Jede Krise ist anders, weil immer eine andere Angst der Auslöser ist. Dennoch muss man als langfristiger Aktieninvestor nicht in jeder Krise anders reagieren – es gibt bewährte Rezepte.
Der Verlauf des Aktienmarktes ist eine Verkettung von Krisen- und Erholungsphasen. Teils sind die Krisen kurz und heftig, teils dauern sie lange. Nimmt man den Swiss Performance Index mit Tagesdaten seit 1988 als Basis, so war die Corona-Krise die «Speed-Variante»: Nach 23 Handelstagen zeigte sich ein Verlust von über –26%, es dauerte weitere 211 Handelstage, bis der Index den Ausgangswert von vor der Krise wieder erreicht hat.
Die «Agonie-Variante» war die Finanzkrise: Sie dauerte bis zur vollständigen Erholung 1497 Handelstage und der Markt war im Wellental mehr als -53% «unter Wasser»:
Bei den allermeisten Krisen – mit Ausnahme der Anleihen-Krise Mitte der Neunzigerjahre – dauerte die Erholungsphase länger als der Absturz. Der Anteil der Erholungsphase an der Gesamtdauer liegt im Schnitt bei 70%. Das mag zum einen daran liegen, dass Angst und insbesondere Verlustangst eine stärkere Kraft ist als Zuversicht. Zum anderen liegt es an der Asymmetrie der Renditerechnung: Wenn man 50% verloren hat, muss man 100% aufholen, bis der Ausgangswert wieder erreicht wird.
Bewährte Rezepte
Aufgrund der Verschiedenheit der Krisen kann man aus der Historie kaum Rückschlüsse ziehen, wie die derzeitige Delle weiter verlaufen wird. Man kann aber durchaus Lehren ziehen, was man als Anleger tun und was man nicht tun sollte. Zwei Punkte sind wesentlich:
- Man sollte nur Geld in Aktien investieren, das man genügend lange – rund 8 bis 10 Jahre – angelegt lassen kann. Die längste Krise bis zur vollständigen Erholung war die Finanzkrise mit 1497 Tagen Gesamtdauer. Bei jährlich rund 250 Handelstagen beträgt die Krisenphase 6 Jahre. Es braucht sodann noch eine gewisse Dauer als Reserve, um mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein diversifiziertes Aktienportfolio nie zur Unzeit, also mit Verlust, verkaufen zu müssen.
- Die Mittel, die man der langfristigen Investition in Aktien zugewiesen hat, müssen auch in Aktien investiert bleiben. Nur so kann man die langfristig erwartbare Aktienrendite erzielen: Die historische Realrendite in der Schweiz beträgt seit 1925 5,6% pro Jahr; seit 1900 liegt die Realrendite eines globalen Aktienportfolios mit 5,2% jährlich in der gleichen Grössenordnung. Wenige Tage können entscheidend sein; hat man beispielsweise bei der Wende in der Finanzkrise im März 2009 die ersten zehn Tage der Erholung verpasst, so fehlen einem über 14% Rendite.
Gegen das Gebot, investiert zu bleiben, wird immer wieder das Argument ins Feld geführt, man können die Verluste mit einem Verkauf der Aktien begrenzen – zum Beispiel durch einen «stop loss» bei –20% –, um diese dann später günstiger zurückzukaufen. Dies klingt gut, funktioniert in der Praxis aber kaum.
Weshalb? Man kann schon mit dem Ausstiegsentscheid falsch liegen, falls sich der Markt unmittelbar danach zu erholen beginnt. Nehmen wir aber an, der Verkäufer fühlt sich bestätigt, weil der Markt nach dem Verkauf weitere 20% verliert. Nun kommt die Psychologie ins Spiel: Jemand der bei -20% bereits so verängstigt war, dass die Aktien verkauft wurden, wird bei -40% noch mehr verunsichert sein.
Erfahrungsgemäss warten solche Leute auf erste Zeichen der Bodenbildung und Erholung. Sind diese da, besteht die Angst, es sei nur ein Zwischenhoch vor dem finalen, noch viel tieferen Absturz. Kurzum: Solche Anleger kaufen in aller Regel viel zu spät oder nie mehr Aktien zurück.
Strategie und Disziplin bei der Umsetzung entscheidend
Die Investorenlegende André Kostolany hat zu Recht festgehalten, dass die langfristig sehr ansprechende Aktienrendite Schmerzensgeld sei – zuerst kommen die Schmerzen, dann das Geld. Im Schweizer Aktienmarkt gab es seit 1988 21 Handelstage mit Verlusten zwischen 5% und 10%, der 16. Oktober 1989 war mit -9,4% der schlechteste. Zudem schlossen über 45% der Handelstage mit einem negativen Ergebnis! Trotz all dieser negativen Handelstage und Krisenphasen ist die jährliche Realrendite seit 1988 ansprechende 7,4%.
Dem Risiko von Krisen kann man nicht systematisch durch Timing ausweichen, sondern nur durch eine zweckmässige Vermögensaufteilung – mittels klarer Definition des langfristig anzulegenden Vermögensteils – und grosser Disziplin bei der Umsetzung begegnen. Das war in früheren Krisen so, gilt heute und auch in der Zukunft.
Thomas Hauser
Thomas Hauser ist geschäftsführender Partner bei der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG. Zuvor arbeitete er u.a. als Senior Investment Consultant und Teamleiter bei PPCmetrics sowie im Finanzmarkt- und Volkswirtschafts-Research der Credit Suisse in Zürich. Nach dem Studium an der Universität Basel mit Vertiefungsrichtung Finanzmarkttheorie und Ökonometrie sowie einem Nachdiplomstudium an der Universität Lausanne (Abschluss als MSc in Banking and Finance) erwarb er an der Universität Basel seinen Doktortitel auf dem Gebiet der strategischen Asset Allocation.