Dienstag, November 19

Die invasive Art tötet Honigbienen, frisst Obst und attackiert zuweilen Menschen. Dieses Jahr wurden fünf Mal mehr Nester gefunden als 2023. Auch das Parlament fordert mehr Engagement vom Bund.

Nicolas Charotton, man kann es kaum anders sagen, hat die Schnauze voll. Der Imker inspiziert an einem kühlen Novembertag seine Bienenkästen in Allaman (VD), einem Dorf am Genfersee. Mehrere Asiatische Hornissen, erkennbar an ihren überwiegend schwarzen Körpern, stehen fast reglos in der Luft, wie Drohnen. «Sie schnappen sich fliegende Bienen, trennen ihnen den Kopf ab, und nehmen den proteinreichen Körper mit.» Fette Beute für den Nachwuchs.

Charotton und ein Kollege haben Netze mit langen Stielen mitgebracht. Sie fangen die Asiatischen Hornissen und schliessen sie in Gläsern ein. Ein paar Schritte abseits der Bienenkästen lassen sie die Hornissen wieder fliegen – und versuchen, ihnen zu Fuss zu ihrem Nest zu folgen, um es zu zerstören.

Der Schädling breitet sich auch in Basel aus

Die Asiatische Hornisse wurde erstmals 2017 in der Schweiz gemeldet, im Jura. Sie ist eine invasive Art aus China, die 2004 in Europa auftauchte, in Frankreich. Von dort breitet sie sich zunehmend in Westeuropa aus – seit ein paar Jahren in der Romandie, nun vermehrt auch in der Deutschschweiz, allen voran im grenznahen Basel.

Dieses Jahr wurden landesweit bereits mehr als 650 Nester gefunden und meist zerstört. Das sind fünf Mal mehr als im Vorjahr. Die Asiatische Hornisse hat in Europa keine natürlichen Feinde und kann sich deshalb leicht ausbreiten.

Das derzeit grösste Problem ist, dass sie im Gegensatz zur europäischen Hornisse Honigbienen tötet oder so sehr einschüchtert, dass sie sich nicht mehr aus den Imkerkästen wagen und verenden. In der spanischen Provinz Galizien schrumpfte die Zahl der Bienenvölker in besonders betroffenen Regionen laut einer Studie um 65 Prozent.

Die Asiatische Hornisse jagt auch andere Insekten wie Wildbienen, Wespen oder Schmetterlinge. In der Folge werden Pflanzen weniger bestäubt, was in Frankreich laut einer anderen Studie Kosten in Höhe von 80 Millionen Euro pro Jahr verursachen soll. Ausserdem befällt die Hornisse süsses Obst wie Trauben, Birnen und Äpfel – und zuweilen die Arbeiter, die sie ernten wollen.

Für Nicolas Charotton ist klar, dass die Schweiz jetzt rasch handeln muss, um eine flächendeckende Invasion der Asiatischen Hornisse zu verhindern. Doch er und andere Hornissen-Bekämpfer – die meist freiwillig in ihrer Freizeit arbeiten, oft frühmorgens – fühlen sich allein gelassen. Jedes Jahr schlügen sie beim Bund Alarm, sagt Charotton. «Aber niemand reagiert.»

Das Parlament fordert «Taten statt schöner Worte»

Diese Einschätzung wird im Parlament durchaus geteilt. Seit 2020 reichen Parlamentarier Vorstösse zum Thema ein. Die erste Interpellation stammte von der jurassischen SP-Nationalrätin und heutigen Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider; die jüngste Motion betitelte der Zuger Mitte-Ständerat Peter Hegglin knackig: «Endlich Taten statt schöner Worte bei der Bekämpfung von invasiven Organismen».

Hegglin forderte den Bundesrat dazu auf, zur Bekämpfung insbesondere der Asiatischen Hornisse und der Kirschessigfliege «wirksame Behandlungsmethoden umgehend schweizweit zuzulassen». Konkret sollten Insektizide gegen die Asiatische Hornisse ausnahmsweise auch in Wäldern erlaubt werden. Ausserdem sollte der Bundesrat das «Zuständigkeitswirrwarr zwischen den Bundesämtern» klären.

Die Antwort des Bundesrats schien Hegglins Motion aufs Schönste zu bestätigen: Zuständig seien drei Bundesämter; für den erweiterten Einsatz von Insektiziden seien neben Ausnahmezulassungen auch Verordnungsänderungen notwendig. Deshalb beantrage der Bundesrat, die Motion abzulehnen.

Das Parlament tat das Gegenteil: Die Umweltkommission des Nationalrats fragte sich in ihrem Bericht, warum der Bundesrat nicht früher eingegriffen habe. Schliesslich nahmen beide Kammern die Motion an – wie vom Bund gewünscht dahingehend modifiziert, dass Bern nun die nötigen Verordnungen ändern muss, um die Schädlinge wirksam zu bekämpfen.

