Der Politologe Kishore Mahbubani sagt, der Westen sei überfordert. Die Amerikaner frönten der Illusion, sie könnten den Aufstieg Chinas noch verhindern. Und die EU sei komplett orientierungslos. Ein Gespräch über die Weltlage.
Herr Mahbubani, der Zollkrieg zwischen den USA und China ist innert kurzer Zeit eskaliert. Beide Seiten signalisieren maximale Härte. Wer wird zuerst nachgeben – Trump oder Xi?
Die Frage ist, wer auf lange Sicht eher in der Lage ist, Schmerzen auszuhalten. Ich vermute, dass es die Chinesen sind. Die Regierung in Peking muss sich keinen Wahlen stellen. Für die Republikanische Partei hingegen stehen in zwei Jahren Zwischenwahlen an. Und das schlimmste Szenario für Donald Trump ist, wenn die Republikaner 2026 verlieren. Diese Ausgangslage schwächt Trumps Position.
Sie halten Demokratie also für einen Nachteil in einem Handelskrieg?
Nicht nur das. China ist ein riesiges Land und in vielen Bereichen weitgehend autark. Deshalb kann es enormem Druck standhalten.
Gleichzeitig steht doch auch Chinas Regierung unter Druck, weil die Wirtschaft bereits kriselt.
Wenn es um Chinas Wirtschaft geht, denkt der Westen in Zeiträumen von ein, zwei oder drei Jahren. Die Chinesen hingegen denken in Jahrzehnten. Hätten wir dieses Interview vor zehn Jahren geführt und hätte ich gesagt: «Gebt China noch mal zehn Jahre, und es wird ernsthaft zur Konkurrenz für Mercedes, BMW oder Toyota» – ihr hättet mich ausgelacht. Und, was ist passiert?
Elektroautos aus China sind so gut geworden, dass sogar die EU Importzölle gegen sie verhängt hat, um die europäischen Autofirmen zu schützen. Sie wollen darauf hinaus, dass Chinas Wirtschaft nur mit temporären Schwierigkeiten konfrontiert sei?
Ja. Zurzeit ist die Stimmung bei den chinesischen Unternehmern und Konsumenten gedämpft. Doch das kann sich schnell wieder ändern. Ob bei Solarpanels, Windturbinen, Batterietechnologien, Elektrofahrzeugen oder Robotik: China investiert von allen führenden Volkswirtschaften am meisten in Zukunftsindustrien. Die Früchte dieser Investitionen werden kommen.
Wenn Historiker in Zukunft auf diesen Moment in der Geschichte zurückblicken, werden sie Trump als Wendepunkt markieren im Niedergang des Westens und im Aufstieg Asiens?
Der Aufstieg Asiens und der relative Bedeutungsverlust des Westens sind keine kurzfristigen Phänomene. Dahinter stehen grosse historische Kräfte. Wir kehren zur Normalität der Weltgeschichte zurück. Die letzten zweihundert Jahre westlicher Dominanz erscheinen dem Westen als selbstverständlich. Tatsächlich waren sie die Ausnahme. Denn über fast zwei Jahrtausende hinweg – von Jahr 1 bis etwa 1800 – waren China und Indien durchgehend die beiden grössten Volkswirtschaften der Welt. Der Westen erlebte dann mit Aufklärung, Renaissance und industrieller Revolution einen Vorsprung. Aber es war immer nur eine Frage der Zeit, bis Asien aufholt – und genau das passiert jetzt.
Wann wird Asien den Westen überholen?
Bis 2050 könnten China und Indien wieder die Nummer eins und zwei der Weltwirtschaft sein. Und das geschieht unabhängig davon, ob gerade ein Trump oder ein Biden im Weissen Haus sitzt. Diese tektonischen Verschiebungen sind wie eine heranrollende Welle: unaufhaltsam.
Sie sprechen von einem «relativen Bedeutungsverlust» des Westens. Was meinen Sie damit genau?
Relativ, weil westliche Länder auch im asiatischen Jahrhundert erfolgreich sein können. Sofern sie verstehen, dass sich die geopolitischen Verhältnisse verändern, und sie sich darauf einstellen. Bis jetzt ist die Bilanz ernüchternd. Amerika und die Europäische Union sind geopolitisch auf unterschiedliche Weise überfordert. Amerika gibt sich der Illusion hin, es könne Chinas Aufstieg noch verhindern. Die Europäische Union wirkt regelrecht orientierungslos. Der Kontinent braucht einen vollständigen strategischen Neustart.
