Nvidia und der Hype um künstliche Intelligenz dominieren die Schlagzeilen zum Chipsektor. Massenproduzenten wie Texas Instruments, Infineon, Analog Devices oder UMC werden dagegen häufig übersehen – zu Unrecht, denn für die moderne Wirtschaft sind sie mindestens so wichtig.
Die Aktienmärkte in den USA tendieren in der ersten Wochenhälfte freundlich. Der Leitindex S&P 500 ist am Dienstag weitere 0,6% vorgerückt und hat ein Allzeithoch markiert. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten legte ebenfalls 0,6% zu.
Der Fokus richtet sich weiterhin auf Washington. Mit Scott Bessent hat Donald Trump einen Finanzminister für sein Kabinett ernannt, der an den Märkten hohen Respekt geniesst (hier Einblicke in sein Denken). Weniger freundlich aufgenommen wird hingegen Trumps Drohung, Zölle auf Importe aus Mexiko, Kanada und China zu erheben, wovon indirekt auch Unternehmen aus Europa und der Schweiz betroffen sein könnten.
In einem Investorenbrief an die Kunden seines Hedgefonds Key Square hatte Bessent noch Anfang Jahr gewarnt: «Zölle wirken inflationär und würden den Dollar stärken – kaum ein guter Auftakt für eine industrielle Renaissance in den USA.» Auch wenn er nun öffentlich das Gegenteil behauptet, wird er seine grundsätzliche Meinung wohl kaum geändert haben. Die Börse hofft deshalb, dass er in der angehenden Trump-Regierung eine Stimme der Vernunft sein wird.
Das steigende Risiko eines Handelskonflikts dürfte im Federal Reserve genau registriert werden. Wie die US-Notenbank im Protokoll zu ihrer letzten Sitzung signalisiert, wird eine mögliche Verlangsamung oder Aussetzung von Zinssenkungen erörtert, falls die Fortschritte beim Eindämmen der Inflation ins Stocken geraten. Futures-Kontrakte indizieren für die nächste Fed-Sitzung am 18. Dezember eine erneute Lockerung der Fed Funds Rate um 25 Basispunkte auf 4,25 bis 4,5%. Doch wie es danach weitergeht, ist offen.
Investoren müssen sich darauf gefasst machen, dass Trump die Börsen in den kommenden Wochen und Monaten immer wieder mit neuen Posts auf sozialen Medien in Bewegung halten wird. Nutzte er während seiner ersten Amtszeit Twitter als bevorzugtes Kommunikationsmittel, ist es nun Truth Social, die Plattform seiner Trump Media & Technology Group, an der er eine Mehrheit von knapp 53% hält.
Besonders wichtig für Aktien aus dem Tech-Sektor wird, wie sich das Verhältnis zwischen den Washington und Peking unter der neuen US-Regierung entwickelt. Während der Amtszeit von Präsident Biden haben die USA die Sanktionen gegen die Volksrepublik verschärft. Dennoch ist China für viele Tech-Konzerne weiterhin ein bedeutender Produktionsstandort und Absatzmarkt, speziell für Unternehmen aus der Halbleiterindustrie. Im Hintergrund steht zudem stets Frage, ob Taiwan als globales Zentrum der Branche seine Eigenständigkeit behalten kann.
Die Gefahr ist beträchtlich, dass Amerika unter Trump noch stärker auf Konfrontationskurs mit Peking geht. Der PHLX Semiconductor Index hat am Dienstag erneut schwächer tendiert. Seit den Wahlen hat er 3% eingebüsst, wogegen der S&P 500 mehr als 4% fester notiert. Genau genommen, steht der Sektor schon seit Sommer unter Druck. Gemessen am Stand von Anfang Jahr schneidet er inzwischen sogar schwächer ab als Software-Aktien, bei denen das China-Exposure erheblich geringer ist.
