Donnerstag, September 19

Schweizer Soldaten sollen sich auch in Zukunft an Bündnisfall-Übungen der Nato beteiligen, das hat der Ständerat am Mittwoch beschlossen. Ausserdem verlangt die kleine Kammer vom Bundesrat ein Gesamtkonzept für die Armee.

Am 24. Februar 2022 fiel Russland in die Ukraine ein. Seither versucht sich Bundesbern darauf zu einigen, wie sich die Schweizer Sicherheitsarchitektur angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffs anpassen muss. Viel wurde in den letzten zweieinhalb Jahren diskutiert: über die Ausrichtung der Armee, darüber, was sie kosten darf, über Kooperationen mit dem Ausland, über die Neutralität. Bisher war wenig Konsens und Kompromissbereitschaft zu spüren.

Wenigstens in einem Fall herrscht nun Klarheit: Die Schweizer Armee darf weiterhin an Nato-Übungen teilnehmen. Unter Beobachtung des Chefs der Armee Thomas Süssli auf der Zuschauertribüne hat die kleine Kammer am Mittwoch ein Verbot von Bündnisfallübungen mit 29 zu 12 Stimmen bei 4 Enthaltungen abgelehnt. Bei diesen Übungen trainieren die einzelnen Armeen die Verteidigung eines Bündnispartners, der militärisch angegriffen wird.

Den Befürwortern des Verbotes ging es vor allem um die Neutralität. Die Mitte-Ständerätin Heidi Z’graggen etwa befürchtet, die Schweiz werde in Zukunft als Teil der Nato wahrgenommen. Das beraube die Schweiz «jeglicher Glaubwürdigkeit» und könne sie «zur faktischen Kriegspartei machen», sagte sie. Ausserdem habe sie den Eindruck, dass sich der Bundesrat der Nato mittels Salamitaktik immer weiter annähere.

Ihre Parteikollegin Andrea Gmür-Schönenberger widersprach. Im Neutralitätsrecht stehe nirgends, dass die Schweiz nicht mit der Nato üben dürfe, sagte Gmür. Damit unterstützte sie die Linie des Bundesrats. Dieser plädiert für eine vertiefte Kooperation mit der Nato, schliesst aber dezidiert aus, dass die Schweizer Armee in Zukunft den Verteidigungsfall gemäss Artikel 5 des Nordatlantikvertrags übt. So hat Bundespräsidentin Viola Amherd in den letzten Monaten wiederholt gesagt, es gehe nur um unbedenkliche Übungselemente.

Ein Verbot von Bündnisfallübungen hätte gemäss der Analyse des Verteidigungsdepartements negative Konsequenzen gehabt: Aufgrund der geopolitischen Lage enthalten fast alle Übungen der Nato mittlerweile Elemente, die unter Artikel 5 laufen. Ein Verbot hätte daher faktisch einen Ausschluss der Schweiz von fast allen Übungen bedeutet. Das Problem: Die Schweiz hat zu wenig Infrastrukturen für umfassende Trainings mit grossen Verbänden. Die Luftwaffe etwa muss aufgrund des stark genutzten Schweizer Luftraums für ihre Übungen ins Ausland ausweichen.

Interessant an der Debatte im Ständerat: Kein Grüner war für ein Verbot von Nato-Übungen, und auch die SP-Ständeräte waren entweder dagegen oder enthielten sich mehrheitlich. Dies im Unterschied zum Nationalrat. Dort hatten die Grünen geschlossen für ein Verbot gestimmt und gemeinsam mit SP und SVP eine unheilige Allianz gebildet.

Armeezielbild bis 2040 gefordert

Mit dem Entscheid des Ständerats ist das Verbot nun vom Tisch. Im Übrigen, so sieht es jedenfalls der Ständerat, ist in der Sicherheitspolitik aber noch vieles unklar. Seit Monaten kritisieren bürgerliche Sicherheitspolitiker, der Bundesrat habe keinen Plan. Der SVP-Ständerat Werner Salzmann sagte bereits während der Session im Juni: «Jetzt haben wir mehr als zwei Jahre nach Kriegsausbruch in der Ukraine. Und ich weiss immer noch nicht, welche Armee der Bundesrat eigentlich will.» Die kleine Kammer teilt seine Meinung, sie hat am Mittwoch eine Motion des freisinnigen Ständerats Josef Dittli überwiesen. Diese fordert ein Zielbild, wie die Armee bis 2040 wieder auf die Verteidigung ausgerichtet werden soll.