Wie kommen Sie zu diesem Befund?
Europa macht mich ratlos. Das offensichtlichste Beispiel ist der Krieg in der Ukraine: Er wäre durchaus vermeidbar gewesen, von Anfang an. Europa hätte sich nur ernsthaft mit den tief sitzenden Sicherheitsinteressen Russlands auseinandersetzen müssen. Als die Nato 2008 erklärte, dass die Ukraine dem Verteidigungsbündnis beitreten solle, war das für Russland eine ungeheure Provokation. Warum macht man so etwas? Das zeugt von mangelndem gesundem Menschenverstand. Im Oktober 2022 sprach ich mit Henry Kissinger, und er sagte mir, er könne kaum begreifen, was mit Europa passiert sei. Vor hundert Jahren habe Europa die Welt regiert – heute sei es nicht einmal mehr in der Lage, sich selbst zu führen.
Sie implizieren, dass Europa diesen Krieg provoziert habe.
Wenn man in die Höhle des Bären geht und ihm in die Augen sticht, darf man sich nicht wundern, wenn er zurückschlägt. Der Europäer aber stellt sich erstaunt hin und fragt: Warum hat der Bär mich verletzt?
Aus europäischer Perspektive ist Russland der Aggressor.
Das zeigt, wie naiv Europa geworden ist. Wer heute noch nicht erkennt, dass der Westen Mitverantwortung an diesem Chaos trägt, der macht sich etwas vor. Natürlich – die russische Invasion in der Ukraine ist illegal, ein klarer Bruch des Völkerrechts. Aber als der Westen Sanktionen gegen Russland verhängte, wurden sie nur durch etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung unterstützt. 85 Prozent machten nicht mit. Das zeigt, wie isoliert und weltfremd die europäische Sicht ist.
Wie sollte Europa reagieren, wenn es mit einem Land wie Russland konfrontiert ist, das imperialistische Ziele verfolgt und Nachbarländer angreift?
Ich sage das als Freund Europas: Europa sollte sich fragen, wie man mit schwierigen Nachbarn lebt. Warum versucht ihr nicht zu verstehen, dass Russland die Welt völlig anders sieht? In Asien ist das anders. Wir sind extrem vielfältig, aber wir kommen miteinander aus – gerade weil wir wissen, wie unterschiedlich wir sind. Wir erwarten nicht, dass andere so werden wie wir. Europa hingegen hat diesen idealistischen Eifer, dass alle so werden sollen wie sie.
Aus einem Krieg machen Sie nun eine Vielfaltsdebatte. Die Ukraine wollte doch nicht Russland verändern, sondern einfach unabhängig sein.
Ich bleibe dabei, die eigentliche Frage ist: Könnt ihr mit Vielfalt umgehen – in einer Welt, in der ihr zur Minderheit gehört? Europäer machen nur noch 6 bis 7 Prozent der Weltbevölkerung aus. Und selbst wenn man den gesamten Westen zählt, sind es kaum mehr als 12 Prozent. 88 Prozent leben ausserhalb des Westens – und genau diese 88 Prozent beginnen jetzt, aufzuwachen. Die Frage ist: Wollt ihr euch an diese neue Welt anpassen – oder erwartet ihr wirklich, dass sie sich euch anpasst?
Die asiatischen Länder kommen deutlich weniger gut miteinander aus, als Sie suggerieren.
Wir haben keinen Krieg.
China hatte jahrelang Grenzkonflikte mit Indien. Im Südchinesischen Meer beansprucht China Gebiete, die Fast-Nachbarstaaten ebenfalls für sich reklamieren. Auch mit Japan und Südkorea gibt es Spannungen.
Sie erwähnten Indien: Wissen Sie, wer Indiens wichtigster Handelspartner ist? Es ist China. Natürlich gibt es Spannungen, ja – aber man arrangiert sich, man findet Wege, pflegt ganz normale Wirtschaftsbeziehungen. Wann wird Europa wieder normale Handelsbeziehungen zu Russland aufnehmen?
