Mittwoch, Februar 5

Eine Woche vor den Sommerspielen in Paris bringen Fuentes’ Enthüllungen den spanischen Sport in Verruf. An den Heimspielen 1992 sei unter seiner Aufsicht gedopt worden – unter anderem Spaniens heutiger OK-Delegationsleiter.

Eine Leistungsexplosion des Gastgebers von Olympischen Spielen ist keine Seltenheit. Nach dem Zuschlag der Spiele werden jeweils Programme aufgelegt, Fördermittel vervielfacht, Trainer aus dem Ausland verpflichtet. So findet sich in der jüngsten Geschichte kaum ein Ausrichter, der nicht vor eigenem Publikum (und meist schon im Zyklus zuvor) sein Abschneiden signifikant verbessert hätte.

Nie jedoch war der Sprung so spektakulär wie bei den Spaniern 1992. Eine Nation, die 1988 nur vier Medaillen gewonnen und selbst an den Boykottspielen von 1980 und 1984 nur sechs beziehungsweise fünf Medaillen errungen hatte, totalisierte in Barcelona plötzlich 22 Podestplätze, darunter waren 13 Goldmedaillen.

Die «Operación Puerto» demaskierte eine ganze Generation von Radfahrern

Wo Sportwunder zu feiern sind, ist Doping allerdings oft nicht weit, und für Barcelona 1992 bestätigte diesen Verdacht der einschlägig bekannte Gynäkologe Eufemiano Fuentes. In einem vermeintlichen Hintergrundgespräch mit vermeintlichen Buchautoren erzählte er bereits 2021 in einer Hotelsuite mit weissem Jackett und Weinglas in der Hand, wie von Spaniens Regierung an ihn die Order ergangen sei: «Tu, was immer du tun musst, aber wir wollen Medaillen.» Die ARD sendet das Material seit dem Freitag im Rahmen ihrer Dokumentation «Geheimsache Doping: Schmutzige Spiele».

Fuentes, 69, ist weltbekannt, seit 2006 die «Operación Puerto» seine illegalen Bluttransfusionspraktiken aufdeckte und damit eine Generation von Radfahrern um den Deutschen Jan Ullrich demaskierte. In der Folge avancierte er zu einer Art schwarzem Ritter des spanischen Sports, der für Skandalisierer aus dem Ausland jedweden iberischen Triumph von Real Madrid bis Rafael Nadal auf dem Gewissen hatte, derweil ihn Beschwichtiger in der Heimat als überschätzten Dampfplauderer darzustellen versuchten. Oft hat Fuentes mit Enthüllungen gedroht, selten lieferte er solche tatsächlich.

Dass er im Vorfeld der Olympischen Spiele 1992 eine unrühmliche Rolle spielte, scheint indessen schon deshalb plausibel, weil er es bereits in einem ganz offiziellen Interview ausgeplaudert hat. Im selben Jahr 2021 sass er in einem anderen weissen Sakko beim spanischen Prime-Time-Programm «Lo de Évole» und gab ein Interview, das er – «Ich bin jetzt in Rente» – zu einer Art Vermächtnis erklärte: «Ich war meiner Zeit voraus, deshalb war ich so gefragt.»

Wie nun in dem ARD-Material illustrierte er auch damals, wie er mit öffentlichen Geldern im Ostblock jene Informationen über Doping erkaufte, die damals als das Mass der Dinge galten: Den Medaillenspiegel 1992 gewann die GUS, der vorübergehende Nachfolger der UdSSR, vor den USA, danach folgten Deutschland – vor allem dank den Sportlern aus der früheren DDR –, China, Kuba und eben Spanien.

Fuentes war zwar 1989 als Arzt des spanischen Leichtathletikverbandes entlassen worden. In dem «Évole»-Interview gab er aber an, rund 15 Athleten weiterhin und bis zu den Spielen betreut zu haben. Das bedeutete bei ihm vor allem Blutdoping – «sicherer, sauberer und einfacher» –, aber auch EPO und Wachstumshormone.

