Samstag, März 22

Beim FC Barcelona landet sie via Instagram, jetzt staunt Katalonien über «ein Talent, wie wir es noch nie gesehen haben»: Die 18-jährige Schweizerin Sydney Schertenleib steht im weltbesten Frauenteam vor einer brillanten Zukunft.

«Sydneyyyyyyy», rief der Stadionsprecher bei der Vorstellung des Teams, und die 4000 Zuschauer gaben ihr Bestes. Zum ersten Mal sollten sie vor einem Match den für romanische Zungen äusserst herausfordernden Namen «Schertenleib» rufen. Ganz gelungen ist ihnen das nicht. Noch nicht. Schertenleib, die 18-jährige Mittelfeldspielerin aus der Schweiz, stand vor zwei Wochen gegen Valencia erstmals vor eigenem Publikum in der Startaufstellung des FC Barcelona.

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Auch Schertenleib selbst fremdelte in den ersten Minuten noch ein bisschen, kein Wunder: Das Estadi Johan Cruyff, in dem die Spielerinnen des FC Barcelona ihre meisten Heimspiele austragen, ist die Kathedrale des Frauenfussballs. Seit Jahren dominiert Barça den Sport, drei der letzten vier Ausgaben der Champions League hat es gewonnen. Schertenleibs Debüt in der Startaufstellung war zugleich das 100. Spiel im Johan Cruyff, die Bilanz wurde mit einem standesgemässen 4:1 auf 98 Siege, ein Unentschieden und eine Niederlage geschraubt. Als die Schweizerin nach einer guten Stunde ausgewechselt wurde, kam für sie Aitana Bonmatí, die Weltfussballerin von 2023 und 2024.

Seither hat sich Schertenleibs kometenhafter Aufstieg noch einmal beschleunigt. Vergangenes Wochenende bereitete sie beim 2:0 in Teneriffa beide Tore vor, das erste für Alexia Putellas, die Weltfussballerin 2021 und 2022, die sie in Barcelona «La Reina» nennen, die Königin. Schertenleib wurde zur besten Spielerin des Matches ernannt, und doch war der Trip auf die Insel nur die Ouvertüre für das, was am Mittwoch folgte.

Schertenleib wurde im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League beim VfL Wolfsburg in der 85. Minute für Putellas eingewechselt und fremdelte nicht mehr im Geringsten: Nach einer Minute holte sie sich eine gelbe Karte ab, und nach drei Minuten kam sie nach einer hohen Balleroberung am Strafraum an den Ball. Schertenleib versetzte ihre Gegenspielerin und zirkelte den Ball in wundersamer Flugkurve zum 4:1 in den Winkel.

Schertenleibs Technik wirkt, als wäre sie angeboren

Als «Prinzessin» wird sie nun umso mehr gefeiert. Ihre furiosen zehn Minuten in Wolfsburg – Schertenleib hätte beinahe noch zwei weitere Treffer erzielt – verstärkten in Katalonien den Eindruck, dass man es mit einer Auserwählten zu tun hat. «Dieses Mädchen», kommentierten sie beim übertragenden Fernsehsender TV 3, «wird ohne den geringsten Zweifel die Zukunft von Barça sein.»

Es sind schliesslich nicht nur Torbeteiligungen, die Schertenleib so beeindruckend machen. Es ist ihr Spiel, es ist vor allem dessen Selbstverständlichkeit. Ihre Technik wirkt so perfekt, dass sie angeboren scheint, und weil der Körper alles von alleine macht, kann Schertenleib den Kopf umso weiter oben halten, um den Match zu lesen und zu ordnen. «Sie ist eine phantastische Fussballerin», sagt Barcelonas Trainer Pere Romeu, «sie kann auf allen Mittelfeldpositionen spielen. Vor der Abwehr hält sie sehr gut die Position, sie überspielt Linien, hat ein gutes Dribbling und einen sehr guten Abschluss.»

Die Natürlichkeit und Leichtigkeit ihres Fussballs, diese Ausstrahlung, einen Profimatch so scheinbar anstrengungslos zu bestreiten wie ein Spiel auf dem Pausenplatz – das wird in Barcelona schon mit den grössten Produkten der hauseigenen Nachwuchsschule verglichen. Mit Lamine Yamal, dem 17-jährigen Star der Männer-Mannschaft. Und ja, tatsächlich bisweilen sogar auch schon mit Lionel Messi. Wie der argentinische Weltmeister in seinen ersten Profispielen trägt Schertenleib die Nummer 30 auf dem Rücken. Noch so ein Zeichen.

