Freitag, November 22

An den US-Börsen steigt das Spekulationsfieber. Im Nachgang der Präsidentschaftswahlen nimmt besonders im Technologiesektor die Risikofreude zu. Sollten Investoren jetzt noch aufspringen? Oder ist erhöhte Vorsicht angebracht?

War es das bereits? Oder handelt es sich nur um eine kurze Pause? Nach den kräftigen Avancen im unmittelbaren Nachgang der US-Präsidentschaftswahlen haben die amerikanischen Aktienmärkte gestern etwas konsolidiert. Der Leitindex S&P 500 ging am Dienstagabend 0,2% leichter aus dem Handel. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten stand 0,1% tiefer als am Vortag.

Es ist der erste Handelstag, an dem die US-Börsen seit dem Wahlsieg von Donald Trump keinen Gewinn verbuchen. Gut möglich, dass der erneute Anstieg der Zinsen zuletzt auf die Stimmung gedrückt hat. Die Rendite zehnjähriger Treasuries ist zurück auf über 4,4% geklettert und bewegt sich damit auf dem höchsten Niveau seit Anfang Juli. Mit dem Index der Konsumentenpreise (Consumer Price Index, CPI) stehen heute Mittwoch wichtige Daten zur Inflation an.

Ökonomen rechnen damit, dass sich die Teuerung im Oktober im Vorjahresvergleich auf 2,6% erhöht hat; nach 2,4% im September. Die Kernrate (ohne Nahrungsmittel und Energie) soll auf 3,3% verharrt sein. Auf sequenzieller Basis wird gegenüber September mit einem Anstieg von 0,2 respektive 0,3% für die Kernrate gerechnet. Nachdem sich die Inflation in den vergangenen zwei Jahren rasch zurückgebildet hat, stellt sich die Frage, ob dieser erfreuliche Trend nicht allmählich zu Ende geht.

Fallen die Daten ungefähr im Rahmen der Erwartungen aus, wird die US-Notenbank kaum einen Anlass dafür sehen, sich mit der Lockerung der Geldpolitik zu beeilen. Für die nächste Fed-Sitzung Mitte Dezember beziffern die Terminmärkte die Chance für eine weitere Zinssenkung um einen Viertelprozentpunkt noch auf 55%. Vor einer Woche waren es 77%. Auch für die erwartete Zinsentwicklung in den kommenden Monaten zeigt der Pfad angesichts mehrheitlich robuster Konjunkturdaten weniger steil nach unten.

Gewinnmitnahmen haben gestern wohl ebenfalls auf die Kurse gedrückt. Das Geschehen an den Börsen hat in den vergangenen Tagen stark an die grosse Spekulationswelle im Umfeld der Pandemie erinnert. Das The Market Risk Barometer signalisiert denn auch einen ungemütlich hohen Risikoappetit.

Das Paradebeispiel ist einmal mehr Tesla. Nachdem sich Elon Musk mit Trump ins Bett gelegt hat, wird an der Börse in grossem Stil auf günstige regulatorische Bedingungen für den Elektroautohersteller spekuliert. Der Aktienkurs notierte am Dienstag zwar 6% tiefer, hat aber allein seit Anfang letzter Woche mehr als 30% gewonnen.

Wie üblich bei solchen extremen Bewegungen laufen massive Wetten mit Derivaten. Der Nominalwert von Tesla-Optionen, die seit der Wahlnacht gehandelt worden sind, beläuft sich gemäss der «Financial Times» auf durchschnittlich 145 Mrd. $ pro Tag. Zum Vergleich: Bei Nvidia, dem zweitpopulärsten Namen im Optionenhandel auf Einzelaktien sind es 55 Mrd. $ täglich. Für alle übrigen Einzelwerte zusammen beläuft sich das Volumen auf 310 Mrd. $.

