Dienstag, November 26

Die US-Wirtschaft ist bisher nicht ins Bodenlose gefallen, auch wenn manche Konsumenten ihre Ausgaben überprüfen. Es ist daher nicht zu erwarten, dass die amerikanische Notenbank von ihrem Plan abweicht.

Börsen sind richtige Drama-Queens. Monatelang ignorieren sie offensichtliche Risiken. Und wenn sie diese endlich doch einpreisen, überschiessen sie in ihrer Reaktion in die andere Richtung.

So geschehen in dieser sehr turbulenten Börsenwoche. Wegen schwacher Arbeitsmarktzahlen aus den USA und einer Zinserhöhung in Japan bekamen Investoren, die sich günstig in Yen verschuldet und in riskante US-Anlagen investiert hatten, kalte Füsse. Alle rannten gleichzeitig zum Ausgang und drückten die Börsen weltweit tief ins Minus.

In den kommenden Tagen entspannte sich die Lage leicht. Das wöchentliche Update aus den USA zu den Erstanmeldungen für Arbeitslosengelder fiel positiv aus. Normalerweise schenken die Anleger dieser Zahlenreihe nicht sehr viel Beachtung – für einmal trug sie zur Beruhigung bei.

Ungute Fixierung aufs Fed

Geblieben ist aber die Erwartung, die US-Notenbank Fed werde die Märkte bald mit grossen Zinssenkungen unterstützen. Die Analysten der Grossbanken JP Morgan oder Citi etwa erwarteten vom Fed bis Ende Jahr Senkungen von 1,25 Prozentpunkten auf noch 4 bis 4,25 Prozent. Eine grosse Mehrheit der Ökonomen, welche die Nachrichtenagentur Bloomberg am Donnerstag befragte, hielt ein derart radikales Senkungsprogramm zwar nicht für wahrscheinlich.

Trotz guten wirtschaftlichen Nachrichten aus der zweiten Wochenhälfte setzte am Freitag aber noch immer eine Mehrheit der Anleger darauf, dass das Fed im September einen Doppelschritt vollzieht, den Zinssatz also um 0,5 Prozentpunkte senkt statt der «üblichen» 0,25 Punkte. Manche erwarten zudem noch immer, dass das Fed seinen normalen Sitzungsrhythmus unterbricht und eine aussergewöhnliche Zinssenkung bereits im August beschliesst.

Nun setzte das Fed in Vergangenheit durchaus auf kräftige Senkungen, wenn es ihm angezeigt erschien. Als im März 2020 die Corona-Pandemie die USA erreichte und zu Lockdowns und einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit führte, drückte die Notenbank das Zinsband auf einen Schlag um 1,5 Prozentpunkte nach unten.

Als Reaktion auf die grosse Finanzkrise von 2007/08 fiel der Fed-Leitzins in 18 Monaten von über 5 Prozent auf null. In beiden Fällen reagierte die Notenbank aber auf aussergewöhnliche Umstände.

Die Notenbank will Konsistenz

Das Fed reagiert nicht bloss auf die wirtschaftliche Lage und die Stimmung im Land, es beeinflusst sie auch. Mit überhasteten oder zu grossen Veränderungen könnte die Notenbank die Märkte erst recht in Panik versetzen, statt sie zu beruhigen: «Wenn sogar das Fed so scharf reagiert, muss die Lage wirklich schlimm sein», könnten sich die Anleger dann sagen.

Zudem, und das ist der wesentlichste Punkt: Die wirtschaftliche Verfassung der USA ist immer noch solide. «Wir denken, dass manche Daten, insbesondere der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Juli, die sich entwickelnde Schwäche im Arbeitsmarkt übertrieben darstellen», sagt Nancy Vanden Houten, US-Chefökonomin bei Oxford Economics. Daher erwarte man im September auch bloss einen Zinsschritt von 25 Basispunkten.

Michael Strain, der Direktor für wirtschaftspolitische Studien beim liberalen Think-Tank American Enterprise Institute, schreibt: «Regel Nummer eins bei der Analyse der wirtschaftlichen Bedingungen: keine Überinterpretation einzelner Datenpunkte».

Im Durchschnitt der letzten drei Monate liege die Zahl der neugeschaffenen Stellen bei 170 000. Das sei mehr als genug, um das weitere Wirtschaftswachstum zu stützen. Es würden zwar weniger Personen neu eingestellt, aber die Zahl der Entlassungen bleibe tief. Die Einkommen würden wachsen, und das Konsumverhalten sei stabil.

