Sonntag, März 16

Auch in der Politik gibt es Modeströmungen. Im Asylbereich gehört das Drittstaaten-Modell dazu: Andere Länder sollen Europa bei der Bewältigung der Fluchtmigration unterstützen. Die NZZ zeigt die Stärken und Schwächen der einzelnen Modelle.

Eine ausserordentliche Session zum Thema Asyl – das gehört inzwischen beinahe zum Rahmenprogramm, wenn sich die eidgenössischen Räte im Bundeshaus versammeln. Fast jedes Mal beantragt die SVP eine solche Aussprache. Wichtige Entscheide werden dabei selten gefällt, im besten Fall werden einige Vorstösse überwiesen. Diese Woche hat das Parlament Verschärfungen im Asylbereich zugestimmt. Unter anderem wird die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden eingeschränkt, gegen die ein Strafverfahren läuft.

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Immer stärker rückt in der Asylpolitik allerdings die internationale Zusammenarbeit in den Fokus – oder anders formuliert: Asylpolitik wird für die Schweiz mehr und mehr zu Asyl-Aussenpolitik. Über 60 Rückführungs- und Migrationsabkommen bestehen schon heute. Ihr Hauptziel ist es, abgewiesene Asylbewerber, die kein Bleiberecht erhalten, möglichst rasch zurück in ihre Heimat zu bringen.

Seit einigen Jahren geht der Trend zur Internationalisierung noch weiter. Verträge mit anderen Ländern sollen es ermöglichen, die Migranten bereits weitab von den europäischen Grenzen von einer Reise abzuhalten. Ganze Asylverfahren sollen in Drittstaaten ausgelagert werden. Gelinge dies, hätten weniger Leute ein Interesse, überhaupt nach Europa zu kommen, so lautet die Hoffnung. Ausserdem kämen weniger Menschen auf den gefährlichen Fluchtrouten ums Leben.

Bundesrat arbeitet an einem Bericht

Auch in der Schweiz lässt der Bundesrat untersuchen, ob eine solche Externalisierung von Asylverfahren rechtlich und praktisch umsetzbar wäre. Auslöser war ein Vorstoss des FDP-Ständerats Andrea Caroni, der eine Prüfung der Vereinbarkeit mit Schweizer Recht und internationalen Verpflichtungen forderte. Der Bericht dazu wird möglicherweise noch in diesem Jahr vorliegen.

Doch wie funktionieren solche Modelle – und wie können sie so ausgestaltet werden, dass sie die Migration wirklich beeinflussen? Diskutiert wird vor allem über vier Konzepte:

• Die australische Pazifik-Lösung: Schon 2001 begann Australien, seine Asylverfahren nach Papua-Neuguinea und Nauru auszulagern. Die Verfahren wurden dabei zunächst auf den beiden Inselstaaten nach australischem Recht durchgeführt. Wer Asyl erhielt, wurde nach Australien oder in ein Drittland gebracht.

Tatsächlich schafften es kaum mehr Bootsflüchtlinge nach Australien, nachdem es zuvor einige tausend pro Jahr gewesen waren. Die pazifische Lösung gilt deshalb als ein Musterbeispiel dafür, dass dieser Ansatz funktionieren kann.

Doch das Modell hat gewichtige Nachteile: Es gab massive Kritik wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen. Ausserdem erwies sich der Betrieb der Lager auf den Inselstaaten als ausserordentlich teuer. In Europa, das bei den Menschenrechten deutlich strenger ist, dürfte die Umsetzung noch schwieriger sein.

Das zeigt sich derzeit beim italienischen Albanien-Modell, das sich an Australien anlehnt. Auch bei diesem Projekt soll das Verfahren nur räumlich verlagert, aber nach italienischem Recht durchgeführt werden. Nur wer Asyl erhält, soll nach Italien einreisen dürfen. Doch italienische Gerichte haben das Projekt gestoppt.

Migrationsfachleute erklären, dass sich die Situation von Australien ohnehin nicht mit jener von Europa vergleichen lasse: Die Zahl der Menschen, die in Europa ankämen, sei um ein Vielfaches grösser. Es sei hier mit einzelnen Lagern deshalb gar nicht möglich, dieselbe Abschreckungswirkung zu erzielen.

Das pazifische Modell eignet sich vor allem für Migrationsströme, bei denen die Schutzquote klein ist. Das ist bei den meisten Flüchtlingen, die aus Nordafrika einreisen, der Fall. Die allerwenigsten von ihnen erhalten Asyl. Die Rechnung könnte hier also aufgehen. Denn für die meisten Menschen dürfte sich die Reise nicht lohnen, wenn sie ohnehin in Albanien landen – und von dort aus zurückmüssen.