Wie lange die «Bromance» anhält, wird sich zeigen. Trump kann seine Meinung bekanntlich rasch ändern. Auch entledigt er sich seiner Geschäftspartner oft schnell, wenn sie ihren Dienst einmal erfüllt haben. Seinem engeren Umfeld soll es bereits auf die Nerven gehen, dass Musk in der Trump-Residenz in Mar-a-Lago ständig um den Hausherren herumtänzelt. Der vage Auftrag, gemäss dem Musk die Effizienz des Regierungsapparats nun deutlich verbessern soll, wird jedenfalls alles andere als ein leichtes Unterfangen.

Dass die «Animal Spirits» neu erwachen, signalisiert auch Bitcoin. In der Hoffnung auf eine regulatorische Lockerung im Handel mit Kryptowährungen ist der Kurs am Dienstag zeitweise auf ein Rekordhoch von 90’000 $ vorgeprescht. Die Aktien von MicroStrategy, de facto ein kotierter Bitcoin-Fonds von Unternehmensgründer Michael Saylor, ist in den letzten fünf Handelstagen mehr als 55% avanciert. Das Volumen in den Titeln war zu Wochenbeginn rund sechsmal so hoch wie bei JPMorgan Chase, General Electric und anderen Blue Chips.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass plötzlich auch der ARK Innovation ETF von Cathie Wood wieder in Bewegung kommt – quasi der Inbegriff für die Manie um hochgradig spekulative Tech-Unternehmen während der Pandemie. Die zehn grössten Positionen des Fonds (darunter Tesla, die Kryptobörse Coinbase und die Trading-Plattform Robinhood Markets) haben seit der US-Wahlnacht teils bis zu 65% zugelegt.

Wer auf dem Zenit des letzten Spekulationsbooms den Ausstieg verpasst hat, sitzt bis heute bei den meisten der damaligen Stars und Sternchen allerdings noch auf beträchtlichen Verlusten. So notiert der Kurs des ARK Innovation ETF auch nach der jüngsten Rally 63% tiefer als auf dem Allzeithoch vom Februar 2021.

Wird es dieses Mal anders sein?

Die Antwort darauf dürfte wesentlich davon abhängen, was ab Anfang nächstem Jahr in Washington passiert. In der heutigen Ausgabe befasst sich «The Pulse» deshalb mit den möglichen Auswirkungen der US-Wahlen auf den Technologiesektor.

Der Konsens setzt auf Kursavancen

Dass es im unmittelbaren Nachgang von US-Präsidentschaftswahlen zu einer Rally kommt, ist nicht ungewöhnlich. Seit dem Entscheid vom Dienstagabend hat der S&P 500 rund 3,6% gewonnen. Das passt ungefähr zum historischen Muster seit den frühen Neunzigerjahren.

Die untenstehende Grafik bildet dazu die Performance des Leitindex sechs Monate vor und nach dem Wahltag seit 1992 ab (die Perioden lassen sich mit dem Mauszeiger einzeln identifizieren). In den meisten Fällen notierten die US-Börsen ein halbes Jahr später höher. Die Ausnahmen sind 2008/09 im Kontext der Finanzkrise sowie 2000/01 nach der Unsicherheit über den Wahlausgang wegen der Pattsituation in Florida.

Der Handel mit Terminkontrakten auf den S&P 500 zeigt, dass sich Investoren für weitere Kursavancen positionieren. Gemäss Liz Young Thomas, Chefstrategin beim Finanzdienstleister SoFi Technologies, war die Positionierung institutioneller Börsenmakler noch nie so klar im negativen Bereich. Hierzu ist wichtig, dass diese jeweils auf der Gegenseite der Handelstransaktionen aller anderen Anleger stehen. «Eine bedeutende negative Positionierung der Makler ist somit ein klares Zeichen für eine zuversichtliche Stimmung im Markt», hält die die Strategin fest.