Diese Entwicklungen sind ein guter Anlass für den nächsten Teil unserer Serie zur globalen Halbleiterindustrie. Wir befassen uns in der dieswöchigen Ausgabe von «The Pulse» mit den Auftragsfertigern und den Herstellern von Analog-Chips, die angesichts der hohen Produktionsvolumen auch als «Arbeitstiere» der Branche bezeichnet werden. Ein zentraler Aspekt sind dabei die Spannungen und Abhängigkeiten in Bezug zu China.
TSMC und das Foundry-Geschäftsmodell
Es ist eines der berühmtesten Zitate aus der Halbleiterindustrie: «Real men have fabs – echte Männer haben Fabriken». Geprägt wurde es von Jerry Sanders. Der charismatische Gründer von AMD verspottete so Konkurrenten, die sich den Bau eigener Produktionsanlagen nicht leisten konnten. Ironischerweise musste AMD dann im Herbst 2008 selbst die Chip-Fabrikation in ein eigenständiges Unternehmen abspalten, das heute unter dem Namen GlobalFoundries firmiert.
In finanzieller Not getroffen, beschleunigte der Entscheid den Umbruch in der Branche. Er hat massgeblich dazu beigetragen, dass sich sogenannte «fabless» Unternehmen wie Nvidia, AMD, Broadcom oder Qualcomm heute hauptsächlich auf das Design von Halbleitern konzentrieren können. Die Produktion lagern sie an Auftragsproduzenten aus. Solche Dienstleister werden auch als «Foundries» oder «Schmieden» bezeichnet, die nicht nur andere Chipkonzerne zu ihren Kunden zählen, sondern auch Unternehmen aus verschiedensten Sektoren.
Das Paradebeispiel für das Foundry-Geschäftsmodell ist TSMC. Der 1987 gegründete Konzern aus Taiwan setzt heute den Standard, wenn es um die Produktion der leistungsfähigsten Computerchips geht. Dank der Pionierleistung von Firmengründer Morris Chang und staatlicher Unterstützung ist TSMC eine der grössten Erfolgsgeschichten an der Börse. Das Unternehmen wird derzeit mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 800 Mrd. $ bewertet. Im Halbleitersektor ist nur Nvidia grösser.
Weltweit ist der Markt für die Auftragsproduktion von Halbleitern auf ein jährliches Umsatzvolumen von 125 bis 130 Mrd. $ gewachsen. Das Segment lässt sich grob in drei Kategorien unterteilen. Die erste umfasst TSMC und die Foundry-Sparte von Samsung Electronics, wobei TSMC allein rund 60% der globalen Einnahmen erzielt. Der Fokus richtet sich hier vorab auf modernste Produktionstechnologien. In diesem enorm kapitalintensiven Geschäft will künftig auch Intel mitmischen, sofern der Turnaround gelingt.
Zur zweiten Kategorie gehören UMC aus Taiwan, GlobalFoundries aus den USA sowie seit einigen Jahren auch SMIC aus China. Diese drei Auftragsproduzenten können zwar nicht ganz vorne an der technologischen Spitze mithalten, liefern dafür aber hohe Volumen an ein breites Spektrum von Kunden aus der Halbleiterindustrie und diversen Bereichen der Wirtschaft: von Smartphone-Herstellern über Autokonzerne bis zur Rüstungsindustrie.
Die dritte Kategorie setzt sich aus kleineren Spezialisten wie Tower Semiconductor aus Israel oder PSCM und Vanguard International Semiconductor aus Taiwan zusammen, die sich auf Marktnischen konzentrieren. In diesen Bereich dringen vermehrt auch chinesische Unternehmen wie Hua Hong Group und Nexchip Semiconductor vor.
Wie der gesamte Halbleitersektor hatte das Foundry-Geschäft im Umfeld der Pandemie einen gewaltigen Boom verzeichnet, worauf ab 2023 eine Phase der Konsolidierung einsetzte. Seit einigen Quartalen sind die meisten Unternehmen zu Wachstum zurückgekehrt. Mit Ausnahme von TSMC gestaltet sich die Erholung generell aber eher medioker.
