Über die Liebe der Berner zum «Aareböötle».

In der S-Bahn von Bern nach Thun riecht es an einem schönen Sommertag nach Sonnencrème, Bier und Gummi. In Thun angekommen, spuckt der Zug Scharen von Menschen in Badehosen aus, bepackt mit Gummiboten, Paddeln, Einweggrills, Kühlboxen, Essen, Musikboxen, Bierkisten.

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Sie pilgern an die Aare, pumpen ihr Böötli auf, steigen ins Wasser und paddeln los. Aareböotle nennen sie das. Und die Berner lieben es.

Die Strecke von Thun nach Bern ist die beliebteste. 27 Kilometer ist sie lang, die Fahrt dauert je nach Wasserführung zweieinhalb bis drei Stunden. Die Aare ist in diesem Abschnitt ruhig, das Ufer grün und unbebaut, man kann sich einfach treiben lassen. Böötler hören Musik, singen, johlen, kentern. Das Aareböötle wird zum Day-Rave. An sonnigen Tagen und am Wochenende treiben auf dem Fluss auch einmal 2000 Gummiboote.

Die meisten wassern im Marzilibad aus, mitten in der Stadt. Es ist die grösste und beliebteste Badi der Stadt, ein Pilgerort zum «schwümme», «bädle», «sünnele». Doch das Bad ist sanierungsbedürftig, die letzten grossen Arbeiten wurden vor mehr als fünfzig Jahren gemacht. Oder wie die SP-Stadtpräsidentin Marieke Kruit sagt: «Die letzte Sanierung wurde zwischen 1968 und 1970, also zur Zeit der ersten Mondlandung, durchgeführt.»

Die Stadt will deshalb das Marzili in den kommenden Jahren sanieren. Am Sonntag stimmen die Bernerinnen und Berner über den Baukredit ab: 67 Millionen Franken. Dabei geht es grundsätzlich um das Bad selbst, die Garderoben, die Badewassertechnik, die Becken, das Restaurantgebäude. Doch die Stadt hat noch Grösseres vor: einen eigenen Hafen für die Gummiboote, den «Aarehafen». Ein moderner Kanal oberhalb des Bads, in den sich die Böötler gemütlich treiben lassen können.

Einziger Gegner ist die SVP

Baukredite kommen in der linken Stadt Bern bei Abstimmungen meistens durch, Kredite für Badi-Sanierungen sowieso. Bern hat zahlreiche Hallen- und Freibäder, und der Eintritt ist frei. In den vergangenen Jahren wurden einige saniert, weitere sollen in den kommenden Jahren dazukommen. Zählt man kürzlich abgeschlossene Projekte und geplante zusammen, belaufen sich die Baukosten auf 350 Millionen Franken.

Auch die Sanierung des maroden Marzili ist in Bern unumstritten, wohl auch schon deshalb, weil das Bad den Bernern wichtig ist. Seine Entstehung geht in das 19. Jahrhundert zurück, es prägt die Berner Badekultur und ist ein lokales Kulturgut. Im Rekordsommer 2022 zählte das Marzili 900 000 Besucher. Laut der Stadtpräsidentin Kruit waren es 2024 allein am letzten Tag der Sommerferien 20 000. Es ist damit das meistbesuchte Flussbad der Schweiz.

Aber braucht es deshalb einen Hafen nur für Gummiboote, für mehrere Millionen Franken?

Der Aarehafen soll laut der Stadt helfen, den grossen Ansturm der Gummiboote zu bewältigen. Laut der Stadtpräsidentin Kruit besteht bei der heutigen Auswasserstelle ein Sicherheitsrisiko. Sie liegt kurz vor einer Brücke. Im Wasser stauen sich die Boote, sie können nicht auswassern, weil zu viele an der Anlegestelle stehen und die Luft aus ihren Booten pressen. Auf dem Platz liegen Müll und defekte Boote. Es kommt zum Verkehrschaos, weil der Platz fehlt.

Anders sieht dies in der Berner Politik nur die SVP. Der Stadtrat Janosch Weyermann sagte, mit der neuen Ausstiegsstelle würde die Stadt noch mehr Böötler anziehen. Zudem würden die Boote beim Auswassern den Schwimmern den Weg abschneiden. Beim Hafen handle es sich um eine «Luxuslösung», die sich die stark verschuldete Stadt nicht leisten könne.

Im Stadtrat kam die Abstimmungsbotschaft mit 66 Ja- zu 5 Nein-Stimmen durch. Vielleicht wagte es auch niemand, sich in der Bevölkerung unbeliebt zu machen. Schliesslich ist das Aareböötle ein Berner Volkssport. Auch der SVP-Stadtrat Weyermann will betont haben, dass er natürlich ebenfalls gerne als Aareböötler und Schwimmer in der Aare und im Marzili unterwegs sei. Nicht dass man ihn da noch falsch versteht.

Böötle für den Tourismus

Zum Aareböötle haben in Bern alle eine Meinung, und sie ist vorwiegend positiv. Bern Tourismus schreibt auf seiner Website: «Im Sommer mutieren Bernerinnen und Berner zu Matrosinnen und Matrosen.» Und: «‹Sich treiben lassen› ist in Bern, der Hauptstadt der Gemütlichkeit, mehr als eine Metapher. Das Aareböötle ist des Berners liebstes Hobby.»

Jeden Sommer diskutiert man aufs Neue: Gilt jetzt eigentlich diese Schwimmwesten-Pflicht? Wo kann man eine kaufen? Wie hoch ist die Busse? Beim ersten Aufpumpen des Bootes kommt die Angst auf: Habe ich eigentlich das kleine Leck vom letzten Jahr noch geflickt?

Dass die Berner das Böötle wirklich, wirklich lieben, haben sie spätestens in den Jahren 2011 und 2012 bewiesen. Damals stellten sie den Weltrekord auf für die meisten Gummiboote, die gleichzeitig einen Fluss hinunterpaddeln. Mit mehr als 1200 Teilnehmern, verteilt auf 598 Boote, gelang der Eintrag ins «Guinness-Buch der Rekorde».

Doch das Böötle wird auch zu einer Touristenattraktion. Reiseblogger, Youtuber und internationale Medien berichten, was die Berner in ihrem sauberen Fluss Schönes treiben. Und so pilgern an einem schönen Sommertag Menschen aus der ganzen Schweiz oder gar aus dem Ausland nach Bern. Sie mieten Boote oder bestellen sich billige Modelle im Internet, die sie nach einer Fahrt in den extra dafür bereitgestellten Container werfen.

Im April berichtete die «Berner Zeitung», die Gemeinden nahe Thun, wo die meisten mit ihren Booten einwassern, würden von nun an Drehkreuze aufstellen und eine Gebühr fürs Böötle verlangen. Als Vorbild diene die Touristenattraktion Iseltwald, die in einer koreanischen Netflix-Serie vorkam und danach von Touristen überrannt wurde. Es handelte sich um einen Aprilscherz. Noch.

Die Volksabstimmung zum Marzili ist wohl reine Formsache und somit auch der Bau des Aarehafens. Geplanter Baustart ist Herbst, der Hafen soll im Winter 2028/29 entstehen. Die Touristen werden sich freuen.

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