Der Bund hat eine Strategie, aber setzt sie nicht um

Doch für Daniel Cherix ist das Problem viel grundsätzlicher. Der Lausanner Biologe engagiert sich seit Jahren in der Bekämpfung der Asiatischen Hornisse und ist dafür in der Waadt kantonaler Ansprechpartner. Cherix fordert, dass der Bund endlich seine 2016 beschlossene Strategie zur Bekämpfung invasiver Arten umsetzt. «Heute sind wir überhaupt nicht vorbereitet.»

Die Strategie sieht auf Drängen der Kantone eine Führungsrolle für den Bund vor. Er soll invasive Arten nach ihrer Gefährlichkeit klassifizieren und entsprechende Massnahmen einleiten. Zum Beispiel könnten Privateigentümer dazu verpflichtet werden, Schädlinge auf ihrem Grundstück zu bekämpfen oder Schädlingsbekämpfer zu dulden.

Doch insbesondere gegen letztere Bestimmung rebellierten bürgerliche Parteien und der Hauseigentümerverband. 2019 fand die Vernehmlassung statt, 2022 kündigte der Bund seinen Ergebnisbericht an. Seitdem ist nichts mehr davon zu hören.

Daniel Cherix glaubt, dass auch die Kosten ein Problem seien. Von Vertretern des Bundesamts für Umwelt höre er stets: «Wir müssen unsere Projekte reduzieren, wir haben kein Geld.» 2016 bezifferte der Bund die jährlichen Ausgaben zur Umsetzung der Strategie gegen invasive Arten auf 5 Millionen Franken, plus 4,5 Millionen Franken für die Kantone.

Die effektive Bekämpfung der Asiatischen Hornisse würde derzeit rund eine Million Franken kosten, schätzt Cherix. Bisher gewähre der Bund 200 000 Franken für die Ausbildung. Die Mittel seien nur zu einem Viertel genutzt worden, schreibt das Umweltbundesamt auf Anfrage. Die Beantragung sei viel zu bürokratisch, entgegnet Daniel Cherix.

Genf wird wegen der Nähe zu Frankreich besonders stark von der Asiatischen Hornisse heimgesucht. Der Kanton hat 2023 eine Bekämpferin eingestellt, die Biologin Julie Manzinelli. Sie sieht Genf nun recht gut aufgestellt – und macht sich doch Sorgen.

Manzinelli arbeitet mit einem Dutzend freiwilligen Helfern, die sich im neuen Verein Pollinea Action zusammengetan haben. Sie zerstören Nester auf Privatgrundstücken, die Feuerwehr jene auf öffentlichem Grund. Genf übernimmt die Kosten für die Zerstörung, im Gegensatz etwa zur Waadt, wo Grundstückseigentümer 200 bis 300 Franken zahlen müssen.

2023 zerstörten Manzinelli und ihre Kollegen noch 108 Nester. Dieses Jahr sind es bereits mehr als doppelt so viele, und die Saison ist noch nicht zu Ende. Das mag teilweise daran liegen, dass die Bevölkerung nun sensibilisierter für das Thema ist und mehr Nester meldet. Aber wie viele Nester wurden nicht entdeckt? Wie viele Königinnen können überwintern und im Frühling neue Kolonien gründen?

Manzinelli sagt, dass es bereits jetzt mehr und mehr problematische Nester in der Nähe von Menschen gebe, zum Beispiel in Parks. So sei eine Familie mit einem Kleinkind von Asiatischen Hornissen attackiert worden. Zum Glück sei keine gestochene Person allergisch gewesen, sonst wären diese Fälle womöglich nicht glimpflich ausgegangen.

Auch die Biologin wünscht sich finanziellen und rechtlichen Support aus Bern. Die Bekämpfung der Asiatischen Hornisse könne sich nicht auf Jahre hinaus auf Freiwillige stützen, sagt Manzinelli. Die Vereine hätten nur kleine Budgets. Und für das Insektizid Zerox gebe es nun zwar eine Ausnahmezulassung, aber andere, in Frankreich verwendete Produkte seien weiter untersagt.

Umweltbundesamt trifft Hornissen-Bekämpfer

Womöglich gibt es bald etwas Bewegung. Daniel Cherix und andere Veranwortliche treffen Ende November Vertreter des Umweltbundesamtes (Bafu), um über die Bekämpfungsstrategie zu reden. «Wir wollen, dass das Bafu einen Verantwortlichen benennt. Bisher hat niemand ein Minimum an Kompetenzen», behauptet er.

Das Bafu beantwortet auf Anfrage nicht, wie viel Stellenprozent im Amt dem Kampf gegen die Asiatische Hornisse gewidmet sind. Zuständig seien die Kantone, dem Bund obliege die Überwachung und bei Bedarf die Koordination. Es werde geprüft, ob die Zusammenarbeit mit den betroffenen Kantonen intensiviert werden solle. Daniel Cherix findet, dass der Bund endlich aufwachen müsse. «Wir können nicht noch ein halbes Jahrhundert warten. Nächstes Jahr kann die Invasion der Asiatischen Hornisse kolossal werden.»

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