Der Unterschied im operativen Geschäftsverlauf reflektiert sich an der Börse. TSMC profitiert derzeit von drei Entwicklungen: der massiven Nachfrage zur Produktion von KI-Chips (speziell vom Grosskunden Nvidia), internen Problemen bei Samsung sowie temporären Grossaufträgen von Intel, da der US-Rivale die Fertigung seiner neusten Chip-Generation ausgelagert hat, um sich auf die nächste Produktionsstufe zu fokussieren.
Entsprechend sind die Aktien von TSMC in den vergangenen zwei Jahren weit vorgeprescht. Die meisten anderen Auftragsfertiger sehen sich derweil mit einem global anhaltend schwierigen Konjunkturumfeld konfrontiert und profitieren vom KI-Hype höchstens marginal. Diese Diskrepanz verdeutlicht sich exemplarisch an der vergleichsweise mässigen Performance des taiwanischen Branchennachbarn UMC.
Analog-Chips braucht es überall
Mit den gleichen Problemen wie das Gros der Auftragsproduzenten kämpfen derzeit Hersteller von Analog-Chips. Sie fertigen oft ähnliche Produkte und sind ebenfalls stark gegenüber der Entwicklung der Weltwirtschaft exponiert. Daher hinken auch die Aktien führender US-Unternehmen wie Texas Instruments und Analog Devices im Sektorvergleich hinterher. Das Gleiche gilt für die europäischen Konzerne Infineon, STMicroelectronics und NXP Semiconductors.
Analog-Chips kommen in einem breiten Spektrum von Anwendungen zum Einsatz. Zumeist handelt es sich um Sensoren und ähnliche Komponenten, die physische Signale wie Licht, Ton oder elektrische Spannung erfassen. Sie ermöglichen die Mobilfunkverbindung des Smartphones, regeln die Temperatur der Waschmaschine oder überwachen den Batteriestand eines Elektroautos.
Anders gesagt: Analog-Chips braucht es praktisch überall in der Wirtschaft. Marktführer Texas Instruments beispielsweise liefert Anwendungen an weltweit annähernd 100’000 Einzelkunden aus den Sektoren Industrie, Automobil, Telecom, IT-Systeme und Elektronik. Insgesamt umfasst das Sortiment des Konzerns aus Dallas mehr als 80’000 verschiedene Komponenten.
Wegen des breiten Sortiments an Produkten werden Hersteller wie Texas Instruments deshalb auch als Katalog-Unternehmen bezeichnet. Während der neuste KI-Superchip von Nvidia rund 30’000 bis 40’000 $ kostet, werden manche Analog-Chips für weniger als 10 Cent verkauft. In den meisten Fällen reichen deshalb ältere Produktionstechnologien aus. Wie existenziell wichtig solche Komponenten aber sein können, haben die Engpässe in der Autoindustrie während der Pandemie gezeigt.
Wie im Fall der Auftragsproduzenten (TSMC und das Foundry-Geschäft von Samsung ausgenommen) sind Aktien von Analog-Herstellern damit primär eine Wette auf eine Aufhellung der Konjunkturaussichten. Auch sie haben im Zug der Pandemie einen historischen Boom verzeichnet, der wegen der aufgestauten Nachfrage von Industrie- und Autokonzernen relativ lange angehalten hat. Im Vergleich zu anderen Segmenten des Chip-Sektors ist die Bereinigung deshalb erst jetzt allmählich abgeschlossen.
Neue Anhaltspunkte dazu liefert der Abschluss von Analog Devices. Der Konzern aus dem Grossraum Boston hatte Ende Mai berichtet, dass das Schlimmste allmählich überstanden sein dürfte. Die Zahlen, die er gestern Dienstag präsentiert hat, sind allerdings noch immer von Nachwehen geprägt. In der Schlussperiode des Geschäftsjahres 2024 per Ende Oktober ist der Umsatz um 10% auf 2,4 Mrd. $ zurückgegangen, was die Analystenschätzungen leicht übertrifft.