Sie werfen den Europäern vor, naiv zu sein. Was sehen Sie als Ursache?
Europa verfügt über exzellente Universitäten und renommierte Think-Tanks – und dennoch scheint es in einem Denken des 19. und 20. Jahrhunderts festzustecken. Es geht dabei nicht nur um koloniale Denkmuster, sondern um das tief verankerte Gefühl, anderen überlegen zu sein. Und diese Arroganz tragen viele Europäer bis heute in sich.
Spüren Sie dieses Überlegenheitsgefühl primär im politischen Handeln oder auch im Alltag?
Auch da, aber das Entscheidende ist: Die Asiaten lassen sich davon nicht mehr einschüchtern. Früher war das anders. In meinen Memoiren beschreibe ich, wie ich als Kind in einer britischen Kolonie aufwuchs – ich wurde 1948 geboren, und Singapur blieb bis 1963 unter britischer Herrschaft. In meinen ersten fünfzehn Lebensjahren glaubte ich wirklich, als Asiat mit brauner Haut sei ich dem weissen Mann unterlegen – er sei intelligenter, fähiger, einfach besser. Für mich war das die natürliche Ordnung der Dinge. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe: Das stimmt nicht.
Wann haben Sie angefangen, dieses Weltbild zu hinterfragen?
Das war ein langsamer Prozess – er wurde befeuert durch den Aufstieg Asiens. Ich nenne Ihnen eine einfache Zahl, um zu zeigen, wie sehr sich die Welt verändert hat: 1980 war das Bruttosozialprodukt der EU zehnmal so gross wie das Chinas. Heute sind beide gleichauf. Und 2050 wird die EU nur noch halb so gross sein wie China. Wenn man also vom Zehnfachen auf die Hälfte schrumpft – und trotzdem weiter von oben herab mit China spricht –, dann liegt das Problem nicht bei China, sondern bei einem selbst.
Denken Sie, dass sich die Geschichte umkehren könnte – und Asiaten sich künftig überlegen fühlen?
Nein, ich glaube nicht. Aber sie werden sich auch nicht länger unterlegen fühlen. Europäer sprechen oft herablassend über den Rest der Welt – ohne es zu bemerken. Sie stellen Forderungen, verhängen Sanktionen und nehmen sich das Recht heraus, über andere zu urteilen. Doch die alte Deutungsmacht ist nicht mehr da.
Sollten Sie recht haben, und China würde 2050 die grösste Volkswirtschaft und Indien die zweitgrösste: Was würde dies für die Welt bedeuten?
Wenn eine Grossmacht aufsteigt, stellt sich die Frage: Will man sie provozieren – oder mit ihr arbeiten? China zu verstehen, heisst nicht, sich unterzuordnen. Die Vietnamesen haben dafür eine kluge Redensart: Wer Vietnam führen will, muss gleichzeitig in der Lage sein, China die Stirn zu bieten – und mit China auszukommen. Das erfordert geopolitisches Geschick und strategisches Feingefühl. Und genau das, so fürchte ich, hat Europa verloren.
Sie raten Europa, eine eigenständigere Rolle zu spielen – auch gegenüber den Vereinigten Staaten. Glauben Sie, dass das wirklich im Interesse Europas liegt? Oder dient es am Ende vor allem China?
Erfahrene europäische Staatsmänner haben einmal gesagt: Staaten haben weder dauerhafte Freunde noch dauerhafte Feinde – sie haben nur dauerhafte Interessen. Während des Kalten Krieges fielen die Interessen Europas und die der USA zusammen, weil sie einem gemeinsamen Gegner gegenüberstanden: der Sowjetunion. Aber in zwanzig oder dreissig Jahren wird Europas grösste Herausforderung nicht mehr aus Russland kommen.
Sondern?
Die demografische Entwicklung Afrikas ist Europas grösstes Zukunftsthema. 1950 hatte Europa doppelt so viele Einwohner wie Afrika. Heute ist Afrikas Bevölkerung zweieinhalbmal so gross wie die Europas. Bis zum Jahr 2100 wird sie zehnmal so gross sein. Wenn Afrika sich nicht entwickelt, werden die Menschen nach Europa kommen. Und wir sehen bereits heute, was einige tausend Geflüchtete politisch auslösen: Rechtsradikale Parteien gewinnen an Stärke, die AfD wird immer einflussreicher, in Italien regiert die extreme Rechte. Deshalb sollte Europas strategisches Ziel sein, möglichst viel wirtschaftliche Entwicklung in Afrika zu ermöglichen. China investiert derzeit am meisten in Afrika. Dass die USA China eindämmen wollen, ist verständlich. Aber warum sollte es im Interesse Europas sein, sich dem einfach anzuschliessen?
