Samstag, Januar 4

Von Drohnen bis zu optimierter Besamung: Neue Technologien durchdringen die Landwirtschaft. In einer konservativen Branche freut das nicht alle.

In der Landwirtschaft gibt es einen neuen Beruf: Drohnenpiloten. Zwei von ihnen sind Martin Germann und Adrian Hohl, die bei der Agrargenossenschaft Landi Weinland arbeiten. Die Drohnentechnologie habe sich enorm weiterentwickelt, sagen sie. Vor sechs Jahren setzten sie erstmals eine kleine Drohne ein, um Weinstöcke in steilen Hanglagen zu spritzen, wo der Weinbauer kaum hinkommt. Nun gibt es schon Drohnen, die Lasten von bis zu 50 Kilogramm tragen und grosse Felder besprühen können.

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Für Landwirte kann das ein Segen sein. Im vergangenen Frühsommer regnete es so viel in der Schweiz, dass die Bauern Probleme mit der Kartoffelfäule hatten. Doch Gegenmassnahmen waren schwierig, weil die Felder so feucht waren, dass sie nicht mehr mit landwirtschaftlichen Maschinen befahren werden konnten. Den Landi-Drohnenpiloten gelang es, die nötigen Pflanzenschutzmittel in manchen Fällen aus der Luft auszubringen. So konnten Teile der Ernte gerettet werden.

Drohnen, Roboter, Algorithmen

Die beiden Drohnenpiloten sind jüngst in Tänikon im Thurgau aufgetreten. Hier betreibt Agroscope, die landwirtschaftliche Forschungsanstalt des Bundes, eine «Future Farm». Daneben hat die Ostschweizer Fachhochschule (OST) jetzt ein Institut für Intelligente Systeme und Smart Farming eröffnet. Es soll als Innovationszentrum für moderne Technologien in der Landwirtschaft dienen. Tief im Thurgau ist das auch ein Statement: Der ländliche Raum und digitaler Fortschritt, das geht zusammen.

Bei der Eröffnung präsentierten weitere «Techies» und Praktiker ihre Errungenschaften. Satellitenbilder sind mittlerweile so genau, dass man damit die Bodenbeschaffenheit von Feldern vermessen kann. Künstliche Intelligenz wird eingesetzt, um auf Bildern Schädlingsbefall zu erkennen. Kleine Roboter helfen bei der gezielten Bekämpfung von Unkraut. Es gibt Kleinlabors für die Jackentasche, mit denen Bauern die Nährstoffqualität von Futtermitteln bestimmen können.

Auch bei der Fortpflanzung auf dem Bauernhof kommen digitale Technologien zum Einsatz. Bei der Paarung von Rindern geht es nicht um Romantik, sondern um Zuchterfolge: Die Bauern wollen leistungsfähige und gesunde Milchkühe. Die Zuchtverbände setzen neuerdings Algorithmen ein, um den genetisch passenden Zuchtstier für die jeweilige Kuh zu finden. «Präzise Anpaarungen auf Knopfdruck», heisst das.

Unerwartet rascher Wandel

Viele Schweizerinnen und Schweizer haben ein anderes Bild der Landwirtschaft im Kopf. Es ist das Bild einer Heidiland-Idylle, in der Technologie höchstens in Form eines Traktors vorkommt. Doch die Realität ist eine andere. Schon seit längerem gibt es im Mittelland beispielsweise Milchwirtschaftsbetriebe, in denen die Kühe von selbstfahrenden Futterrobotern versorgt werden. Hier melkt nicht mehr der Bauer. Die Kühe suchen selbständig einen Melkroboter auf, der sie an einem Chip erkennt und ihr Verhalten minuziös aufzeichnet.

