Montag, September 30

Der Brite und der Australier sind mit den höchsten seglerischen Auszeichnungen versehen. Im Final um den Louis-Vuitton-Cup sind sie erbitterte Gegner – warum lassen sie sich nicht auf psychologische Spielchen ein?

Sie waren Teamkollegen, aber jetzt sind sie Gegner: Ben Ainslie von Ineos Britannia und Jimmy Spithill von Luna Rossa. Sie stehen sich derzeit in Barcelona im Final um den Louis-Vuitton-Cup gegenüber – es steht 2:2 in der Serie. Wer zuerst sieben Rennen gewonnen hat, darf im Oktober den Cup-Holder Neuseeland im Kampf um den 37. America’s Cup herausfordern.

Ben Ainslie und Jimmy Spithill – das ist ein Duo, das den Segelsport in den letzten 25 Jahren geprägt hat. Der Engländer Ainslie, 47-jährig und damit zwei Jahre älter als sein Gegner, ist mit fünf gewonnenen Medaillen der erfolgreichste Olympiasegler. Der Australier Spithill nimmt zum achten Mal am America’s Cup teil und hat die Trophäe zweimal als Steuermann und Skipper gewonnen.

Auch wenn sie es nie zugeben würden: Die zwei Teamleader stehen unter einem gewaltigen Druck. Sie müssen gewinnen, Geschichte schreiben, denn keines der beiden Teams hat bisher den America’s Cup gewonnen. Bei Luna Rossa sind es vor allem die Fans, die den Cup-Sieg fordern. Jimmy Spithill sagt: «Bei keinem anderen Segelwettbewerb sind mehr italienische Fans zugegen als bei diesem. Wir versuchen, das als Wettbewerbsvorteil zu nutzen.»

Die beiden Segler gehen sehr pfleglich miteinander um

Und Ben Ainslie, der Steuermann auf dem britischen Boot, soll den berühmten Pokal nach 173 Jahren wieder in die Heimat bringen. «Wir sind seit zehn Jahren mit unserem Team dabei, und es braucht diese Zeit, um es aufzubauen.» Aber jetzt wollen sie den Neuseeländern den America’s Cup abjagen. «Bring the Cup home», wird von Ainslie gefordert.

Über den Druck, den ihre milliardenschweren Arbeitgeber ausüben, mögen Ainslie und Spithill nicht reden. Sowohl Jim Ratcliffe, Besitzer des Chemieunternehmens Ineos und des britischen Teams, als auch Patrizio Bertelli, Besitzer des Modehauses Prada und von Luna Rossa, sind seit Cup-Beginn zeitweise in Barcelona anwesend. Und es versteht sich von selbst: Beide fordern nach zwei beziehungsweise fünf vergeblichen Versuchen den Gewinn des Cups, der ihnen Prestige und einen Eintrag in die Geschichtsbücher bringen würde. Diesem heftigen Verlangen ihrer Teambesitzer sind Ainslie und Spithill ausgesetzt.

Trotz dieser Konkurrenzsituation gehen die beiden Segler sehr pfleglich und abgeklärt miteinander um. Psychologische Spielchen, wie man sie von den beiden von früher her kannte, sind bisher ausgeblieben – im Laufe der vielen Jahre des professionellen Sportlerlebens sind sie gereift. Die Harmonie mag aber auch damit erklärbar sein, dass die beiden Steuerleute eine gemeinsame Cup-Vergangenheit haben, die sehr erfolgreich war.

2013 war Ben Ainslie bei Oracle als Steuermann des zweiten Cup-Bootes angestellt. Nachdem der Skipper Spithill im Cup-Final gegen Neuseeland fast aussichtslos mit 1:7 zurücklag, holte er den Engländer als Taktiker an Bord. Mit dem vielfachen Olympiasieger Ainslie drehten die Amerikaner die Serie in einen 9:8-Sieg und feierten damit eines der grössten Comebacks der Sportgeschichte. Für Spithill war es nach dem Gewinn gegen Alinghi 2010 der zweite Cup-Erfolg, für Ainslie eine Premiere.

Ainslie wurde vom Königshaus geadelt

Dass Ben Ainslie dereinst einen Adelstitel tragen und vier olympische Goldmedaillen gewinnen würde, war in seiner Kindheit nicht vorhersehbar. Zwar holte sich der junge Segler mit 21 Jahren eine Silbermedaille im Laser (1996), doch nach seinem Wechsel nach dem Laser-Olympiasieg 2000 in die Finnklasse glaubte wohl niemand an eine unglaubliche Serie von drei aufeinanderfolgenden Goldmedaillen 2004 bis 2012 – der Wechsel war schliesslich mit einer bedeutenden Gewichtszunahme verbunden gewesen. Ainslie, eher zurückhaltend und schüchtern, mutierte so zum Volkshelden, er war bei der Schlussfeier der Olympischen Spiele in seiner Heimat Fahnenträger. Und im Jahr darauf wurde er vom Königshaus geadelt und kann sich seither Sir nennen.

Auf königliche und olympische Ehren kann Jimmy Spithill nicht hinweisen. Der in Sydney geborene Segler, der in der Statur an einen Boxer erinnert und sich mit dieser Sportart auch fit hält, setzte von Beginn an auf das Match Racing und den America’s Cup. Während Ainslie in Europa seine olympische Karriere begann, feierte Spithill 1999/2000 als frecher Jungspund seine Cup-Premiere. Mit einem unterlegenen Boot fiel er durch seine aggressive Fahrweise auf; als erst Zwanzigjähriger hinterliess er einen bleibenden Eindruck in der etablierten Cup-Szene.

Spithill wird «Pitbull» genannt

Damit war sein Weg vorgezeichnet – als Steuermann und späterer Skipper in verschiedenen Cup-Teams. Mit Oracle gewann er zweimal als jüngster Steuermann und Skipper den America’s Cup. Interessant aus Schweizer Sicht war der Match zwischen Oracle und Alinghi 2010 in Valencia, «der verrückteste und extremste America’s Cup, der je ausgetragen wurde», wie Spithill sagt. Nach dem Sieg sei «der Traum eines neun Jahre alten Rotschopfs» Wirklichkeit geworden.

Während Spithill sehr mit Luna Rossa verbunden ist, deren Farben er zum dritten Mal trägt, versucht Ainslie seit zehn Jahren sein Glück mit britischen Teams. Spithill zollt seinem ehemaligen Teamkollegen den grössten Respekt: «An Land ist er sehr höflich und gut erzogen. Auf dem Wasser aber ist er sehr, sehr aggressiv und erreicht seine Ziele.» Ainslies rabiate Methoden im Wettkampf haben ihm in der britischen Presse die Übernamen «wildes Tier» und «Monster» eingebracht – Ausdrücke, gegen die er sich nie wehrte.

Spithills Übername ist ebenfalls einprägsam: «Pitbull» wird er wegen seiner aggressiven Startmanöver genannt. Der Australier lebt von seiner grossen Selbstmotivation. Er glaubt fest an sich und an den Sieg. So tritt er auch auf, nicht überheblich, aber überzeugend und selbstbewusst. «Die Zeit nach einer Niederlage ist die beste Zeit, um zu lernen. Über Siege denke ich nur selten nach», sagt er. Nun stehen sich die beiden Familienväter erneut gegenüber, wie vor drei Jahren in Auckland, ebenfalls im Final des Louis-Vuitton-Cup-Finals. Damals siegte Spithill.

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