Chinas Nähe zu Russland schürt nicht gerade Vertrauen in Europa. Warum lässt China seinen Einfluss auf Russland nicht walten, damit Putin seinen Krieg stoppt?
Die Chinesen sind klug und strategisch versiert. China will die Welt nicht beherrschen – schon das eigene Land zu regieren, ist Herausforderung genug. Warum also sollte sich China freiwillig in Konflikte im Ausland verstricken? Im 15. Jahrhundert war die chinesische Flotte der spanischen und portugiesischen weit überlegen. China hätte damals die Welt erobern können. Aber es hat es nicht getan, weil das nicht in seiner kulturellen DNA liegt.
China verwickelt sich als Lieferant von kriegswichtigen Gütern an Russland sehr wohl in den Krieg in der Ukraine. Das Land rüstet massiv auf. Chinesische Unternehmen betreiben ein weltweites Hafennetz mit über hundert Standorten – auf fast allen Kontinenten. Und mit der neuen Seidenstrasse ist China in zahlreichen Ländern präsent. Alles in friedlicher Absicht?
Chinas globaler Einfluss wird weiter zunehmen. Das ist Realität. Aber wird China deshalb andere Länder erobern? Sicher nicht. Obwohl es dazu in der Lage wäre. Das westliche Grossmachtdenken ist China fremd. China verhält sich nicht wie die Vereinigten Staaten. Stellen Sie sich einmal vor, China würde sich so verhalten wie Donald Trump – und einfach fordern: Gebt uns Grönland zurück.
Was ist mit Taiwan? Chinas Absicht, das Land über kurz oder lang zu annektieren, ist offensichtlich.
Der beste Weg, den Frieden in Taiwan zu sichern, ist ganz einfach: den Status quo nicht verändern. Solange Taiwan keine Unabhängigkeit erklärt, wird es keinen Krieg geben. So einfach ist das. Diejenigen, die diesen Status quo verändern wollen, sind die Unruhestifter. Ein Beispiel: Der Besuch der einflussreichen US-Politikerin Nancy Pelosi in Taiwan im Jahr 2022 – völlig unnötig. Die USA bekennen sich offiziell zur Politik, dass Taiwan zu China gehört, die sogenannte Ein-China-Politik. Dann sollten sie auch entsprechend handeln.
Viele Menschen im Westen betrachten China durch die gleiche Brille, mit der sie einst die Sowjetunion sahen. Die Sowjetunion war eindeutig expansionistisch, das gehörte zur kommunistischen Ideologie. Sie vertreten hingegen die Auffassung, dass China dieses Ziel vollständig aufgegeben hat – warum sind Sie sich da so sicher?
Ich stelle eine ganz einfache Frage: Wenn Xi Jinping abends ins Bett geht – glauben Sie ernsthaft, er träumt von Marx und Lenin? Die chinesische Zivilisation existiert seit fünftausend Jahren. Und wovon haben chinesische Kaiser über Jahrhunderte hinweg geträumt? Von Stabilität und vom Wohlstand ihrer Zivilisation. Xi Jinping will die chinesische Zivilisation wieder gross machen. Und wenn Sie glauben, er wolle den Kommunismus wieder gross machen – dann haben Sie ganz offensichtlich zu viel amerikanische Propaganda gelesen.
Warum sind alle Parteidokumente immer noch voll mit marxistisch-leninistischem Vokabular, soll das nur Folklore sein?
In der Geopolitik muss man eines lernen: Nehmen Sie Dinge nicht wörtlich – nehmen Sie sie ernst. Versuchen Sie, das Denken der Menschen zu verstehen. Man muss tiefer gehen, in ihre Psyche, in ihre Geschichte. Ich ermutige die Europäer: Lernt! Strengt euch an! Selbst wenn China wirklich schlimm wäre, eine echte Bedrohung für seine Nachbarn, dann bleibt doch die Frage: Welche europäischen Interessen werden heute damit bedient, China gegen sich aufzubringen? Das würde ich gern verstehen.