In seinem Votum klang der Motionär Dittli allerdings deutlich weniger aufgebracht als Salzmann. Seine Kritik am Bundesrat formulierte er überaus wohlwollend. Das Verteidigungsdepartement von Bundespräsidentin Viola Amherd habe bereits «sehr gute» strategische Grundlagen geliefert, etwa den Sicherheitspolitischen Bericht 2021, den Zusatzbericht aufgrund des Ukraine-Kriegs aus dem Jahr 2022, den Bericht «Verteidigungsfähigkeit und Kooperation» oder die Armeebotschaft 2024.

In diesen Dokumenten schlägt der Bundesrat unter anderem vor, dass die Armee aufgrund der geopolitischen Lage wieder auf die Verteidigungsfähigkeit ausgerichtet wird. Doch das reiche nicht, kritisierte Dittli, es gebe noch «zu viel Interpretationsspielraum». Ein Beispiel: Der Armeechef Thomas Süssli forderte Anfang Jahr bei Medienauftritten eine Aufstockung des Soldatenbestandes auf 120 000 Mann. Heute sind es 100 000 Soldatinnen und Soldaten. Was der Bundesrat von Süsslis Forderung halte, sei ihm bis heute nicht klar, kritisierte Dittli. «Mir fehlt der letzte und entscheidende Schritt», ein «Gesamtkonzept». Der Bundesrat solle ein solches erstellen und unter anderem die Struktur und Alimentierung der Armee, die Priorisierung ihrer Aufträge oder die Führung und Ausbildung skizzieren.

Vielleicht gab sich Dittli so zahm, weil Verteidigungsministerin Amherd keinen Widerstand leistete. Sie ist zwar der Meinung, dass der Bundesrat die nötigen strategischen Eckwerte bereits definiert hat. Trotzdem zeigte sie sich bereit, die Motion entgegenzunehmen. Das Verteidigungsdepartement ist ohnehin daran, die sicherheitspolitische Strategie 2025 auszuarbeiten. «Wir werden das Zielbild wie gewünscht darstellen», so Amherd.

Der Ständerat folgte Dittli. Doch Franziska Roth von der SP konnte sich eine Spitze nicht verkneifen. Denn vor zwei Jahren hatte der Bundesrat eine ähnlich lautende Motion aus dem Nationalrat noch abgelehnt. Diese stammte aus der Feder von Roths Parteikollegin Priska Seiler Graf. Für Roth kommt der ständerätliche Entscheid viel zu spät, die finanziellen Unwägbarkeiten seien gross. Das Parlament weiss bis heute nicht, wie es den Aufwuchs der Armee angesichts der erwarteten strukturellen Defizite bezahlen soll: «Wir haben jetzt zwei Jahre lang über die Finanzen gestritten, ohne uns über das Zielbild im Klaren zu sein», sagte Roth.

Auf das geforderte Strategiepapier dürfte der Ständerat noch einige Zeit warten müssen. Die nächste Finanzdebatte ist aber bereits im Gang: Der Nationalrat hat am Mittwoch die Debatte über die Armeebotschaft begonnen. Spätestens am Donnerstag wird er sich auch mit dem Zahlungsrahmen der Armee beschäftigen.

Zivildienstleistende abkommandieren

Der Ständerat hat noch einen Beschluss gefasst, der vor allem Zivildienstleistende betreffen könnte. In Zukunft sollen diese im Notfall für achtzig Tage in den Zivilschutz eingeteilt werden. Dies ist laut dem Bundesrat nötig, weil es zu wenig Zivilschützer gibt. Der Sollbestand liegt bei 72 000 Personen, der Istbestand lag Anfang 2024 allerdings nur bei 60 000. Bis 2030 könnten es noch rund 50 000 sein, so der Bundesrat.

Der Grüne Mathias Zopfi sprach sich gegen die Neuerung aus . Er fürchtete, der Zivildienst werde «geringgeschätzt» und «geschwächt». Die Mehrheit des Ständerats fand jedoch, dass ein Einsatz im Zivilschutz für Leute zumutbar sei, welche den Einsatz in der Armee nicht mit dem Gewissen vereinbaren könnten.

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