Fast-Food, Taxifahrten, Kabelfernsehen

Die jüngsten Unternehmensresultate machen deutlich, dass mancherorts durchaus eine Abkühlung stattfindet; Grund für Panik bieten aber auch sie nicht. Zweifellos haben die Preisschübe der vergangenen zwei Jahre die Amerikaner vorsichtiger gemacht bei manchen Konsumentscheidungen, aber nicht bei allen.

Ob die gegenwärtigen Aktienkurse der amerikanischen Unternehmen gerechtfertigt sind, hängt davon ab, ob sie trotz einer Abkühlung ihr Gewinnniveau halten oder ausbauen können. Es lohnt sich ein Blick auf einige Unternehmen, die diese Woche ihre Quartalszahlen vorgelegt haben. Diese boten ein durchmischtes Bild.

Yum Brands, der Betreiber mehrerer bekannter Fast-Food-Ketten, vermeldete am Dienstag sinkenden Umsatz bei Pizza Hut sowie bei Kentucky Fried Chicken. Von verhaltener Nachfrage berichteten in der Vorwoche schon Starbucks und die Burger-Brater Wendy’s und McDonald’s. Vor allem ärmere Amerikaner halten sich beim Konsum ausser Haus zurück.

Uber dagegen überraschte positiv. Sowohl die Fahrtvermittlung, das ursprüngliche Kerngeschäft, als auch der eigene Lieferdienst Uber Eats erfreuen sich einer guten Nachfrage, sagte der Uber-Chef Dara Khosrowshahi im Gespräch mit Analysten. Das Unternehmen hat sich jüngst auf seine Profitabilität konzentriert und die Preise für seine Dienstleistungen erhöht. Das hielt die Uber-Kunden, die tendenziell über höhere Einkommen verfügen, aber nicht davon ab, auf die für sie bequemen Uber-Dienste zu verzichten.

Mit Disney, Warner Bros. Discovery und Paramount boten derweil auch drei grosse Medien- und Unterhaltungskonzerne ein zwiespältiges Bild. Sie kämpfen vor allem im traditionellen Bezahlfernsehen mit rückläufigem Interesse, Warner Bros. und Paramount nahmen in dieser Sparte jeweils einen Milliarden-Abschreiber vor.

Disney schaffte es jedoch, in seinem Streaming-Geschäft einen kleinen Gewinn zu erzielen, nachdem die Sparte in den vergangenen fünf Jahren mehr als 10 Milliarden Dollar an Verlusten angehäuft hatte. Das wichtige Geschäft mit seinen Freizeitparks scheint derweil langsam an Grenzen zu stossen, wie zuvor beim Konkurrenten Comcast (Besitzer von Universal Studios): Selbst für Mittelschichtfamilien ist der Trip ins Disneyland mittlerweile ein teurer Spass.

Die amerikanischen Konsumenten scheinen also ihre Ausgaben genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie machen nicht durchs Band Abstriche – aber dort, wo sie aus ihrer Sicht nicht (mehr) genug Gegenwert erhalten. Nächste Woche lässt sich dieses Zwischenfazit testen, wenn der Detailhändler Walmart und die grosse Baumarktkette Home Depot ihre Zahlen vorlegen.

Langfristige Strategie statt Kurzschlussreaktion

Die Resultate der US-Unternehmen mögen nicht über alle Zweifel erhaben sein, sie sind aber auch kein Grund für das Fed, in den Panikmodus zu schalten.

Also gilt doch wieder: warten aufs Fed. Manche sehen in dieser Phase die Stunde für Staatsanleihen gekommen. Daniel Ivascyn, der Anlagechef beim Investment-Manager Pimco, sagte gegenüber Bloomberg zwar, dass die prognostizierten vier Senkungsschritte nicht ausgeschlossen seien. Sie decken aus seiner Sicht aber bloss das unwahrscheinliche Szenario einer baldigen Rezession ab.

Ivascyn sagt, dass schon bald der Moment da sein könnte, wieder stärker in amerikanische Staatsanleihen zu investieren; insbesondere wenn der Markt bald seine Erwartungen ans Fed zurückschraubt und mit ein bis zwei Zinssenkungsschritten weniger in diesem Jahr kalkuliert. Langjährige Staatsanleihen böten mit 4 Prozent eine Rendite, die sich in einer Welt mit 2,5 Prozent Inflation gegenüber Aktien oder Cash sehen lassen könne.

Ob Aktien oder Staatsanleihen, einen Rat der Profis sollten sich alle Kleinanleger zu Herzen nehmen: Anpassungen am Portfolio sollte man langfristig planen und nicht als Kurzschlussreaktion auf volatile Börsen vornehmen.

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