Der «Trump Trade» basiert im Wesentlichen darauf, dass die neue US-Regierung eine Politik verfolgen wird, die förderlich für die amerikanische Wirtschaft ist und sich damit vorteilhaft auf das Gewinnwachstum der Unternehmen und die Börsen auswirkt. Konkret geht es vor allem um Steuersenkungen und Deregulierung, auch im Hinblick auf Übernahmen und Publikumsöffnungen.

Die angehende Trump-Administration hat den Vorteil, dass die Republikaner aller Voraussicht nach den Kongress für die nächsten zwei Jahre kontrollieren werden. Im Senat wie auch im Repräsentantenhaus wird die Partei indes nur über eine knappe Mehrheit verfügen, was die Lage erheblich verkompliziert (weitere Gedanken dazu im Schlussteil). Auch sind die US-Staatsfinanzen bereits strapaziert, was den fiskalpolitischen Spielraum einengen dürfte.

Klar ist: Im Gegensatz zum Überraschungscoup von 2016 sind Trump und seine Entourage dieses Mal besser vorbereitet. Anders als damals verfügt er über ein erfahrenes Team, dass die Übernahme der Regierung seit Monaten plant. Entsprechend kommt die Zusammensetzung des Kabinetts erheblich schneller voran.

Beabsichtigte Ernennungen für Schlüsselfunktionen deuten zumindest auf eine gewisse Kompromissbereitschaft mit dem gemässigteren Flügel der Republikaner hin. Der US-Senator Marco Rubio aus Florida etwa, der als Vize-Präsident im Sonderausschuss zur Überwachung der Nachrichtendienste amtet, soll das wichtige Amt des Aussenministers erhalten. Für mehr Kontroversen sorgt die Ernennung des «Fox News»-Moderators Pete Hegseth zum Chef des Verteidigungsdepartements.

Für den Posten des Finanzministers wird der Hedgefund-Manager Scott Bessent als Favorit gehandelt. Der Gründer von Key Square Group, einer auf globale Makro-Trends spezialisierten Investmentfirma, ist mit den Märkten gut vertraut. Er gehörte in den Neuzigerjahren zusammen mit Stanley Druckenmiller zum Team von George Soros. John Paulson, ein anderer Anwärter aus der Hedgefund-Branche, hat sich am Dienstag aus dem Rennen genommen.

Steuern und Immigration sind Knackpunkte

Wie sich die Situation in Washington entwickelt, ist entsprechend für die Perspektiven von Technologieaktien relevant. Ob Apple-CEO Tim Cook, Microsoft-CEO Satya Nadella, Alphabet-CEO Sundar Pichai, Meta-CEO Mark Zuckerberg oder Amazon-Gründer Jeff Bezos: Die Konzernchefs von Amerikas grössten Tech-Unternehmen haben Trump alle umgehend zum Sieg gratuliert.

An der Börse hat der Sektor vergangene Woche bedeutende Zuflüsse verzeichnet. Gemäss Daten von Bank of America zum Kaufverhalten von Kunden im Investment Banking wurde erstmals seit Anfang Oktober netto wieder in US-Aktien investiert. Mit Abstand am meist Geld floss in Tech-Werte, wobei primär Einzelaktien gekauft wurden.

Während Trumps erster Präsidentschaft gehörten Tech-Aktien zu den grössten Profiteuren. Massgeblich dazu beigetragen hatte die 2017 verabschiedete Steuerreform, offiziell Tax Cuts and Jobs Act genannt. Sie vereinheitlichte die Einkommenssteuer für Unternehmen auf 21% und begünstigte die Rückführung von Gewinnen im Ausland, was eine massive Welle von Aktienrückkäufen auslöste.

Zu Trumps Wahlversprechen zählt, die Unternehmenssteuer weiter von 21 auf 15% zu senken. Ob das realistisch ist, lässt sich noch nicht abschätzen. Analysten gehen davon aus, dass sich der Gewinn der Unternehmen im S&P 500 für 2025 dadurch durchschnittlich 4% verbessern würde. Für Tech-Konzerne wird mit einem Benefit von etwas mehr als 3% gerechnet, was im Sektorvergleich eher bescheiden wäre.

