

Nach seiner Gründung im Jahr 1950 konzentrierte sich der Inlandgeheimdienst hauptsächlich auf die Beobachtung des linken bis linksradikalen Spektrums. So wurde der amtierende thüringische Ministerpräsident und Linkenpolitiker Bodo Ramelow jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtet, bis das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Observation verfassungswidrig sei.

Mit der Abberufung des ehemaligen Präsidenten Hans-Georg Maassen änderte sich der Fokus zunehmend in Richtung einer verstärkten Beobachtung des rechten Spektrums, insbesondere der AfD. Maassen hatte 2016 Forderungen der SPD zurückgewiesen, die Alternative für Deutschland unter Beobachtung zu stellen.

Auf Maassen folgte 2018 Thomas Haldenwang. Dieser widmete sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger mit Verve der AfD-Kritik. Im Juni des vergangenen Jahres sagte Haldenwang im ZDF-Interview: «Nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, die Umfragewerte der AfD zu senken.» Daraus lässt sich ableiten, dass der Chef des Inlandsgeheimdienstes es auch als seine Aufgabe betrachtet, die Rechtspartei kleinzukriegen. Das wirft zumindest die Frage auf, inwieweit Haldenwangs Behörde die AfD neutral bewertet.

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