Die Schlacht von Hastings wurde auf einem 70 Meter langen Teppich wie ein Comic festgehalten. Das fragile Kunstwerk wird 2026 in London ausgestellt.

Jetzt schon ist klar, dass der Besuch des berühmten Teppichs von Bayeux in London ein Blockbuster werden wird. Der fast 70 Meter lange, rund tausend Jahre alte Teppich, auf dem blutige Historie erzählt wird, soll im kommenden Jahr als Leihgabe ins British Museum reisen. Der Sensationswert dieser Nachricht hat verschiedene Gründe.

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Die Tapisserie ist eines der fragilsten Kunstwerke der Welt und eines der wichtigsten Zeugnisse des Mittelalters. Sie gilt als Meisterwerk. Seit Jahrhunderten befindet sie sich in Bayeux in der Normandie. Schon zweimal hatten die Engländer wegen der Tapisserie als Leihgabe angefragt, aber vergebens. Das Werk galt als untransportierbar. Ein gar nicht so kleines Wunder also, dass es nun doch auf den Weg gebracht werden soll.

Schuld ist die Politik. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte den Transfer schon 2018 angekündigt und sein Versprechen nun anlässlich seines Staatsbesuchs erneuert – als Symbol einer zunehmenden Annäherung zwischen England und Frankreich. Denn in dem Teppich, der zum Unesco-Welterbe gehört, sind englische und französische Geschichte aufs Engste verwoben.

Vom «Bastard» zum Eroberer

In 58 gestickten Szenen wird darauf von der Schlacht von Hastings erzählt, deren Ausgang England 88 Jahre lang unter normannische Herrschaft stellte. Ihre Helden waren Harold of Wessex, der am Ende getötet wurde, und William of Normandy, der sich zum König von England krönen liess und nun nicht mehr «Wilhelm der Bastard», sondern «der Eroberer» genannt wurde.

Die Schlacht markierte das Ende der angelsächsischen Herrschaft in England und leitete die normannische Eroberung ein, in deren Folge sich die englische Gesellschaft, Sprache und Kultur grundlegend veränderte. Eine neue herrschende Klasse etablierte sich, ein zentralistisch geprägter Regierungsstil nach französischem Vorbild, ein neues Rechtssystem und eine Vermischung von französischer und englischer Sprache. All dies formte das England, das wir heute kennen. Immer noch ist die Schlacht von Hastings (fast) jedem Engländer ein Begriff. Das Datum des Nationaltraumas hat sich wie eine magische Zahl ins nationale Bewusstsein eingeprägt.

Kopie ohne männliche Genitalien

Hergestellt wurde der Teppich in Südengland, vermutlich in Canterbury. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um ein langes Leinentuch. Die Tatsache, dass er keine kostbaren Materialien enthielt, mag ein Grund für sein langes Überdauern sein. Die Historiker sind sich uneins, wer ihn in Auftrag gegeben hat.

Der wahrscheinlichste Kandidat ist Wilhelms Halbbruder Odo, Bischof von Bayeux, der an der Schlacht teilgenommen hatte und dafür sorgte, selbst einen prominenten Platz in dem gestickten Epos einzunehmen. In der von Odo gegründeten gotischen Kathedrale von Bayeux war das Werk regelmässig zu sehen. Heute pilgern Besucher in ein ihm eigens gewidmetes Museum vor Ort.

Die Engländer mussten sich mit einer Kopie des Werks begnügen, die seit Ende des 19. Jahrhunderts in Reading in der Nähe von London ausgestellt wird. Sie ist fast originalgetreu, bis auf ein paar Auslassungen der Viktorianer. Die Näherinnen der 1880er Jahre liessen die männlichen Genitalien verschiedener Figuren weg. Damit machten sie aus ihnen so etwas wie Barbies Gefährten Ken avant la lettre.

Der popkulturelle Vergleich liegt gar nicht so fern: Die stark umrissenen Figuren der Bilderzählung und die lateinischen Texteinschübe führten schon oft zum Vergleich mit einem Comic, der auch die Schrecken des Kriegs nicht ausspart. Auf dem Teppich sieht man, wie Wilhelm dem britischen König Harold einen Pfeil ins Auge schiesst. In Wahrheit soll Harold in Stücke gehackt worden sein.

Stoff für Albträume und Historienfilme also. Eine prominent besetzte BBC-Serie wird die Briten seelisch auf die Ankunft des Leinentuchs vorbereiten. Das Ausstrahlungsdatum ist noch nicht bekannt, aber fraglos wird sie der Schau in Englands berühmtestem Museum weiteren Auftrieb geben.

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