Jetzt geht ein weiterer Technologieschub durch die Landwirtschaft. «Die digitalen Technologien haben sich viel schneller durchgesetzt, als ich erwartet hätte», sagt Urs Niggli, der in der Schweiz als Bio-Papst bekannt ist und das Institut für Agrarökologie in Aarau leitet. Der Wandel werde dadurch angetrieben, dass die Geräte immer günstiger und kleiner würden. Schon heute gebe es etwa Testläufe mit selbstfahrenden Mähdreschern. In einigen Jahren werde jede landwirtschaftliche Maschine über GPS und Satellitendaten gesteuert werden können, ist Niggli überzeugt.

Angst vor Kontrollverlust

Für die Bauern ist die technologische Revolution jedoch auch unbequem. Eine erste Herausforderung ist, dass die Landwirte nicht mehr alles selbst machen können, sondern Verantwortung abgeben müssen. Das wird laut Niggli oft als Kontrollverlust empfunden. Wenn etwa der Melkroboter nicht mehr funktioniert, kann der Bauer ihn nicht mehr selbst reparieren, sondern muss einen Spezialisten rufen.

Ähnlich ist es mit den Drohnen. Ein eigenes Fluggerät im Fuhrpark zu haben, ist für die meisten Landwirte keine Option. Denn das Fliegen einer Drohne erfordert eine Lizenz, und es ist nicht einfach: Das Gerät sei oft schneller wieder unten, als man möchte, sagen die beiden Landi-Piloten. Viele Bauern werden solche Dienstleistungen deshalb von spezialisierten Firmen einkaufen. Das treibt die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft voran.

Zweitens überfordert der rasche Wandel bisweilen die Bauern. Die Landwirtschaft ist immer noch eine konservative Branche. Gewohnheiten zählen viel. Wissen über landwirtschaftliche Praktiken wird zum Teil über Generationen weitergegeben. Konflikte sind programmiert, wenn beispielsweise KI-gestützte Systeme Vorschläge machen, die Traditionen widersprechen.

Drittens fürchten sich manche Bauern vor Überwachung. «Es gibt viele Ängste, dass man sich mit seinen Daten vollständig dem Staat oder der Industrie ausliefert», sagt Experte Niggli. Ein Beispiel dafür ist Digiflux, das derzeit wichtigste Digitalisierungsprojekt des Bundes in der Landwirtschaft. Händler und Bauern sollen ab dem kommenden Jahr erfassen, welche Pflanzenschutzmittel, Dünger und Tierfutter sie verwenden. Der Bund will so auch kontrollieren, ob die politisch festgelegten Reduktionsziele bei den Pflanzenschutzmitteln und beim Nährstoffeinsatz erreicht werden.

In der Agrarbranche regt sich Widerstand. Der Verein nichtszumelden.ch, in dem sich rund 200 Betriebe und Bauern zusammengeschlossen haben, spricht von «totaler Kontrolle» und will dem Bund keine Daten liefern. Urs Niggli sagt: «Der Bund legt zwar viel Wert auf Datenschutz. Aber viele Landwirte fühlen sich ohnehin kujoniert von den Bundesbehörden, weil sie von den Direktzahlungen abhängig sind.» Die Bauern fürchteten ein System, bei dem der Bund vollen Durchgriff bekommen könnte – und womöglich direkt die Subventionen kürzt, wenn ein Bauer zu viel spritzt.

Landwirtschaft gilt wieder als cool

Die Digitalisierung könnte so zu einer Spaltung unter den Bauern führen. Auf der einen Seite stünden dann jene, die sie ablehnen und sich auf traditionelle Techniken zurückbesinnen. Auf der anderen Seite wären die Enthusiasten, die die neuen Chancen ergreifen wollen.

Im Moment scheinen die Zukunftshoffnungen zu überwiegen. Die neuen Technologien versprechen Arbeitserleichterungen für die Bauern, eine effizientere Produktion und weniger Umweltschäden, weil zum Beispiel Präzisionsroboter Pflanzenschutzmittel viel gezielter und sparsamer ausbringen können als bisher.

Und es gibt einen willkommenen Nebeneffekt. Dank den neuen Technologien gilt die Landwirtschaft wieder als cool. Auch in Tänikon ist zu beobachten: Junge Leute interessieren sich für die Branche.

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