«Unsere Ergebnisse für das vierte Quartal spiegeln eine kontinuierliche Erholung, ausgehend vom Boden des Zyklus im zweiten Quartal», sagte CEO Vincent Roche bei der Präsentation der Zahlen. «Der Gegenwind, mit dem wir im vergangenen Geschäftsjahr konfrontiert waren – insbesondere der ausgeprägte Abbau der Lagerbestände nach der Pandemie und das schwierige makroökonomische Umfeld – dämpften die Erholung der Nachfrage», räumte er ein.
Etwas besser als erwartet fällt auch die Prognose aus. «Obwohl die unsicheren makroökonomischen Bedingungen das Tempo unserer Erholung weiterhin begrenzen, bleiben wir vorsichtig optimistisch für robustes Wachstums im Geschäftsjahr 2025», sagte Finanzchef Richard Puccio. Für das erste Quartal soll sich der Umsatz auf rund 2,35 Mrd. $ belaufen, wobei die Einnahmen in den Endmärkten Industrie, Automotive und Telecom nur noch im tiefen einstelligen Prozentbereich abnehmen dürften. Schwieriger sieht es weiterhin im Bereich Unterhaltungselektronik mit einem budgetierten Rückgang von 15% aus.
Risikofaktor China
Abgesehen von der allgemeinen Konjunkturlage ist für die Aussichten der Massenproduzenten vor allem entscheidend, was hinsichtlich China passiert. In der Volksrepublik werden massive Kapazitäten zur Fertigung von Halbleitern aufgebaut. Allein in den ersten neun Monaten hat das Land für mehr als 27 Mrd. $ Equipment zur Wafer-Fabrikation importiert, womit dieses Jahr selbst das Rekordvolumen von 2023 übertroffen werden dürfte.
Aufgrund der US-Restriktionen können chinesische Grossproduzenten wie SMIC beim technologischen Wettlauf um die schnellsten Chips zwar nicht mit TSMC, Samsung und Intel mithalten. Anders sieht es hingegen bei der Fertigung von Komponenten aus, für die es nicht die neuste Prozesstechnologie braucht. Von der zunehmenden Konkurrenz aus China ist damit in erster Linie das Gros der Auftragsproduzenten und Analog-Hersteller betroffen.
«Chinesische Anbieter von Analog-Produkten steigen zu immer wichtigeren Akteuren im Sektor auf und ringen den etablierten globalen Anbietern Marktanteile ab», hält Qingyuan Lin, Halbleiteranalyst von Bernstein Research, fest. Massgeblich zu diesem Trend beigetragen hat die weltweite Chip-Knappheit der Jahre 2021/22, als sich viele chinesische Abnehmer dazu gezwungen sahen, sich nach alternativen Anbietern im Heimmarkt umzusehen.
Besonders deutlich zeigt sich der verschärfte Wettbewerb bei Texas Instruments. 2020 kontrollierte der US-Konzern noch rund 26% des chinesischen Markts für Analog-Chips. Im vergangenen Jahr ist sein Anteil auf 19% gesunken. Am meisten profitiert haben davon die sechs grössten heimischen Anbieter, namentlich Silergy, SG Micro, 3Peak, Novosense, JoulWatt und Belling. Sie haben in den letzten vier Jahren durchschnittlich ein Umsatzwachstum von 24% pro Jahr verzeichnet.
Andere westliche Hersteller wie Analog Devices, Infineon und NXP Semiconductors spüren den wachsenden Konkurrenzdruck ebenfalls. Gemessen an den Zahlen vom vergangenen Jahr erwirtschaften sie zwischen 18 und 33% der Konzerneinnahmen in China, was mit Blick auf die Zukunft ein erhebliches Risiko darstellt.