China ist für Europa zugleich Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale – Demokratie auf der einen Seite, Autokratie auf der anderen. Die Bedrohung liegt doch darin, dass in China ein autoritäres Regime an der Macht ist, das weltweit an Macht gewinnt.
Wollen Sie mir ernsthaft sagen, dass es Europas Aufgabe als Demokratie ist, Demokratie zu exportieren?
Es geht nicht ums Exportieren – sondern darum, die Demokratie zu bewahren.
Niemand nimmt euch eure Demokratie weg – die Chinesen ganz sicher nicht.
Wie wird das politische System Chinas im Jahr 2050 aussehen? Sehen Sie irgendwelche Tendenzen in Richtung Demokratie?
Die Vorstellung, Europa könne China die Demokratie beibringen – wer das wirklich glaubt, ist völlig naiv. Glaubt ihr ernsthaft, Europa könne China etwas lehren? Am Ende liegt alles in den Händen des chinesischen Volkes. Die kulturelle DNA eines Landes ändert sich nicht über Nacht. Wenn China einen schlechten Herrscher hat, verliert er das Mandat des Himmels. Hat es einen guten Herrscher, sind die Menschen zufrieden. So war es über Jahrtausende – und so wird es auch weiter sein. Und um eines bitte ich euch: Unterschätzt nie die Komplexität des chinesischen Denkens. In vielerlei Hinsicht ist es feiner und durchdachter als das europäische – das oft in Schwarz-Weiss-Kategorien steckenbleibt: Demokratie oder Autokratie. Freund oder Feind.
Geben Sie ein Beispiel.
Sie müssen sich das nur anschauen, was China tut. Als China die neue Seidenstrasse ins Leben rief, starteten die USA eine weltweite Gegenkampagne. Sie forderten Länder auf, nicht mitzumachen. 193 Staaten hatten die freie Wahl – 150 Länder haben mitgemacht. Ist das nicht eine bemerkenswerte Leistung der Chinesen? Glauben Sie, das sei einfach so passiert – oder vielleicht doch das Ergebnis hochkomplexer Strategie?
Der Aufstieg Asiens – und insbesondere Chinas – war doch nur möglich, weil es vom Westen eingebunden wurde.
Ja, natürlich – China hat enorm vom westlich geprägten Welthandelssystem profitiert. Und genau deshalb will China auch die regelbasierte Weltordnung von 1945 bewahren. Während sich die USA aus der Welthandelsorganisation zurückziehen, bleibt China fest darin verankert. Tatsächlich ist Chinas Bekenntnis zur Globalisierung heute tiefer als das jedes anderen Landes auf der Welt.
Wie sehen Sie die Zukunft der Globalisierung – vor dem Hintergrund des aktuellen Handelskriegs?
Die gute Nachricht ist: Fast alle asiatischen Länder treiben die Globalisierung weiter voran – und wir hoffen, dass Europa es ihnen gleichtut. Das ist eine Chance für Europa und Asien, gemeinsam für die Globalisierung einzustehen und sie aktiv zu verteidigen.
Sehen Sie keine Gefahr, dass aus einem Handelskrieg zwischen den USA und China am Ende ein echter Krieg werden könnte?
Nein, das glaube ich nicht. Alle wichtigen Akteure sind sich der Gefahr bewusst und verhalten sich entsprechend vorsichtig. Natürlich machen sich viele in Asien Sorgen über Trump und seine Zölle – aber niemand glaubt, dass sich die langfristige Richtung der Weltgeschichte dadurch ändert.
Sie bleiben gelassen.
Wissen Sie, ich bin aus extremer Armut gekommen – wirklich von ganz unten. Als ich sechs war, kam ich in ein Ernährungsprogramm, weil ich unterernährt war. Wir lebten ohne Spültoilette, Schuldeneintreiber standen vor der Tür, mein Vater kam ins Gefängnis. Ich habe echte Armut der Dritten Welt erlebt. Und Sie wollen mir sagen, dass da noch etwas Schlimmeres kommen soll? Keine Chance. Wenn man nicht versteht, woher die asiatischen Länder kommen, wird man auch ihre Widerstandskraft nie begreifen.