Sonntag, Oktober 6

Die Schweiz muss alle CO2-freien Stromquellen nutzen können, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Dazu gehört auch die Kernkraft.

Im Frühling 2011 überflutete im fernen Japan ein Tsunami das Kernkraftwerk in Fukushima und löste in drei Reaktorblöcken eine Kernschmelze aus. Die Katastrophe sendete Schockwellen bis nach Bundesbern: Nur wenige Monate nach dem Unfall leitete der Bundesrat den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie ein, später dann besiegelte das Stimmvolk den Entscheid an der Urne.

Seither sind nur wenige Jahre vergangen. Und doch ist die heutige Welt, in der wir leben, eine ganz andere. Der Krieg in der Ukraine und die folgende Energiekrise haben längst sicher geglaubte Gewissheiten ins Wanken gebracht – und die blinden Flecken der damals gefassten Energiestrategie schonungslos aufgezeigt. Die Schweiz kann sich im Winter nicht länger auf den Import von Strom verlassen. Zudem zeigt sich, dass der Zubau der inländischen Stromproduktion viel zu langsam voranschreitet, weil Umweltverbände und andere Organisationen wichtige Projekte blockieren. Erschwerend hinzu kommt, dass die Bevölkerung in der Schweiz – und damit auch der Strombedarf – viel schneller wächst, als ursprünglich prognostiziert.

Es sind dies die Gründe, die den Bundesrat zu einer Kehrtwende bewogen haben, die noch vor kurzem undenkbar schien: Das Verbot für den Neubau von Kernkraftwerken soll wieder aus dem Gesetz gestrichen werden. Die Landesregierung kommt damit den Befürwortern der Initiative «Blackout stoppen» entgegen, die eine klimafreundliche Stromversorgung fordert und in der Schweiz künftig alle klimaschonenden Energien erlauben will – also auch neue Kernkraftwerke.

Es ist dies der einzig richtige Entscheid. In der Schweiz sind immer noch vier Reaktoren in Betrieb. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit, indem sie 40 Prozent des landesweit verbrauchten Stroms produzieren. Es gesetzlich zu untersagen, diese Reaktoren dereinst zu ersetzen, wenn sie trotz umfangreichen Nachrüstungen stillgelegt werden müssen, ist ein Fehler, der korrigiert werden muss. Die Schweiz muss bei Bedarf sämtliche CO2-freien Stromquellen – auch die Kernkraft – anwenden können, um eine sichere und fossilfreie Energieversorgung gewährleisten zu können.

Dies gilt erst recht, weil die Schweiz nach wie vor weit davon entfernt ist, die Versorgungslücke im Winter mit erneuerbaren Energien zu schliessen. Zeigt sich in den nächsten Jahren, dass der Zubau der Wasserkraft, der alpinen Solaranlagen und der Windparks nicht im gewünschten Tempo gelingt und es weiterhin an Winterstrom fehlt, wird die Schweiz auf die Kernkraft längerfristig nicht verzichten können.

Allerdings sollte man sich auch keine Illusionen machen. Bis ein neues Kernkraftwerk gebaut werden könnte, würde es nicht zuletzt aufgrund der komplexen Bewilligungsverfahren, die durchlaufen werden müssten, sowie der Volksabstimmungen wohl mindestens zwei Jahrzehnte dauern. Unter diesen Umständen private Investoren zu finden, die gewillt sind, diesen Hürdenlauf zu absolvieren, dürfte enorm schwierig werden. Letztlich wird eine solche Anlage wohl nur realisiert werden können, wenn der Staat Unterstützungs- und Garantieleistungen in Milliardenhöhe übernimmt und die Bewilligungsverfahren strafft.

Am besten wäre es allerdings, wenn der Bau von neuen Reaktoren gar nicht nötig würde, weil die im Stromgesetz verankerten Ausbauziele erreicht werden. Dazu einen wichtigen Beitrag leisten können insbesondere jene Umweltverbände und Landschaftsschützer, die nun am lautesten Zeter und Mordio schreien wegen der vom Bundesrat beschlossenen Aufhebung des Neubauverbots. Beenden sie ihre Blockadepolitik gegen die Wasserkraftprojekte im Grimselgebiet und am Gornergletscher sowie gegen die diversen alpinen Solaranlagen und Windparks, erhöhen sie die Chancen massgeblich, dass der Ausstieg vom Ausstieg ein Papiertiger bleiben wird.

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