Die Jagd auf den Wolf könnte eröffnet werden: Die kleine Kammer will die Regulierung vereinfachen, und die Berner Konvention lockert den Schutzstatus des Raubtiers. Kommt jetzt ein Paradigmenwechsel?
Bürgerliche Politiker zeigen meist wenig Freude, wenn sie legislativ von einem ausländischen Gremium überholt werden. Am Dienstag sorgte ein Entscheid aus Strassburg aber für allgemeine Heiterkeit. Der Ständerat war gerade dabei, mehrere Verschärfungen im Umgang mit dem Wolf zu diskutieren.
Dazu gehörte auch die Forderung, der Bundesrat möge sich dafür starkmachen, dass der Wolfsschutz gemäss Berner Konvention gelockert werde. Das ist ein völkerrechtlicher Vertrag des Europarats, den auch die Schweiz unterzeichnet hat. Die Konvention regelt die Erhaltung von Wildpflanzen und Tieren. Bislang hatte der Wolf in Strassburg den Status «streng geschützt». Bereits im Jahr 2022 hatte sich die Schweiz für eine Lockerung von «streng geschützt» auf «geschützt» eingesetzt, war aber abgeblitzt.
Am Dienstag wollte nun der Ständerat einen weiteren Anlauf nehmen. Benedikt Würth (Mitte) hatte im Namen der Umweltkommission gerade zu einem Referat angesetzt, als sein Kollege Beat Rieder ihm einen «Wolfszettel» zusteckte. Dieser klärte Würth darüber auf, dass die Vertragsstaaten der Berner Konvention in Strassburg just jene Rückstufung beschlossen hätten, welche die Kommission fordere.
Der Wunsch ist somit erfüllt, die Regelung tritt wohl im März in Kraft. Das Büro der Berner Konvention hat die Schweizer Wolfspolitik im Oktober kritisiert. Vor einem Jahr hatte der Bund den präventiven Abschuss von Wölfen wegen «potenzieller Schäden» befristet eingeführt. Das sei eine Fehlinterpretation der Konvention, argumentierte das Büro.
Auch deshalb dürften sich viele bürgerliche Politiker über die Lockerung gefreut haben. Würth sprach von einem «Paradigmenwechsel». Tatsächlich: Je nach politischer Grosswetterlage könnte die Anpassung auch einer weiteren Liberalisierung des Wolfsschutzes Vorschub leisten: Der Wolf könnte zu einem «jagdbaren» Tier erklärt werden.
Heute ist die Jagd auf Wölfe verboten. «Streng geschützte» Tiere nach Berner Konvention dürfen nur in Ausnahmefällen getötet werden. Dazu gehört ein klarer Dienstweg: Will ein Kanton einen Wolf oder ein Rudel schiessen, muss er einen Antrag beim Bund stellen und darlegen, weshalb die betreffenden Tiere eine Gefahr für Nutzvieh oder Menschen darstellen. Bekommt er grünes Licht, darf er loslegen. Bei diesem Prozedere spricht man von «Regulieren», nicht von «Jagen».
Gelten die Wölfe neu als «geschützt» nach Berner Konvention, könnte das die Praxis vereinfachen. Auch «geschützte» Tiere darf man in der Schweiz zwar nur eingeschränkt regulieren, ein bekanntes Beispiel ist der Steinbock. Allerdings lässt sich auch das ändern. Mittels eines neuen Bundesgesetzes können geschützte Tiere «jagdbar» gemacht werden. Zu ihnen gehören heute unter anderem Hirsche, Rehe oder Gemsen. Auch jagdbare Tiere kann man zwar nicht unkontrolliert schiessen. Die Verfassung «schützt bedrohte Arten vor Ausrottung», Kantone haben die Pflicht, die Liste der jagdbaren Arten einzuschränken, wenn der Schutz «örtlich bedrohter Arten» dies erfordert. Doch sie haben einen grösseren Spielraum.
Gehört der Wolf in die Schweiz?
Der eine oder andere bürgerliche Politiker aus einem wolfsgeschädigten Kanton dürfte bald auf die Idee kommen, eine entsprechende Gesetzesänderung beim Wolf anzustossen. Es wäre nicht das erste Mal: Der Kanton Wallis wollte das Raubtier im Jahr 2014 sogar ohne Schonzeit jagdbar machen und reichte eine Standesinitiative mit dem Namen «Wolf. Fertig lustig!» ein, scheiterte aber im Ständerat.