In den ARD-Mitschnitten lässt Fuentes nun anklingen, dass sein Verzicht auf einen offiziellen Posten abgesprochen gewesen sei («eine Strategie, um frei zu arbeiten»). Ausserdem verrät er, dass nach Vergabe der Spiele 1986 gezielt nach Jugendlichen gesucht worden sei, die an den Olympischen Spielen 1992 zwischen 22 und 24 Jahren alt sein würden. «Wir bereiteten sie technisch vor, trainierten sie körperlich und halfen ihnen medizinisch.» Tatsächlich waren acht der zwölf spanischen Einzel-Medaillengewinner 1992 unter 25 Jahre alt; die übrigen zehn Erfolge gelangen Teamsportlern und Seglern.

Auch wenn die Sommerspiele 1992 heute international vor allem wegen des Dream-Team der US-Basketballer erinnert werden und lokal wegen der gelungenen Transformation der Stadt, wirft die Person Fuentes einen Schatten auf die Spiele: Als kontaminiert muss etwa der in Spanien oft erinnerte Triumph von Fermín Cacho über 1500 Meter gelten. Bei «Évole» gab Fuentes auf Nachfrage an, dass Cacho einer seiner Patienten gewesen sei, dem er «die Behandlung gab, die ich in jener Zeit machte».

«Wenn er nicht für uns arbeitet, soll er für niemanden arbeiten»

Besonders brisant wurde in diesem Zusammenhang seine folgende Einlassung, dass ihn Cacho, ein Mitglied der sozialistischen Regierungspartei, 2004 gebeten habe, wieder für das Spanische Olympische Komitee (COE) zu arbeiten und das Team auf Olympia 2008 vorzubereiten. Fuentes habe abgesagt, ein Jahr später – «was für ein Zufall», so der Doktor – begann die «Operación Puerto»: «Jemand dachte: Wenn er nicht für uns arbeitet, soll er für niemanden arbeiten, also entfernen wir ihn aus dem System.»

Auch die Lust an Verschwörungstheorien ist typisch für Fuentes. Doch dass Spaniens Politik bei Dopingkontrollen den Deckel von Proben abnahm und vor allem wieder aufsetzte, ist ein Verdacht, der nicht völlig unbegründet ist. Wenn die «Operación Puerto» letztlich in langen Gerichtsverfahren mit Freisprüchen austrudelte, dann – so wird seit je gemutmasst – womöglich auch deshalb, weil sie nicht weiter gehen sollte. Auch als der Vorstand des Fussballklubs Real Sociedad San Sebastián 2008 nach Sichtung von Vereinsunterlagen enthüllte, unter den Vorgängern sei für medizinische Consulting-Dienste Fuentes’ bezahlt worden, warf das keine Grundsatzdebatten auf.

Die Sportmarke Spanien wird verteidigt, das zeigte sich auch in den Statements, die auf die jüngste Enthüllung folgten: «Vonseiten des COE wurde niemals ein Verhalten geduldet, geschweige denn veranlasst, das die Werte des Sports oder des olympischen Geistes verletzten könnte», stand da unter anderem.

Der COE-Chef Alejandro Blanco sprach ausserdem explizit Cayetano Cornet sein Vertrauen aus. Der ist ein ehemaliger 400-Meter-Läufer, den Fuentes laut den ARD-Materialien bei Olympia 1992 betreut haben will. Sonderlich erfolgreich war Cornet damals nicht, er schied bereits in den Vorläufen aus. Reüssiert hat er später dafür als Funktionär. Seit den Olympischen Spielen in Turin 2006 führt er die spanischen Olympiadelegationen als Chef de Mission an. Auch an die Sommerspiele in Paris ab nächster Woche reist er als Spaniens OK-Delegationsleiter.

Es wäre unlauter, gegenwärtige spanische Sporterfolge mit dem pensionierten Doktor Fuentes zu assoziieren. Doch durch die Personalie Cornet liegt der Schatten der Vergangenheit nun auch über der Gegenwart.

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