Hinzu kommt die Gefahr, dass möglicherweise bald eine Welle chinesischer Chip-Exporte über die Welt schwappt. «Der massive Kapazitätsausbau wird vor allem zum Problem für europäische Halbleiterunternehmen wie NXP Semiconductors, STMicroelectronics und Infineon, auf deren Absatzmärkte die chinesische Konkurrenz abzielt», sagt der Branchenkenner Jay Goldberg in diesem Interview. Anschauungsmaterial könnten Chinas Offensive im globalen Markt für Elektroautos oder die Dumpingpreise für Solarpanels liefern.
Selbst wenn sich die Konjunkturaussichten aufhellen, könnte sich das Umfeld für die Massenhersteller der Halbleiterindustrie daher weiterhin schwierig gestalten. Neue Handelskonflikte und geopolitische Spannungen würden die Situation zusätzlich komplizierter gestalten. Für Aufsehen sorgte in diesem Kontext der Entscheid von GlobalFoundries im Frühjahr 2020, das Projekt für eine Fabrik in Chengdu zu beenden und sich stattdessen verstärkt als strategisch zuverlässiger Hersteller im Westen zu positionieren.
In der Serie zum Halbleitersektor sind bisher erschienen:
- Analyse: Halbleiter – Bausteine der digitalen Revolution (zum Artikel)
- Interview: «Chinas gigantischer Ausbau der Halbleiterproduktion ist beängstigend» (zum Artikel)
- Analyse: Schweizer Halbleiterzulieferer – gut und immer teuer (zum Artikel)
- Analyse: Moderne Magie: das hochprofitable Geschäft der Halbleiterausrüster (zum Artikel)
Deep Diving
An dieser Stelle präsentieren wir wie immer einige Links, die einen vertieften Einblick in ein aktuelles Thema geben:
- Benedict Evans gehört zu den besten Kennern der Tech-Industrie. Der vormalige Telecom-Analyst und Ex-Partner der Venture-Capital-Firma Andreessen Horowitz stellt jedes Jahr eine umfassende Präsentation zusammen, in der er auf die wichtigsten Trends in der Branche eingeht. Die neueste Auflage ist soeben erschienen und trägt den Titel: «AI eats the world – Künstliche Intelligenz verschlingt die Welt».
- Die Nachricht lässt aufhorchen: Im Prozess zur Marktdominanz von Google im Suchgeschäft fordern die US-Wettbewerbsbehörden eine Abspaltung des Internet-Browsers Chrome. Die Aktien des Google-Mutterkonzerns Alphabet gerieten im Zug der Ankündigung rund 5% unter Druck. Doch wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich zu einem solchen Schritt kommt? Der Tech-Investor M.G. Siegler stellt dazu auf seinem Blog «Spyglass» einige interessante Überlegungen an.
- In Nordamerika nehmen Ansteckungen mit der Vogelgrippe zu. In den meisten Fällen infizieren sich die betroffenen Personen bei der Arbeit in Landwirtschaftsbetrieben. Für Besorgnis unter Gesundheitsexperten sorgt die Hospitalisierung eines Teenagers in der kanadischen Stadt Vancouver. Dabei wurde eine Mutation des H5N1-Virus festgestellt, die auf eine Anpassung an menschliche Wirte hindeutet. Das Fachmagazin «Nature» geht den wichtigsten Fragen zum Fall nach und erklärt ohne Panikmache, warum man diese Entwicklung im Auge behalten sollte.
Und zum Schluss noch dies: Last-Minute Shopping
Mit dem «Black Friday» beginnt gegen Ende dieser Woche offiziell die Shopping-Saison in den USA. Die meisten Einzelhändler offerieren ihre Sonderangebote schon seit einigen Tagen. In den Läden laufen Weihnachtslieder wie «Jingle Bells», «Rudolph the Red-Nosed Reindeer» oder «Rockin’ Around the Christmas Tree» in den nächsten Wochen ohne Unterbruch.
