Donnerstag, Oktober 10


Um die Welt

Auf den ersten Blick haben sie wenig gemeinsam. Doch Mumbai, Miami, Mailand und einige andere Städte vereint ihre Architektur. Teilweise jedenfalls.

Art déco? Art nouveau? Jugendstil? Liberty? Man kommt leicht durcheinander, denn auch wenn manches ähnlich wirkt – ganz gleich ist es nicht. Fakt ist: Jugendstil (auch Art nouveau oder Liberty genannt) und Art déco gehören zu den beiden wichtigsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts.

Zuerst kam der Jugendstil, er entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wurde als «neue Kunst» bzw. «Art nouveau» gefeiert – als erste moderne Kunstrichtung überhaupt, die mit sanften Kurven, anmutigen Übergängen und tanzenden Linien gute drei Jahrzehnte lang für Begeisterung sorgte. Dann ebbte die Faszination ab, und die Kunstwelt wandte sich einer aufstrebenden neuen Stilrichtung zu.

Zu Beginn der 1920er Jahre feierte in Paris Art déco erste Erfolge. Die Ästhetik ist von fliessenden Formen, modernen Materialien, geometrischen Mustern und ausdrucksstarken Farben geprägt, die für einen hohen Wiedererkennungswert sorgen. Bis in die 1940er Jahre setzte der eklektische Stil seinen internationalen Siegeszug fort – er wurde bei der Gestaltung von Ozeandampfern, Flugzeugen, Automobilen, Möbeln und Mode eingesetzt, vor allem aber in der Architektur, die bis heute in verschiedenen Städten rund um den Globus zu sehen ist und für Begeisterung sorgt.

Schanghai: Prachtbauten wie Perlen an der Schnur

Angeblich hat weltweit keine Stadt mehr Art-déco-Gebäude zu bieten als die chinesische Mega-Metropole, die meisten davon stehen am berühmten Bund am Ufer des Huangpu-Flusses. Ob es tatsächlich die meisten sind, lässt sich schwer verifizieren, aber es sind auf jeden Fall sehr imposante Beispiele. Das hat mit der Geschichte der Stadt zu tun, die in den 1920er und 1930er Jahren ihr goldenes Zeitalter erlebte.

Damals wurde gebaut, so gross und so prächtig wie eben möglich und natürlich im gerade angesagten Art-déco-Stil. Bis heute reihen sich die Prachtbauten wie Perlen an der Schnur, nicht nur am Bund, sondern auch in den berühmten Shoppingstrassen Huaihai Zhong Lu und Nanjing Lu, wo unter anderem der gigantische, 1934 eröffnete Schanghai No. 1 Department Store steht – der inzwischen (leider) zu einer Luxus-Mall umgebaut wurde.

Hotel-Tipp: Das Peace Hotel am Bund existiert seit 1929 und diente von Anfang an als glamouröser Tummelplatz für die Elite. Heute ist es eine zur Fairmont-Gruppe gehörende Luxusherberge mit 270 eleganten Zimmern und Suiten, 6 Restaurants und Lounges inklusive der berühmten Jazz-Bar und einer Terrasse mit Panoramablick.

Gastro-Tipp: Die durchgestylte Brasserie Mr & Mrs Bund des französischen Chefkochs Paul Pairet ist seit über einem Jahrzehnt eine feste Grösse in der Gastronomieszene der Stadt und immer noch angesagt. Es punkten: netter Service, gute Musik, eine grandiose Weinkarte und eine phantastische Aussicht auf den Bund.

Miami: Das Zuhause durchgestylter Hotels

Der historische Art Deco District in South Beach ist eine Postkartenschönheit: pastellfarbene Gebäude zwischen schlanken Palmen, teilweise direkt an der berühmten Uferpromenade Ocean Drive. Er erstreckt sich zwischen der 6. und der 14. Strasse und zwischen Meer und Alton Road und war lange Zeit ein Paradies für Rentner. Dann kamen die noch blutjunge Madonna und der Modekönig Gianni Versace und nutzten die damals leicht schäbige Kulisse für ihre exzentrischen Auftritte.

Heute sind die meisten der zwischen 1935 und 1947 errichteten Gebäude sorgfältig renoviert; wo früher Pensionäre lebten, sind durchgestylte Hotels mit grossen Terrassen für junge, partyfreudige Feriengäste entstanden. In Miami zelebriert man das architektonische Erbe – unter anderem organisiert das Art Deco Welcome Center interessante 90-minütige Walking-Tours.

Hotel-Tipp: Das 1940 als grösstes und elegantestes Strandhotel eröffnete «Cadillac» hat nach einer Rundum-Renovierung und Vergrösserung 357 Zimmer, die mit frischem, maritimem Art-déco-Look und hübschen Bädern punkten. Im Garten stehen 2 Pools bereit, am Strand gleich dahinter warten Strandliegen und eine coole Beach-Bar.

Gastro-Tipp: Es ist laut. Und ja, es ist voll. Doch die Speisen – eine so gekonnte wie gewagte Kombi aus japanischer und peruanischer Küche – sind so köstlich, dass man das irgendwann vergisst. Man redet eben weniger und schaut mehr: Das neue 219-Plätze-Lokal Chotto Matte ist mit Schiebedach, hohen Palmen und einem imposanten Rundum-Graffito versehen.

