Montag, Oktober 14

Trotz hoher und steigender Staatsverschuldung werden Brasiliens Anleihen wieder attraktiver. Ein gutes Zeichen für Lateinamerika.

Anfang Oktober ereilte die Finanzmärkte in São Paulo eine überraschende Nachricht: Erstmals seit acht Jahren hat die Rating-Agentur Moody’s das Länderrisiko Brasiliens heraufgestuft. Mit Ba1 fehlt Brasilien nur noch ein Upgrade, um den sogenannten Investment-Grade wiederzuerlangen, den es im Jahr 2015 verloren hatte. Erzielt ein Land den Investment-Grade, heisst das, dass seine Anleihen ein relativ geringes Ausfallrisiko aufweisen.

Für ein Schwellenland wie Brasilien ist das wichtig, da es institutionellen Anlegern wie Pensionsfonds ermöglicht, in Anleihen oder Fonds des Landes zu investieren. Die Kreditaufnahme wird dadurch einfacher und günstiger.

Auch brasilianische Unternehmen und Banken, die sich international finanzieren wollen, profitieren von einem besseren Länder-Rating. Nach der Heraufstufung verbesserte Moody’s auch die Ratings zahlreicher brasilianischer Konzerne und Banken.

Die Verbesserung der Kreditwürdigkeit Brasiliens kam überraschend. Denn fast alle Investmentbanken und Ökonomen sind seit langem der Meinung, dass Brasiliens Haushaltsdefizit zu gross ist und die Verschuldung daher zu schnell steigen wird.

Die Regierung gibt zu viel aus – doch sie kommt damit durch

Kaum jemand rechnet damit, dass die Regierung ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen in den nächsten Jahren einen ausgeglichenen oder gar positiven Haushalt erreichen wird. Die Investmentbank Goldman Sachs erwartet, dass das Primärdefizit Ende dieses Jahres bei 0,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) liegen und im nächsten Jahr sogar noch steigen wird.

Statt eines Defizits wären aber Primärüberschüsse nötig, um den Finanzmärkten zu signalisieren, dass die Verschuldung wieder sinkt. Andernfalls sind weitere Zinserhöhungen notwendig, um Investoren zu überzeugen, Brasilien Geld zu leihen. Schon jetzt liegt der Leitzins bei 10,75 Prozent. Die hohen Zinsen treiben auch die Zinskosten der Schulden weiter in die Höhe. Zumal Investmentbanken wie Goldman Sachs davon ausgehen, dass der Leitzins auch Ende nächsten Jahres noch zweistellig sein wird.

Tatsächlich ist die Staatsverschuldung Brasiliens seit dem Amtsantritt der Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva Anfang letzten Jahres um fast 10 Prozentpunkte gestiegen. Die Rating-Agentur Fitch etwa befürchtet, dass die Verschuldung im kommenden Jahr auf 84 Prozent des BIP steigen könnte (von 72 Prozent Anfang 2023).

Doch Moody’s lässt sich von solchen Befürchtungen nicht beeindrucken. Für die Agentur ist das Wirtschaftswachstum, das bereits im dritten Jahr in Folge besser ist als erwartet, der entscheidende Grund, dass Brasilien dank höheren Steuereinnahmen seine Schulden zurückzahlen kann.

Brasilien hat durch Reformen seine Produktivität gesteigert

Auch die Reformen der letzten Jahre wie zum Beispiel die Autonomie der Zentralbank, die Rentenreform, die Steuerreform oder die strengeren Corporate-Governance-Regeln für Staatsunternehmen hätten die Produktivität Brasiliens erhöht, so Moody’s. Die Rating-Agentur schätzt, dass Brasiliens Wirtschaft nun problemlos um 2,5 Prozent (statt bisher 2 Prozent) wachsen kann, ohne dass die Inflation wieder steigt.

Das ist ein überraschend gutes Zeugnis für die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung. Zumal Moody’s nicht nur das Rating verbessert, sondern auch einen positiven Ausblick gegeben hat. Damit ist Moody’s allerdings optimistischer als die beiden anderen grossen Rating-Agenturen. Standard & Poor’s und Fitch bewerten das Land mit BB, zwei Stufen unter dem Investment-Grade, der Ausblick ist bei beiden stabil.

Unter den sechs grössten Volkswirtschaften Lateinamerikas ist Brasilien derzeit neben dem von Hochinflation und Rezession geplagten Argentinien das einzige Land ohne Investment-Grade-Rating. Chile, Mexiko, Peru und Kolumbien haben das Gütesiegel der Agenturen.

Rousseff verlor das Investment-Grade – dann ihr Amt

Doch für alle diese Volkswirtschaften haben sich die Aussichten aus Sicht der Rating-Experten in den vergangenen zwölf Monaten verschlechtert. Mittelfristig könnte es zu Herabstufungen kommen. Vor allem die schwachen Wachstumsaussichten in Kolumbien und die kontraproduktive Wirtschaftspolitik in Mexiko haben die Agenturen skeptischer werden lassen. Die Heraufstufung des Länderrisikos Brasiliens ist daher ein positives Signal inmitten wachsender Skepsis gegenüber den lateinamerikanischen Staaten.

Der brasilianische Präsident Lula hat den persönlichen Ehrgeiz, das Gütesiegel für Brasilien wiederzuerlangen. Im Jahr 2008 war ihm dies in seiner zweiten Amtszeit gelungen, obwohl auch damals Investmentbanken vor den staatlichen Eingriffen der Regierung des Arbeiterführers in die Wirtschaft gewarnt hatten.

Doch nachdem unter seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff die Staatsverschuldung explodiert war, verlor Brasilien 2015 das Gütesiegel – und Präsidentin Rousseff kurz darauf ihr Amt durch ein Amtsenthebungsverfahren.

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