Gemäss der National Retail Federation, der Dachorganisation der Detailhändler, werden US-Konsumenten dieses Jahr rund 980 Mrd. $ für die Feiertage ausgeben. Das entspricht einem Zuwachs zwischen 2,5 und 3,5% gegenüber 2023. «Die Wirtschaft bleibt grundsätzlich gesund und behält ihre Dynamik auch in den letzten Monaten des Jahres bei», heisst es in der Prognose.
Festtagsstimmung kommt in der Branche aber nicht wirklich auf. Grund dafür sind die Zölle, die Donald Trump zu einem Kernpunkt seiner Wirtschaftspolitik machen will. «Es wird wohl Fälle geben, bei denen die Preise für die Konsumenten steigen», warnt John Rainey, Finanzchef von Walmart, in einem Interview mit dem Börsensender «CNBC». «Wir warten nicht darauf, zu reagieren», meint derweil Marvin Ellison, Chef der Baumarktkette Lowe’s. «Wir haben Pläne ausgearbeitet», fügt er hinzu.
Dass Trump gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft neue Handelskonflikte anzetteln will, hat er Anfang Woche angedroht. Demnach sollen die USA ab dem 20. Januar eine zusätzliche Steuer von 25% auf alle Einfuhren aus Kanada und Mexiko erlassen. Bei Importen aus China will er zusätzliche 10% erheben, die «über alle zusätzlichen Zölle hinausgehen».
Ob diese Drohungen bloss Verhandlungstaktik für einen «Deal» sind, wird sich zeigen. Die US-Einzelhändler bereiten sich im Hinblick auf den Regimewechsel in Washington jedenfalls sicherheitshalber auf alle Eventualitäten vor. Quasi in letzter Minute werden noch so viele Güter wie möglich importiert und die Lager aufgestockt, bevor die Situation eskaliert.
Darauf deutet unter anderem der massive Anstieg des Frachtvolumens in der San Pedro Bay hin. Der Hafen rund 45 Autominuten südlich von Downtown Los Angeles wickelt rund ein Drittel aller Container-Importe in die USA ab. Der grösste Teil stammt aus China und Hongkong. Wichtige Handelspartner sind ebenso Japan, Vietnam, Taiwan und Südkorea.
Wie der Port of Los Angeles berichtet, haben die Einfuhren im Oktober gegenüber dem Vorjahr um 24% auf 462’740 Standard-Container zugenommen. Der Schwesterhafen in Long Beach hat sogar einen Zuwachs um 34% auf 487’563 Container verzeichnet. «Wir rechnen aufgrund der robusten Nachfrage der Konsumenten, der Besorgnis über mögliche Zölle sowie der laufenden Lohnverhandlungen in den Häfen an der Ost- und Golfküste mit einem anhaltenden Zustrom von Gütern», meint CEO Mario Cordero zum Ausblick bis Ende Jahr.
Insgesamt beläuft sich das Importvolumen für Oktober bereits zum vierten Monat in Folge auf mehr als 900’000 Container. Es übertrifft damit selbst den bisherigen Rekord beim Boom während der Pandemie. Anders als damals gibt es derzeit aber weder beim Port of Los Angeles noch im Port of Long Beach nennenswerte Engpässe.
Der Ansturm weckt ungute Erinnerungen an einen ähnlichen Trend während Trumps erster Präsidentschaft. Als er Anfang 2018 begann, den Handelskonflikt mit China und mit anderen Ländern zu eskalieren, nahmen die Importe in der San Pedro Bay zunächst ebenfalls sprunghaft zu, fielen nach der Einführung der Zölle dann aber drastisch ab.
Für Südkalifornien ist der Welthandel ein wichtiger Motor für die Wirtschaft. Jeder neunte Job hängt direkt oder indirekt mit den beiden Frachthäfen in Los Angeles und Long Beach zusammen. Landesweit sind mit ihnen sogar rund 3 Mio. Arbeitsplätze verbunden. Oft vergessen geht zudem, dass die USA nach China der zweitgrösste Exporteur von Gütern sind. Die wichtigsten Abnehmer sind Kanada, Mexiko und China.