Zum Programm von Trump zählen weiter die Ausschaffung undokumentierter Immigranten und Einschränkungen bei der Zuwanderung. Die Folgen könnten Tech-Unternehmen beeinträchtigen. Die Branche ist überdurchschnittlich arbeitsintensiv. Viele Konzerne und Kleinfirmen aus der IT-Industrie sind auf qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Bereits die Visa-Restriktionen während Trumps erster Amtszeit stiessen im Silicon Valley deshalb auf scharfe Kritik.

Manövriermasse im Handelskrieg

Grosse Hoffnungen ruhen auf dem Thema Deregulierung. Sie könnten enttäuscht werden. Lina Khan, die Chefin der Wettbewerbsbehörde FTC in der Biden-Administration, hat vorzugsweise grosse Tech-Konzerne wie Alphabet, Amazon, Microsoft und Apple mit einer Reihe von Klagen ins Visier genommen. Vermutlich ist sie ihren Job bald los. Doch ob sich das regulatorische Klima wesentlich aufhellt, ist fraglich.

Big Tech ist in Washington unbeliebt. Der grosse Prozess gegen Alphabet wegen Missbrauchs der Dominanz im Markt für Internetsuchen beispielsweise wurde bereits im Herbst 2020 von der Trump-Administration gestartet. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die laufenden Gerichtsverfahren fortgeführt werden. Zudem ist die Branche im Vergleich zu anderen Sektoren viel weniger stark reguliert, womit das Potenzial für eine umfangreiche Lockerung der Rahmenbedingungen limitiert ist.

Als bedeutendes Problem könnte sich Trumps Handelspolitik herausstellen. Kein anderer Sektor im S&P 500 verdient mehr ausserhalb des US-Heimmarktes, womit Tech-Konzerne bei Vergeltungsmassnahmen gegen US-Strafzölle besonders stark exponiert wären. Europa mit mehr als 740 Mio. Einwohnern ist für die Branche ein Schlüsselmarkt. Sollte es zwischen Washington und Brüssel zu Verstimmungen kommen, könnte der Druck der europäischen Wettbewerbsbehörden auf die Tech-Riesen noch grösser werden, als er ohnehin schon ist.

Ein beträchtliches Risiko ist auch das angespannte Verhältnis zwischen den USA und China. «Der Handelskrieg mit China wird sich weiter aufheizen, und die Sanktionen hinsichtlich künstlicher Intelligenz und Halbleiter-Spitzentechnologie werden wahrscheinlich verschärft», denkt Branchenkenner Benedict Evans. «Apple und andere US-Unternehmen fertigen oder bauen zumindest immer mehr Produkte ausserhalb Chinas zusammen, aber Shenzhen bleibt das Zentrum der weltweiten Elektronikindustrie», fügt er hinzu.

Weniger offensichtlich ist, was «Trump 2.0» für Fusionen und Übernahmen bedeutet. Erwartet wird, dass die US-Behörden fortan eine weniger strenge Haltung einnehmen. Die Biden-Regierung hatte vergeblich versucht, grössere Transaktionen zu blockieren; allen voran die 69 Mrd. $ teure Akquisition des Videospielherstellers Activision Blizzard durch Microsoft. Trumps Sieg könnte ein Grund dafür sein, dass in Aktien wie Electronic Arts und Take-Two Interactive Software nun wieder etwas mehr Konsolidierungsfantasie gekommen ist.

Wetten auf einen neuen M&A-Boom könnten sich jedoch als verfrüht erweisen. Während Trumps erster Präsidentschaft ist es zwar zu einigen bedeutenden Fusionen gekommen. Im Pharma- und Biotech-Sektor beispielsweise zählten dazu die Übernahme von Allergan durch Abbvie (63 Mrd. $) und der Kauf von Celgene durch Bristol-Myers Squibb (74 Mrd. $). Andererseits versuchte die US-Regierung damals die Grossfusion zwischen dem CNN-Mutterkonzern Warner Media und AT&T zu verhindern. Auch stoppte sie den Zusammenschluss der Halbleiterkonzerne Broadcom und Qualcomm.