Mumbai: Architektur-Flaniermeile

Der Marine Drive ganz im Süden der Stadt ist eine beliebte Flaniermeile: Vor allem am Abend strömen Menschenmassen an die ikonische Uferpromenade und spazieren am Meer entlang bis zum berühmten Chowpatty Beach mit seinen vielen Imbissständen. Kaum jemand würdigt die weissen Wohnblocks, die die andere Seite der breiten Fahrbahn säumen, eines Blickes – jene Gebäude, die Salman Rushdie in seinem Roman «Der Boden unter ihren Füssen» als «glitzernden Art-déco-Schwung» beschreibt.

Immerhin zählt die Parade prachtvoller Art-déco-Bauten zum Weltkulturerbe der Unesco, eine Auszeichnung, die zu ihrer Erhaltung beitragen soll und die zunehmende Wertschätzung dieser Architektur widerspiegelt – was leider nichts daran ändert, dass sie immer mal wieder der Abrissbirne zum Opfer fällt.

Hotel-Tipp: Am bekanntesten ist die Dachterrassenbar Dome, in die zum Sonnenuntergang die lokale Schickeria strömt. Doch auch die 58 Zimmer des eleganten und sehr intimen Hotels Intercontinental Marine Drive sind chic, geräumig, modern und mit einer zauberhaften Aussicht versehen.

Casablanca: Geometrischer «style mauresque»

In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts war Casablanca kaum mehr als ein grosses Dorf. Erst die französische Stadtplanung mit breiten Strassen und Plätzen verlieh der Stadt Stil und Eleganz, ganz besonders dank den Gebäuden, die im damals modernen Architekturstil, dem Art déco, errichtet wurden. Das Besondere an Casablanca ist, dass Art déco hier mit maurischen Elementen – Bögen, Fenstern und Säulengängen – zu einem eher kantigen und sehr geometrischen «style mauresque» kombiniert wurde.

Zu sehen ist dies vor allem am ehemaligen «Verwaltungsplatz», heute Place Mohammed V., der mit dem Gerichtsgebäude, dem Postamt und dem beeindruckenden Hôtel de Ville (Rathaus) nicht umsonst als der schönste Platz der «weissen Stadt» gilt. Ebenfalls sehenswert: der 1922 errichtete Art-déco-Schlachthof von Casablanca und die strahlend weisse Art-déco-Kathedrale L’église du Sacré-Cœur.

Hotel-Tipp: Das zauberhafte Relais-&-Châteaux-Hotel Le Doge bespielt ein wunderschönes, perfekt renoviertes Gebäude aus den 1930er Jahren mitten in Casablancas Art-déco-Viertel. Die nur 16 Zimmer und Suiten sind mit zum Baustil passendem Mobiliar eingerichtet, dazu gibt es ein französisches Restaurant und ein Spa mit Hammam.

Gastro-Tipp: Als gastronomischer Höhepunkt an der Corniche (Uferpromenade) gilt das 1926 eröffnete «Le Cabestan». Neben Meerblick und schickem Publikum bietet es eine feine internationale Fischküche mit deutlich französischen Akzenten und eine hervorragende Weinauswahl.

Mailand: Gebäude im Liberty-Stil

Schon am Bahnhof geht es los: Mailands monumentale Stazione Centrale, von König Vittorio Emanuele III. gewollt und in Auftrag gegeben, ist eine wilde Mischung unterschiedlicher Stilrichtungen, aber das Art-déco-Element – «Liberty» auf Italienisch – triumphiert: Lampen, Stuck, Treppengeländer mit ägyptisch anmutende Ornamenten . . . vieles wurde im damals modischen Stil gestaltet. Dessen Erfolg war eng mit dem Aufstieg des Mailänder Grossbürgertums verbunden und mit dem industriellen Wachstum der lombardischen Metropole.

Liberty wurde zu einem gut sichtbaren Statussymbol, zugleich aber auch zu einem ebenso sichtbaren Zeichen der Distanzierung von der italienischen Aristokratie mit ihrem neoklassischen und barocken Baustil. Es verwundert also nicht, dass der Liberty-Stil vor allem an von vermögenden Unternehmern errichteten Gebäuden zu sehen ist – zum Beispiel am Palazzo Castiglioni (Corso Venezia, 47), an der Casa Campanini (Via Vincenzo Bellini, 11), an der Casa Laugier (Corso Magenta, 96) und an der wunderschönen Villa Necchi Campiglio (Via Mozart, 14), die für Besucher geöffnet ist.

Hotel-Tipp: Das Hotel Sheraton Diana Majestic lockt mit zauberhafter Jugendstilfassade, einem Garten mit Magnolien, Kastanien und Glyzinen, schönen Stuckdecken sowie 106 in klassischem Stil und sanften Farbtönen gestalteten Zimmern und Suiten. Mailänder kommen zum Apéro und geniessen die Möglichkeit, mitten in der Stadt im Grünen zu sitzen.

Gastro-Tipp: Das in schönstem Art déco errichtete Museo del Novecento wartet nicht nur mit Kunst aus dem 20. Jahrhundert auf, sondern auch mit dem eleganten Restaurant Da Giacomo Arengario, das mit feiner Regionalküche (Risotto mit Ossobuco, Mailänder Schnitzel), exzellenten Weinen und freiem Blick auf den Dom punktet.

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