Barças Talentspäher entscheiden sich rasch

«Es handelt sich um ein Talent, wie wir es im Cruyff-Stadion noch nie gesehen haben», schrieb zu Wochenbeginn ein altgedienter Kolumnist des «Mundo Deportivo»: «Und wir sind das Beste gewohnt. Von den Unterschiedsaktionen von Caroline Graham Hansen zur Antizipation von Mapi León, vom Tempo von Salma Paralluelo zum Torinstinkt von Ewa Pajor, vom magischen linken Fuss von Alexia zur absoluten Dominanz von Aitana . . . Aber Schertenleib ist eine andere Nummer.»

Sydney Joy Schertenleib wurde am 30. Januar 2007 in Zürich geboren. Sie spielte für Wädenswil, den FC Zürich und die Grasshoppers. Beim Halbfinaleinzug der Schweizerinnen an der U-17-EM 2023 erregte sie erstmals Aufsehen, 2024 debütierte sie im A-Nationalteam. Als Späher von Barça sie während eines Zusammenzugs der Schweizer Equipe in Spanien beobachteten, sollen sie nicht einmal eine Handvoll Minuten Anschauungsmaterial gebraucht haben, um dem Klub ihre Verpflichtung zu empfehlen. Was danach passierte, wird wohl für alle Zeiten in keinem Porträt über Schertenleib fehlen: Weil sich kein Agent von ihr finden liess, kontaktierte Barça die Spielerin über eine Nachricht auf Instagram. «Ich dachte zuerst, das ist ein Fake», sagte sie im vergangenen Sommer zu «20 Minuten».

Es war keiner, das hat Schertenleib, die «eines Tages den Ballon d’Or gewinnen» will, dann schnell gemerkt. Wenig später zog sie im berühmten Nachwuchsinternat La Masia ein, nur wenige Meter vom Stadion entfernt. Gemeldet wurde sie zunächst für das zweite Team. Doch schon beim traditionellen Saison-Eröffnungsspiel um den nach dem Schweizer Klubgründer benannten Gamper-Pokal verblüffte Schertenleib gegen die AC Milan mit einem starken Auftritt bei den Profis. Seither wurde sie behutsam aufgebaut und von den Medien vollständig abgeschirmt.

Vertrauensbeweis trotz viel Konkurrenz im Mittelfeld

Allein ihr Fussball lässt sich nicht bändigen. Bereits nach 77 Einsatzminuten in der Liga gelang ihr Mitte Februar gegen Madrid CFF das erste Tor, es war ähnlich sehenswert wie zuletzt das in Wolfsburg. Als sie dann Anfang März in Eibar erstmals einen vollen Match absolvierte, spielte sie 108 Pässe, von denen 97 Prozent ankamen: Quoten nach bester Art des Hauses.

Im Klub haben sie aber auch registriert, wie sie nach einem seltenen Fehler vor Weihnachten gegen Real Betis, der zu einem Gegentor führte, den Platz unter Tränen verliess – das veranschaulichte Arbeitsethos und Pflichtgefühl der 1 Meter 78 grossen Schweizerin.

«Sie wird jeden Tag noch besser», sagt der Trainer Romeu vor dem Duell am Sonntagmittag gegen Real Madrid. Im Frauenfussball handelt es sich bei dem Prestigeduell noch nicht wirklich um einen «Clásico», denn Barças Wunderteam hat alle 17 Duelle gewonnen, bei einer Tordifferenz von 61:8. Bei den bisher vier Begegnungen dieser Saison (Liga, Supercup, zweimal Cup) wurde Schertenleib dreimal eingewechselt.

Bei Kurzeinsätzen dürfte es nicht mehr ewig bleiben – auch wenn Barças angestammtes Mittelfeld-Trio neben Putellas und Bonmatí in der Strategin Patri Guijarro aus einer weiteren Grande des Frauenfussballs besteht. Hinter den drei famosen Spanierinnen blieb selbst der Engländerin Keira Walsh, mit England 2022 immerhin Europameisterin, nur eine Reservistenrolle. Der Klub liess Walsh im Winter für eine hohe Ablöse zu Chelsea ziehen. Auch dieser Abgang ist ein verklausulierter Vertrauensbeweis des FC Barcelona an diese junge Zürcherin, die die Zukunft des Klubs sein soll. Sydney Schertenleib: Es wird sich lohnen, die Aussprache zu lernen.

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