Freitag, November 22

Der Kulturbetrieb ist zur Zone eines politischen Aktivismus und überheblichen Moralismus geworden.

«This Will Not End Well» heisst die neue Ausstellung der berühmten amerikanischen Fotografin Nan Goldin in Berlin. Es könnte sein, dass nicht einmal bei der Eröffnung am kommenden Samstag alles gut ausgeht. Proteste gegen Goldins einseitig antiisraelische Haltung im Gaza-Konflikt sind zu befürchten. Aber auch Aufmärsche propalästinensischer Aktivisten.

Gemeinsam mit der Künstlerin glauben sie, dass es in Deutschland eine Meinungszensur gebe und dass Israel nicht als der wahre Aggressor des Krieges in Nahost benannt werden dürfe. Einmal mehr gibt es einen Schulterschluss zwischen Künstlern, die sich als links verstehen, und politischen Gruppen mit antisemitischem Rand.

Was dieser Tage eskalieren könnte, hat eine Vorgeschichte. Zwei Wochen nach den Ereignissen des 7. Oktober 2023 unterzeichnete Nan Goldin einen offenen Brief, der in der New Yorker Kunstzeitschrift «Artforum» publiziert wurde. In diesem «Open Letter from the Art Community» wurde Israel heftig für seine Angriffe im Gazastreifen attackiert. Die vorausgegangenen Massaker der palästinensischen Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung allerdings wurden nicht erwähnt.

Sympathisantin der Palästinenser

Seit einem Jahr ist Nan Goldin, die aus einer jüdischen Familie stammt, in Sachen Gaza aktiv. So unerbittlich, wie sie schon für die Rechte queerer Menschen in den USA und gegen die amerikanische Pharmaindustrie gekämpft hat, steht sie jetzt auf der Seite Palästinas. Erst vor einem Monat wurde sie bei einer antiisraelischen Demonstration vor der New Yorker Börse vorübergehend festgenommen. Dort wurde mit einem Sitzstreik gegen die «israelfreundliche Berichterstattung der ‹New York Times›» und gegen die angebliche amerikanische Finanzierung eines Völkermords protestiert.

Die Berliner Neue Nationalgalerie, in der die Werkschau zu Nan Goldin ab 23. November läuft, muss auf einiges gefasst sein. Sie versuchte schon einmal vorzubauen. Unter der Leitung der beiden Kuratoren, des Ehepaars Saba-Nur Cheema und Meron Mendel, wurde für Sonntag das Symposium «Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung. Diskussionsraum zum Nahostkonflikt» angesetzt. Über die politischen Lager und Kulturgrenzen hinweg sollte miteinander diskutiert werden.

Was als Möglichkeit zu wechselseitiger Verständigung gedacht war, ist schon jetzt nur noch ein Scherbenhaufen. Mitschuld daran trägt ausgerechnet Nan Goldin selbst. Über ihren Instagram-Account «Studio Nan Goldin» sagte die Künstlerin zum Symposium: «Ich wollte von Anfang an, dass es abgesagt wird.» Und sie raunt verschwörungstheoretisch weiter: Das Museum habe diese Veranstaltung «nur vorbeugend organisiert, um seine Position in der deutschen Debatte zu sichern, mit anderen Worten: um zu beweisen, dass es meine Politik nicht unterstützt».

Bei dieser Aufregung kommt mit der BDS-nahen Aktionsgruppe Strike Germany auch ein düsterer Mitspieler der Israel-Boykott-Bewegung ins Spiel. Strike Germany ruft dazu auf, nicht mit deutschen Kulturinstitutionen zu kooperieren. Auf Instagram behaupten die Aktivisten, dass die Organisatoren des Berliner Symposiums die in Deutschland übliche zionistische Lüge verbreiteten, Antizionismus sei antisemitisch.

Nan Goldin hat den Instagram-Post der Aktivisten gelikt. Es stört sie offensichtlich auch nicht, dass eingeladene Teilnehmer der Veranstaltung offen diffamiert werden. Die als «bekannte antideutsche Künstlerin» beschimpfte Hito Steyerl, eigentlich als Key-Note-Speakerin vorgesehen, zog mittlerweile ihre Zusage zurück. Auch andere Namen sind von der Liste verschwunden. Die in Berlin lebende Künstlerin Candice Breitz und ihr Kollege Eyal Weizman, Mitstreiter Goldins bei den Protesten gegen Israel, haben abgesagt.

Von Masha Gessen, die vor einem Jahr die Lager in Gaza mit den von den Nazis eingerichteten jüdischen Ghettos verglichen hatte, hiess es erst, sie werde dabei sein. Jetzt ist davon nicht mehr die Rede. In Deutschland herrsche «eine Kultur des Silencing, des Mundtotmachens, eine Verengung der politischen Diskussion», hat Masha Gessen vor einem Jahr gesagt. Nan Goldin spricht jetzt in der «Zeit» von einer «Zensur jüdischer und palästinensischer Stimmen in Deutschland», in der Stadt Berlin, wo sie in den neunziger Jahren als Stipendiatin gelebt hat, sieht sie «ein Zentrum der Unterdrückung».

Moralischer Narzissmus

Der Fall ist kurios. Gerade widmet die Neue Nationalgalerie, eines der besten Häuser am Platz, Nan Goldin eine grosse Ausstellung. Das Leben unterschiedlichster Menschen und Milieus hat die Fotografin in ihrem Werk während Jahrzehnten einfühlsam und auch schonungslos dokumentiert. Niemand wird die Künstlerin aufhalten, in Berlin ihre Meinung zu sagen.

Ausserdem sind Mitstreiter eingeladen, in den «Diskussionsraum zum Nahostkonflikt» einzutreten, den das Museum mit seinem ganztägigen Symposium öffnet. Mit den beiden Kuratoren, dem aus Israel stammenden Publizisten Meron Mendel und der aus einer pakistanisch-muslimischen Familie stammenden Politologin Saba-Nur Cheema, ist Ausgewogenheit gewährleistet. Selbstverständlich wurde auch Nan Goldin angefragt, aber am Ende bleibt der Neuen Nationalgalerie in dieser Causa nur ein hilfloses Statement: «Die Künstlerin wurde eingeladen, am Symposium teilzunehmen, lehnte jedoch ab und machte deutlich, dass sie mit der Veranstaltung und jeder Verbindung zu ihrer Ausstellung nicht einverstanden ist.»

Es ist bedenklich, dass sich die höchste Kunstfertigkeit der Kunst, nämlich diskursoffen zu sein, in ihr Gegenteil verschraubt hat. Der Kulturbetrieb ist zu einer Zone der Boykotte und Gegenboykotte geworden, zum Kriegsgebiet eines moralischen Narzissmus. «Ich war schon immer in der Lage, Ambivalenzen auszuhalten, aber nicht in moralischer Hinsicht», hat Nan Goldin der «Zeit» gesagt. Das klingt nach: Die Moral bin ich. So lässt sich tatsächlich nicht mehr weiterdiskutieren.

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