• Das britische Rwanda-Modell: Vor drei Jahren plante Grossbritannien, sein Asylsystem zu entlasten, indem es Verfahren ins Ausland verlagert. Als die konservative Regierung dieses Modell 2022 lancierte, sorgte es in Europa für Entsetzen. Grossbritannien ging dabei sogar noch einen Schritt weiter als Australien. Und Dänemark erwog zur selben Zeit ein ähnliches Projekt.

Das Modell unterscheidet sich von der «Pacific Solution» vor allem in zwei Punkten. Erstens wollte Grossbritannien die Asylverfahren nach rwandischem Recht durchführen. Und zweitens sollten Personen mit positivem Entscheid auch in Rwanda selbst Schutz erhalten. Auch hier ergaben sich grosse Schwierigkeiten. Zunächst stoppten die Gerichte das Modell. Und schliesslich wurde das Vorhaben von der Labour-Regierung politisch begraben.

Drittstaaten-Modelle sind teuer

Australien hatte ebenfalls auf dieses Modell umgeschwenkt, nachdem es die pazifische Lösung 2007 wieder abgeschafft hatte. Bis heute ist es eine tragende Säule der australischen Migrationspolitik. Übertragen lässt sich dies auf die europäischen Verhältnisse nur bedingt. So ist offen, wie gut das Rwanda-Modell skalierbar ist und wie stark die Migration tatsächlich beeinflusst wird.

Die Kosten dürften auch hier zu einem entscheidenden Faktor werden. So sorgten in Australien im letzten Jahr die exorbitanten Ausgaben für Schlagzeilen: Im Jahre 2023 soll Australien für die Externalisierung der Asylverfahren umgerechnet 278 Millionen Franken bezahlt haben, und dies, obwohl sich auf Nauru nur gerade 22 Personen befanden.

Grossbritannien hat Rwanda bereits im Vorfeld 240 Millionen Pfund bezahlt – noch bevor ein einziger Asylbewerber überstellt werden konnte. Geplant war in einem ersten Schritt die Überführung von maximal 1000 Personen. Derart hohe Kosten lohnen sich nur, wenn der Abschreckungseffekt entsprechend gross ist.

Dieser könnte vor allem bei Personengruppen entstehen, bei denen die Schutzquote hoch ist. Während beim Albanien-Modell Personen mit guten Asylchancen nach Erhalt des Bleiberechtes einfach über einen Umweg in die europäischen Länder kommen, müssten sie beim Rwanda-Modell im Drittstaat selber bleiben. Ist die Flucht nicht überlebenswichtig, bliebe sie so für viele wohl wenig attraktiv.

• Der europäische Türkei-Deal: Nach der grossen Flüchtlingskrise Mitte des letzten Jahrzehnts mit weit über einer Million Asylanträgen in Europa schloss die EU mit der Türkei im Jahre 2016 eine Vereinbarung ab. Darin erklärte sich die Türkei bereit, über ihr Gebiet irregulär nach Griechenland eingereiste Asylsuchende zurückzunehmen. Das Transitland wurde damit zum Gatekeeper auf der Fluchtroute nach Europa.

Im Gegenzug leistete die EU der Türkei finanzielle Unterstützung in Höhe von 6 Milliarden Euro. Ausserdem stellte sie Visumsfreiheit für Türkinnen und Türken in Aussicht. Und sie sicherte zu, pro in die Türkei zurückgeführtem Syrer einen syrischen Geflüchteten aufzunehmen. Die Botschaft an die Migranten: Es lohnt sich, in der Türkei zu bleiben – nur dann bestehen Chancen, nach Europa zu gelangen.

Die Ziele konnten erreicht werden – allerdings nur teilweise: Die irreguläre Migration ging stark zurück. Während 2015 noch rund 850 000 Migrantinnen und Migranten auf den griechischen Inseln landeten, waren es 2017 noch etwa 30 000. Als Folge davon wurden auch die Schlepperorganisationen geschwächt.

Doch es gab massive Kritik an dem Türkei-Deal: Weil die Asylverfahren auf den griechischen Inseln zu langsam erledigt wurden, mussten Geflüchtete monatelang in überfüllten Lagern ausharren. Die Zustände waren und sind teilweise katastrophal. Viele Asylsuchende leben noch immer dort. Und die Zahl der Personen, die in die Türkei zurückgeführt wurden, blieb deutlich unter den Erwartungen.