Durchaus plausibel erscheint, dass kleinere Akquisitionen von den Wettbewerbsbehörden künftig weniger genau unter die Lupe genommen werden. Profitieren dürften davon aber vor allem Venture-Capital-Investoren aus dem Silicon Valley und nicht unbedingt Publikumsaktionäre von Konzernen im S&P 500 oder im Nasdaq 100. Ähnlich verhält es sich mit Blick auf die Regulierung in den Bereichen künstliche Intelligenz und Kryptowährungen.

Fazit: Nachdem Tech-Aktien in den vergangenen zwei Jahren nahezu 100% avanciert sind, ist in den Kursen viel Zuversicht eingepreist. Die Erwartungen an weitere Avancen sind gross, das Spekulationsfieber steigt. Angesichts der zahlreichen Unwägbarkeiten mit Blick auf die neuen politischen Rahmenbedingungen in den USA ist es ratsam, das Risiko bei Engagements im Sektor zu beschränken.

Deep Diving

An dieser Stelle präsentieren wir wie immer einige Links, die einen vertieften Einblick in ein aktuelles Thema geben:

  • Der CHIPS Act wurde im August 2022 von der Biden-Regierung erlassen, um die amerikanische Halbleiterindustrie zu fördern. Mit Hilfe der Zuschüsse im Umfang von 52 Mrd. $ bauen Konzerne wie Intel, Texas Instruments und Micron Technology ihre Produktionskapazität bedeutend aus. Doch wie geht es nach dem Machtwechsel in Washington mit der staatlichen Unterstützung weiter? Der Branchenbeobachter Noah Smith macht sich auf seinem Blog «Noahpinion» seine Gedanken dazu.
  • Die Film- und Fernsehbranche befindet sich in einem fundamentalen Umbruch. TV-Herstellern erschliessen sich mit Streaming von Medieninhalten neue Geschäftsmöglichkeiten. Anstatt so viele Fernsehgeräte wie möglich zu verkaufen, bemühen sich Konzerne wie LG, Samsung, Roku oder Vizio nun vermehrt mit Werbung und dem Tracking des Nutzerverhaltens wiederkehrende Einnahmen zu erzielen. Das Onlinemagazin «Ars Technica» berichtet in diesem Beitrag über den Trend.
  • Die Veränderung des Klimas bringt bedeutende Herausforderung für die Ernährung der Weltbevölkerung mit sich. Jennifer Doudna, eine der Erfinderinnen der bahnbrechenden Genscherentechnologie Crispr, glaubt, dass ein Teil zur Lösung des Problems in genetisch veränderten Pflanzen und Tieren liegen wird, die sich besser an die veränderten Wetterbedingungen anpassen können. Wie das funktionieren könnte, zeigt dieser Bericht der «MIT Technology Review».

Und zum Schluss noch dies: House of Pain

Entgegen den meisten Prognosen ist das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen deutlich ausgefallen. Bereits früh in der Wahlnacht war klar, dass Donald Trump das Rennen um das Weisse Haus für sich entscheiden wird. Von North Carolina und Georgia über Pennsylvania, Michigan und Wisconsin bis hin zu Arizona und Nevada hat er sämtliche der sieben Swing States gewonnen.

Damit steht fest: Trump hat sich 312 der insgesamt 538 Elektorenstimmen gesichert. Das ist das beste Ergebnis eines Präsidentschaftskandidaten seit Barack Obama 2012 die Wahlen gegen Mitt Romney gewonnen hat und entspricht den meisten Stimmen für einen republikanischen Anwärter seit George H. W. Bushs Sieg über Michael Dukakis 1988. Als erster Republikaner seit George W. Bush vor zwanzig Jahren hat Trump zudem landesweit die Mehrheit der Wählerstimmen erhalten.

