Dienstag, Juni 24

Früher wurden sie für Prostituierte gehalten. Heute ernten sie Mitleid oder hören die Frage: «Warten Sie auf Ihre Begleitung?». Wer abends allein essen geht, weckt Phantasien.

Die Gastrokritikerin Callie Hitchcock hat kürzlich in der «New York Times» über ihre Erfahrungen geschrieben, als Frau abends allein ein Restaurant zu besuchen. Oft erhalte sie einen verblüfften bis verlegenen Blick, sobald sie an der Rezeption sage, dass sie einen Tisch nur für sich möchte. Ahnungslose Kellner, die sie bedienten, fragten sie, ob sie schon einmal etwas trinken wolle, bis ihre Begleitung eintreffe.

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Manchmal wird ihr auch ein Getränk offeriert als Entschädigung dafür, dass sie allein an einem Tisch sitzen muss. Sie werde dabei so bedauernd angeschaut, als wäre sie Samantha Jones aus «Sex and the City», die über ihrem Teller geweint habe, als sie von ihrem Date versetzt worden sei, schreibt die Autorin.

Dann wieder wird sie für ihren Mut bewundert. Aber solche «You go, girl!»-Kommentare ärgern sie. Auswärts essen gehen sei ihr Beruf, und oft habe sie keine Lust, einen Freund zu überreden, sie zu begleiten. Die Gesellschaft scheine Frauen immer noch als soziale Wesen zu betrachten, nicht dazu bestimmt, allein zu sein: «Es ist bevormundend, wie ein trauriges, verlorenes Lamm behandelt zu werden.»

Sonnenuntergänge für zwei

Hinter solchen Missverständnissen steht keine böse Absicht. Sie machen nur deutlich, was für gesellschaftliche Erwartungen mit dem Leben als Frau verbunden sind. Eine Frau allein abends im Restaurant eines Businesshotels mag noch hingehen: Sie dürfte auf Geschäftsreise sein. Auch über Mittag in der Sushi-Bar werden Einzel-Esserinnen noch nicht als Beleg genommen für die Einsamkeitsepidemie.

Anders ist das in Restaurants der gehobenen Klasse, wo die Gäste in der Regel mindestens ein Dreigangmenu bestellen. Oder in Lokalen, die auf Tripadvisor unter der Kategorie «romantisch» aufgelistet sind. Wie lässt sich die Stimmung des Orts erfahren, denkt man reflexartig, wenn am Tisch ein Gegenüber fehlt?

Um nicht den Eindruck zu erwecken, einsam oder sogar sitzengelassen worden zu sein, holen Frauen ein Buch hervor und tun so, als würden sie lesen – während die Stimmen durcheinandertönen und die Kellner zwischen den Tischen hin und her eilen, Konzentration also unmöglich ist. Oder sie tippen und scrollen beschäftigt durch ihr Mobiltelefon.

Man erinnert sich an die Alleinreisende im Luxusresort in der Karibik, die zum Nachtessen immer ein anderes Cocktailkleid trug. An diesem Ort, in dieser Aufmachung setzte sie sich dem Verdacht aus, in letzter Sekunde von ihrem Freund verlassen worden zu sein. Die Sonnenuntergänge hier waren doch für zwei gedacht! Und unterhielt sie sich mit den Angestellten nicht etwas aufgesetzt fröhlich? Statt die teure Reise abzusagen, so mutmassten die anderen Gäste, sah sie diese nun als Weg zur Selbstfindung.

Ich genüge mir selbst

Im autofiktionalen Roman «Eat Pray Love» von Elizabeth Gilbert symbolisiert das Allein-essen-Gehen genau das: die Freiheit und Unabhängigkeit, welche die Reisende nach einer Scheidung und depressiven Phase auch in ihrem Alltag anstrebt. Zu Beginn fühlt sie sich beobachtet und wird bedauert, wenn sie allein im Restaurant sitzt. Vor allem in Italien.

Sie lernt, die Scham zu überwinden und das Essen zu geniessen. In einer Trattoria in Rom lässt sie sich Pasta und Fisch servieren, trinkt Wein dazu und fühlt sich frei und glücklich. Endlich genügt sie sich selbst. Im Bestseller von 2006, der mit Julia Roberts ebenso erfolgreich verfilmt und zum Kultbuch der Achtsamkeits- und Yogabewegung wurde, sagt die Heldin einmal: «Ich habe ein Verhältnis mit meiner Pizza.»

Fast zwanzig Jahre später ist #SoloDining in den sozialen Netzwerken ein Trend, so wie das Allein-Wohnen, -Wandern, -Reisen, -Schlafen als Frau als weiterer Schritt zur Selbstermächtigung gefeiert wird. Wobei damit immer auch eine Fetischisierung des Von-Männern-unabhängig-Seins einhergeht. Frauen heiraten sich nun sogar selber.

Eine anständige Frau lässt sich begleiten

Noch im 19. Jahrhundert war es für bürgerliche Frauen verboten, allein in ein Restaurant oder Café zu gehen. Es galt als unsittlich, und wo es erlaubt war, wurde eine Frau ohne Begleitung für ein leichtes Mädchen gehalten. In vielen Kneipen hielten sich nur Frauen auf, die sich prostituierten. Der öffentliche Raum war für Männer reserviert.

In Städten wie New York, London, Paris oder Berlin offerierten Lokale der gehobenen Klasse den Frauen mit der Zeit separate Räume, «Ladies Dining Room», «Salons pour dames» oder «Damensalons» genannt, wo Frauen allein oder in Gruppen essen konnten.

Mit der Frauenbewegung erkämpften sich die Frauen den Zugang zu Restaurants, Cafés und Bars. Sie waren nun zunehmend berufstätig. Lehrerinnen, Sekretärinnen oder Verkäuferinnen mussten sich über Mittag verpflegen.

Feministinnen und Künstlerinnen setzten sich auch einfach über die Normen hinweg. Simone de Beauvoir ging als Studentin allein in Cafés in Paris, um «das Recht auf die Stadt» einzufordern, wie sie es nannte. Das war in den 1920er Jahren. Die Verachtung, die sie für ihr damals skandalöses Verhalten zu spüren bekam, hielt sie aus.

«Darf ich Sie zum Essen einladen?»

Nun ist es für manche Männer auch heute unvorstellbar, dass eine Frau für sich allein sein möchte, während sie den Abend mit einem Glas Champagner startet. «Erwarten Sie noch jemanden?», fragen sie, was so viel heisst wie: «Darf ich Sie zum Essen einladen?» Und zwar jetzt, hier, an diesem Tisch, an dem ein Stuhl frei geblieben ist.

Das muss noch nicht paternalistisch sein oder übergriffig. Eine Frau kann sich wehren und dem Fragenden eine Absage erteilen. Wenn man gar nicht in Beziehung treten will, isst man am besten daheim vor dem Computer. Auch ein Mann, der in Anzug und Krawatte allein an einem gedeckten Tisch sitzt am Samstagabend, fällt auf. Sowohl der Anblick wie die Erfahrung sind auch deshalb gewöhnungsbedürftig, weil Essen etwas ist, bei dem Gemeinschaft und Geselligkeit zelebriert werden.

Je häufiger man Frauen antrifft, die allein in einem guten Restaurant zu Abend essen, desto weniger Aufsehen werden sie in Zukunft erregen. Bis dahin geniessen sie den offerierten Drink und erwidern den Gruss aus der Küche mit einem Kompliment an den Koch. Sie versenken sich ins Filetieren der Forelle und geben sich dem Schweigen hin. Das sich viel besser anfühlt als jenes vieler Paare um sie herum.

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