Reinhard Schnidrig, der damalige Leiter der Sektion Wildtiere, der beim Bundesamt für Umwelt zuständig war für den Wolf, meinte, darin sogar eine «Ausrottungsstrategie» zu erkennen. So zeigten die Walliser Initianten keinen rechten Glauben an eine Kohabitation. Es gebe keine Schweizer Region, die gross genug sei, um dem Wolf einen artgerechten Lebensraum zu bieten, hiess es im Text der Standesinitiative.
Dennoch könnte in Zukunft noch eine zweite Liberalisierung zugunsten der Wolfskritiker spielen, die am Dienstag Thema im Ständerat war. Es ging um eine Motion des früheren Nationalrats und heutigen Ständerats Fabio Regazzi. Er verlangte die Schaffung von «wolfsfreien Zonen». Der Ständerat lehnte die Motion zwar ab, da sich Wölfe kaum an «behördlich festgelegte Zonengrenzen» halten, wie Würth sagte. Dennoch will die kleine Kammer die Idee vom Bundesrat im Rahmen einer Kommissionsmotion prüfen lassen. Würde sie umgesetzt, sei klar, was passiere, sagte der zuständige SVP-Bundesrat Albert Rösti im Ständerat: «Es gäbe wahrscheinlich eine Zone in der Schweiz, wenn wir das umsetzen wollten.» Das kann man auch so interpretieren: Es wäre wohl das Ende des Wolfs im Land.
Eigentlich hat Rösti die Wolfsdebatte am Dienstag verloren. Er stellte sich auch vergeblich gegen die Forderung nach weniger Bürokratie und mehr Unterstützung beim Herdenschutz. Jedes gerissene Nutztier sei eines zu viel, räumte Rösti ein, appellierte jedoch an die Politiker, zuzuwarten, bis die bereits eingeleiteten Massnahmen wirksam würden. Rösti hat bekanntlich die Verordnung zum Wolf bereits verschärft, und in den nächsten Tagen wird der Bundesrat über weitere Anpassungen diskutieren. «Wenn das in ein, zwei Jahren nicht genügend fruchtet, bin ich der Erste, der eine neue Gesetzgebung beantragt», versprach Rösti.
Doch der Bundesrat wirkte alles andere als traurig, als der Ständerat dennoch vorpreschte. «Wichtig ist, dass Sie mir den Rücken stärken – das tun Sie hier (. . .)», sagte er. Bei Bundesrat Rösti weiss man, wo er steht. Das zeigt sich auch in seiner Personalpolitik. Normalerweise halten sich Bundesräte bei unteren Kaderstufen zurück. Doch das Wolfsdossier ist dem Bundesrat offenbar so wichtig, dass er sogar dort eingreift.
So hat er sich offenbar bei der Nachfolge des Leiters der Sektion Wildtiere und Artenförderung eingeschaltet. Nachdem Schnidrig sich hatte frühpensionieren lassen, blieb die Stelle monatelang unbesetzt. Das zuständige Bundesamt für Umwelt (Bafu) hatte zwar einen Nachfolger gefunden. Er ist selbst Jäger und hat eine linke Parteivergangenheit. Bundesrat Rösti verhinderte nach Informationen der NZZ jedoch die Anstellung. Mittlerweile hat das Bafu mit Urs Wegmann einen Kandidaten gefunden, der Rösti offenbar genehm ist, er fängt im März an. Auch ein zweiter Wolfsexperte beim Bund hat gekündigt, Schnidrigs ehemaliger Stellvertreter Martin Baumann. Die Stelle ist noch vakant.
Die linke Seite beobachtet die Entwicklungen kritisch. Der Schaffhauser SP-Ständerat Simon Stocker fragte während der Debatte rhetorisch: «Wer ist eigentlich der Jäger, und wer sind die Gejagten?» Irgendwie habe hier eine Umkehr stattgefunden. 2024 seien im Kanton Wallis 15 Prozent weniger Risse verzeichnet worden als im Vorjahr, und im Kanton Graubünden habe es sogar 35 Prozent weniger Risse gegeben. Ausserdem beträfen 80 Prozent der Risse Herden, die nicht geschützt worden seien. «Das Ziel der ganzen Übung muss also sein, bessere Herdenschutzmassnahmen zu ergreifen und damit die Anzahl der Risse noch weiter zu verringern», folgerte Stocker. Letzteres war unumstritten. Der Ständerat hat dem Bundesrat den Auftrag gegeben, die Unterstützung von Herdenschutzmassnahmen auszubauen.