Die europäischen Länder realisierten zudem bald, dass die Türkei dank ihrer zentralen Rolle bei der Bewältigung der Migrationskrise ein gewaltiges Druckmittel erhielt. So hielten sie sich mit Kritik und Sanktionen zurück, als die Regierung Erdogan teilweise autoritäre Züge annahm. Der türkische Präsident forderte zudem wiederholt zusätzlich finanzielle Mittel. Im Februar 2020 kündigte die Türkei schliesslich an, die Grenzen zur EU wieder zu öffnen.

Aber auch aus türkischer Sicht sieht die Bilanz durchzogen aus: Die angekündigte Visafreiheit wurde nicht umgesetzt. Und auch die Hoffnung auf eine Beschleunigung des EU-Beitritts-Verfahrens erwies sich als nicht realistisch.

• Das niederländische Return-Hubs-Konzept: Im letzten Jahr kündigten die Niederlande an, abgewiesene Asylbewerber künftig nach Uganda zu bringen. Dies, nachdem das Asylverfahren in den Niederlanden nach niederländischem Recht durchgeführt worden ist. Es ist die neuste Variante im Rahmen der Drittstaaten-Modelle. Die Idee dahinter: Personen, bei denen die Abschiebung nicht gelingt, werden in ein Drittland gebracht – oder sie können freiwillig in ihre Heimat ausreisen.

Dieses Modell zielt damit auf eines der Kernprobleme im Asylbereich: Die Abschiebung macht fast allen Ländern zu schaffen, zum Beispiel weil die Reisepapiere nicht vorhanden sind oder die Identität nicht ausreichend geklärt werden kann. In der Schweiz beispielsweise dauert die Papierbeschaffung gegenwärtig über ein Jahr.

Laut dem deutschen Migrationsrechtler Daniel Thym hat das niederländische Modell einen weiteren Vorteil: Für Personen, die nicht schutzbedürftig seien, seien die rechtlichen Standards, die das Aufnahmeland erfüllen müsse, geringer. Deshalb wäre es wohl einfacher, geeignete Partnerländer zu finden.

Kritik von Menschenrechtsorganisationen

Ausserdem könnte dieses Modell politisch auf grössere Akzeptanz stossen. Dies, weil es nur Personen betrifft, bei denen in einem Verfahren festgestellt wurde, dass sie keinen Schutz benötigten. Die EU hat deshalb grundsätzlich positiv auf das Konzept reagiert. Sie will in Kürze einen Gesetzesentwurf vorlegen. Mehrere Länder, darunter Deutschland, Italien und Österreich, haben bereits ihre Unterstützung signalisiert.

Kritik gibt es allerdings auch hier: Die EU-Agentur für Grundrechte erklärte, dass diese Einrichtungen nur dann mit EU-Recht vereinbar wären, wenn sie «robuste und effektive Grundrechtssicherungen» enthalten würden. Und Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass sich die Return-Hubs zu rechtsfreien Räumen entwickeln könnten, in denen desolate humanitäre Zustände herrschten.

Die Externalisierung von Asylverfahren stellt in jeder Ausprägung eine Gratwanderung dar. Fachleute verweisen deshalb regelmässig auf die grossen rechtlichen, politischen, ethischen und praktischen Hürden. Die Idee stösst auch in potenziellen Aufnahmestaaten nicht nur auf Begeisterung. So hatten die 55 Staaten der Afrikanischen Union (AU) 2019 Aufnahmezentren für Asylbewerber auf ihrem Gebiet abgelehnt.

Das Botschaftsasyl nach Schweizer Art: Ganz neu ist die Auslagerung von Asylverfahren in andere Staaten übrigens nicht. Das Schweizer Asylgesetz sah bis 2012 die Auslagerung sogar gesetzlich vor – jedenfalls in reduzierter Form: Das sogenannte Botschaftsasyl wurde eingeführt, um verfolgten Personen einen sicheren Zugang zu Asylverfahren zu ermöglichen, ohne dass sie sich auf gefährliche Fluchtrouten begeben mussten.

Schutzsuchende konnten direkt in einer Schweizer Botschaft oder einem Konsulat im Ausland um Asyl ersuchen. Weder Herkunfts- noch Drittstaaten nahmen dabei allerdings eine aktive Rolle ein. Doch das Botschaftsasyl blieb ohne Erfolg. Die Schweiz war das einzige Land, das das Instrument kannte, und Asylgesuche in der Schweiz blieben weiterhin möglich. Deshalb wurde niemand von der Reise nach Europa abgehalten.

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