Mittwoch, März 12

«Deutschland ist ein Einwanderungsland.» Oder: «Deutschland tut zu wenig für den Klimaschutz.» Es gibt Glaubenssätze, die kaum hinterfragt werden. Der RTL-Politikchef Nikolaus Blome nimmt sich zwölf davon vor.

«Falsche Wahrheiten: 12 linke Glaubenssätze, die unser Land in die Irre führen»: Wer den Titel dieses Buches liest, könnte den Eindruck gewinnen, der Autor rechne polemisch mit linken Irrlehren ab. Doch Nikolaus Blome betreibt keine plumpe Anti-links-Schelte. Er setzt sich vertieft mit den Fragen auseinander, die er sich vornimmt. Er teilt nicht nur gegen links aus, sondern auch gegen «Hohlköpfe der AfD» und ihre Positionen. Und bei mancher Kritik lässt er deutlich anklingen, sie nütze unter dem Strich vor allem der Rechten, weil sie deren Stereotype bestätige. Auch die Wagenknecht-Partei wird mit Kritik nicht verschont.

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Die griffig formulierte Schrift, die zuweilen mit einem Hang zu Spötteleien aufwartet, seziert zwölf Glaubenssätze heraus: «Deutschland ist ein Einwanderungsland», «Das Asylrecht schützt die Schwachen», «Rentner sind arm», «Frauen werden viel schlechter bezahlt als Männer». Das sind die ersten vier. Allein drei der zwölf Sätze betreffen den Klimaschutz, für den nach Ansicht vieler zu wenig getan werde. Vor allem linke Parteien machten sich diese Position zu eigen.

Blome greift auf Statistiken zurück. Und da zeigt sich: Deutschland ist ein «Fluchtland». Es kommen zu wenig qualifizierte Einwanderer ins Land und zu viele Unqualifizierte. Der Verfasser plädiert deshalb für Asylverfahren in Drittstaaten und fordert eine Revision der gesamten Prozedur. Und ärgert sich über den grossen Missstand: Wer es einmal nach Deutschland geschafft hat (in den meisten Fällen sind es junge Männer), darf grundsätzlich bleiben. Die näheren Umstände spielen kaum mehr eine Rolle.

Wer als arm gilt

Auch beim Stichwort «Rentenarmut» entsteht laut Blome ein grotesk falsches Bild, weil in die amtliche Statistik ausschliesslich die gesetzliche Rente einfliesst, aber nicht die anderen Einkünfte. Zudem gelten Personen, die nicht über sechzig Prozent des Durchschnittseinkommens verfügen, als armutsgefährdet. Dieses Kriterium sagt etwas über Ungleichheit aus, aber nichts über Armut.

Weit über das linke Milieu hinaus gilt der «Gender-Pay-Gap» von achtzehn Prozent zuungunsten der Frauen als grosser Missstand. Infrage gestellt wird die Zahl kaum. Auch da zeigt Bl0mes zweiter Blick: Berücksichtigt man die bei Frauen viel häufigeren Teilzeit- und Minijobs, schrumpft die Lücke auf zwei bis sechs Prozent.

Der Umstand, dass Frauen öfter Teilzeit arbeiten und in weniger gut dotierten sozialen Berufen arbeiten, wird meist damit erklärt, dass diese Präferenzen von aussen vorgegeben seien. Ob das stimmt, ist offen. Blome dagegen macht auf ein meist übersehenes Problem aufmerksam: Auf dem Gehaltszettel schlägt sich die Zahl der Dienstjahre meist positiv nieder. Das benachteiligt Frauen mit «Babypausen».

Wieder und wieder attackiert Blome einseitige Argumentationen und das Spiel mit falschen Zahlen, die oft in regelrechte Horrorszenarien münden. Ob dies fahrlässig oder vorsätzlich geschieht, lässt er offen. Selbst wer aufgrund ideologischer Blindheit oder eines hohen Moralanspruches aus seiner Sicht wahrhaftig argumentiert, kann die Unwahrheit sagen.

Deutschlands «Rechtsruck»

Blome unterliegt selten einem Irrtum. Bei der Verteidigung der «Boomer» unterläuft ihm einer. Die Boomer, schreibt er, hätten sich bei den letzten Wahlen «deutlich weniger in Versuchung führen [lassen] als die Kohorte der 18- bis 24-Jährigen». Tatsächlich aber votierten nach den Daten der Wahlstatistik die 18- bis 24-Jährigen in Sachsen bei einem AfD-Gesamtstimmenanteil von 30,6 Prozent zu 25,8 Prozent für die AfD. Die 45- bis 59-Jährigen aber zu 36,4 und die 60- bis 69-Jährigen zu 34,8 Prozent. Für andere Bundesländer gilt Ähnliches.

Leider vernachlässigt der Autor die soziokulturelle Dimension der Debatten mit ihrer überbordenden Identitätspolitik. «Was Linke wie Rechte hochtrabend ‹Kulturkampf› nennen, ist im Vergleich zum Framing der Realitäten und der realen Politik bloss eine krawallsüchtige Ablenkung vom Eigentlichen», schreibt er.

Falsch, es ist mehr als das. Man denke an «Meldestellen», die wie Pilze aus dem Boden schiessen, selbst für ein Verhalten unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Die hohe Zahl der AfD-Wähler erklärt sich auch durch den Unmut der Menschen über eine meinungsbildende Elite, die sich anmasst, verbindlich festzulegen, was richtig und was falsch ist.

Was hingegen stimmt: Deutschland erlebt zurzeit keinen «Rechtsruck», sondern höchstens einen «Ruck in Richtung rechts». Und dieser erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass in der Vergangenheit manches «ziemlich weit links» verortet war. Insofern sind die angeprangerten Glaubenssätze in einzelnen Fällen ohnehin schon durch den Zeitgeist relativiert worden.

Daten, Daten, Daten

Blome, Politik-Chef bei RTL und N-TV, zuvor in leitender Funktion bei «Welt», «Bild» und «Spiegel» tätig, ist einer der prominentesten Publizisten Deutschlands. Er schreibt flott, manchmal vielleicht zu flott. Süffisante Urteile wie «So ein Unfug!» oder «Nonsens» stören und schwächen letztlich die Ernsthaftigkeit seiner Argumentation.

«Dies ist ein Buch für Besserwisser», schreibt Blome. Es ist vor allem das Buch eines Autors, der die Dinge genau anschaut und Schlagworten misstraut. Blome weiss, wovon er spricht. Er stellt komplexe Sachverhalte verständlich dar, ohne zu vereinfachen. Zuweilen ergänzen Lösungsvorschläge die Diagnose unausgegorener Positionen.

Selbstverständlich gibt der Autor keine Wahlempfehlung ab. Aber er äussert einen Wunsch: Nach der Bundestagswahl möchte er eine evidenzbasierte Bilanz der von ihm erörterten Themenbereiche. Denn eine Klage durchzieht das ganze Buch: In vielen Bereichen ist das Datenmaterial ungeordnet und schwer zu beschaffen. Und nur anhand von Daten kann man sachlich argumentieren. Schlagworte helfen nicht weiter.

Nikolaus Blome: Falsche Wahrheiten. 12 linke Glaubenssätze, die unser Land in die Irre führen. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2025. 208 S., Fr. 30.50.

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