Trotz dieses überragenden Siegs dürfte es für den nächsten US-Präsidenten nicht einfach werden, seine politische Agenda durchzubringen. Speziell im Hinblick auf Steuerkürzungen wird es kompliziert, denn dafür braucht er den Kongress – und dort ist das Verhältnis der Stimmen weniger klar verteilt.

Im Senat haben die Republikaner nun zwar erstmals seit vier Jahren die Kontrolle. Ab Januar gehören ihnen 53 von insgesamt hundert Sitzen. Da ihre Mehrheit aber relativ knapp ist, werden radikale Reformen im Senat wenig Chancen haben. Dies auch deshalb, weil vier republikanische Senatoren sich im Wahlkampf nicht hinter Trump gestellt haben; namentlich Susan Collins aus Maine, Lisa Murkowski (Alaska), Todd Young (Indiana), und Bill Cassidy (Louisiana).

Im Repräsentantenhaus, wo es in der Regel wesentlich chaotischer zugeht als im Senat, ist die Ausgangslage für Trump in den nächsten zwei Jahren noch komplizierter. Es wird damit gerechnet, dass die Republikaner die Kontrolle behalten. Doch auch hier werden sie voraussichtlich nur über eine knappe Mehrheit verfügen.

Zum aktuellen Stand der Auszählungen brauchen sie nur noch zwei weitere Sitze, um auf die nötigen 218 Stimmen zu kommen. Die Demokraten haben 207 Sitze auf sicher. In zwölf von insgesamt 435 Wahldistrikten steht der Sieger noch nicht fest. In den letzten hundert Jahren ist es nur sechsmal vorgekommen, dass die tonangebende Partei über eine Mehrheit von weniger als zehn Sitzen verfügte.

Der Fokus richtet sich deshalb auf Kalifornien, wo die meisten der verbleibenden Entscheide hängig sind. Eine Woche nach der Wahlnacht sind im Golden State noch immer annähernd 2,5 Mio. Stimmen (rund 15%) nicht gezählt. Besonders umkämpft sind einige Wahldistrikte in Orange County, lang eine Hochburg der Republikaner an der Pazifikküste südlich von Los Angeles. Ebenso im Central Valley, einem Streifen im Landesinneren, der nördlich von L.A. bis nach San Francisco erstreckt.

Bis das exakte Ergebnis in jedem der 52 Distrikte feststeht, könnte es noch eine Weile dauern. Der Grund für die Verzögerung liegt weniger daran, dass Kalifornien mit knapp 39 Mio. Einwohnern der bevölkerungsreichste Bundesstaat ist. Vielmehr hat er mit dem Wahlprozess zu tun. Anders als in den meisten Bundesstaaten, erhält jeder registrierte Wähler im Vorfeld einen Stimmzettel per Post. Die Auszählung ist deshalb komplizierter, als wenn die Wahlkarten direkt an der Urne ausgefüllt werden.

Konkret müssen die Wahlämter in jedem Fall überprüfen, ob die Unterschrift auf dem Umschlag mit der Unterschrift des Wählers in den hinterlegten Akten übereinstimmt. Falsch ausgefüllte Stimmzettel dürfen nicht einfach annulliert werden. Das Personal verbringt deshalb viel Zeit damit, die betreffenden Wähler telefonisch anzurufen, um ihnen eine zweite Chance zu geben, damit ihre Stimme gezählt werden kann.

Verantwortlich für die Verzögerungen ist ausserdem, dass auch Stimmzettel ausgezählt werden, die bis zu einer Woche später mit der Post eingehen. Dies, sofern sie am Wahltag abgestempelt worden sind. Bei den Zwischenwahlen von 2022 dauerte es in einem eng umkämpften Wahldistrikt im Norden Kaliforniens daher zwei Wochen, bis der Sieger endlich feststand.

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