Samstag, November 23

Die Märkte kennen kein Halten. Aber die Pläne von US-Präsident Donald Trump für Steuersenkungen und höhere Zölle könnten zusammen mit den verfrühten Zinssenkungen der US-Notenbank für eine Rückkehr der besiegt geglaubten Inflation sorgen. The Market zeigt, wie sich Anleger vor einem solchen Szenario schützen können.

Anleger strotzen vor Zuversicht. Den scharfen und schnellen Zinsanstieg ab 2022 haben Börsen und Wirtschaft bis auf einzelne Turbulenzen bisher erstaunlich gut weggesteckt. Die lange befürchtete Rezession scheint abgewendet zu sein. Gleichzeitig hat sich die Inflation zurückgebildet und den Notenbanken Zinssenkungen ermöglicht. Trotz zunehmender geopolitischer Spannungen hat diese Mischung den von MSCI berechneten Weltaktienindex auf neue Höchst geführt.

Geht es nach den Teilnehmern der kürzlich in Zürich durchgeführten Value Intelligence Conference, ist allerdings unwahrscheinlich, dass die beste aller Welten Bestand haben wird. «Man könnte zwar tatsächlich meinen, die Zinsen hätten ihre Wirkung verloren, wenn man sieht, wie eng die Kreditrisikoprämien trotz sich verschlechternder Kreditqualität sind», sagt die US-Investorenlegende Jim Grant. «Trotzdem denke ich, dass die Zinsen das letzte Wort haben werden.»

Sorgen bereitet ihm die exzessive Verschuldung, die von den Notenbanken alimentiert wurde. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihm Stilblüten wie Payment in Kind Bonds, bei denen die Coupons über die Aufstockung derselben Anleihe bezahlt werden. Irgendwann werde sich die Verschlechterung der Kreditqualität bemerkbar machen, «und ich hoffe, Sie fragen mich nicht nach den Konsequenzen». Sie dürften gravierend sein.

Zinsanstieg ab 2022 dürfte verzögert wirken

Ins selbe Horn stösst Wirtschaftshistoriker Edward Chancellor. «Geldpolitik wirkt mit unterschiedlich langer Verzögerung», gibt er zu bedenken. Der grosse Bond-Crash von 2022, der deutlich anziehende Renditen zur Folge hatte, sei erst zwei Jahre her. Weil es damals fast umsonst war, kurzfristige Verpflichtungen mit variabler Verzinsung in länger laufende Kredite mit fixem Satz zu tauschen, «werden die Konsequenzen der höheren Zinsen erst bei der Refinanzierung dieser Verpflichtungen spürbar sein». Das dürfte zwischen 2025 und 2030 der Fall sein.

Chancellor fühlt sich derzeit an die Siebzigerjahre erinnert. «Damals ist die Inflation nach einem ersten Schub bis 1973 auf 2,7% gesunken, worauf die US-Notenbank die Zinsen vorschnell gesenkt hat, was die nächste Teuerungswelle auslöste.» Ganz ähnlich sei die Lage heute. Die Inflation möge kurzfristig gebannt sein, doch strukturelle Faktoren wie Deglobalisierung, Neugestaltung der Lieferketten, Aufrüstung, die Energiewende oder eine alternde Gesellschaft würden für einen andauernden Teuerungsdruck sorgen. «Dazu kommt die hohe Staatsverschuldung, die für Länder mit eigener Druckerpresse immer zu hoher Inflation führt», zitiert Chancellor aus dem Buch «The Fiscal Theory of the Price Level» des US-Ökonomen John Cochrane.

Auch Stefan Rehder von der Münchner Investmentboutique Value Intelligence Advisors, der die Veranstaltung zusammen mit Professor Thorsten Hens von der Universität Zürich organisiert hat, traut weder der Ruhe an der Inflations- noch derjenigen an der Zinsfront. «Mit Stanley Druckenmiller setzt einer der erfolgreichsten Investoren auf steigende Zinsen», sagt er. Dies, weil das Fed die Geldpolitik voreilig gelockert habe, obwohl das Budgetdefizit noch riesig sei und Vollbeschäftigung herrsche.

Red Sweep erhöht die Inflationsgefahr

«Auch JPMorgan-Chef Jamie Dimon hält Renditen von 8% für zehnjährige Treasuries für möglich», fährt Rehder fort. Im Falle eines Red Sweep, bei dem die Republikanische Partei sowohl den Präsidenten stellt als auch beide Kammern des Kongresses kontrolliert, dürfte das Defizit weiter zunehmen. Dazu kommen die von Donald Trump angedrohten Zölle, die die Inflation weiter antreiben würden.

Allerdings teilen nicht sämtliche Referenten die Furcht vor einem erneuten Teuerungsschub. «Die Inflation der Siebzigerjahre unterscheidet sich von der heutigen», betont Columbia-Professor Tano Santos, einer der Nachfolger des Value-Übervaters Benjamin Graham, der ebenfalls an der Columbia gelehrt und dort Schüler wie Warren Buffett unterrichtet hat. «Damals stand die US-Notenbank unter politischem Druck und hat mit der Phillips-Kurve, die einen inversen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosenrate herstellt, auf das falsche Pferd gesetzt.» Das sei heute anders.

Fokus auf Geldmengenwachstum greift zu kurz

Bei der Abschätzung, wie geldpolitische Massnahmen wirkten, müssten Anleger zudem die Gesundheit des Bankensystems im Auge behalten, mahnt Santos. Im Zuge der globalen Finanzkrise waren die Banken angeschlagen, die massive Ausweitung der Zentralbankbilanzen habe deshalb nicht inflationär gewirkt, zumindest was die Inflation der Konsumentenpreise anging.

«Während Covid waren die Banken hingegen gesund, deshalb hat die weitere Ausweitung der Geldmenge die Teuerung in die Höhe getrieben.» Auch Thorsten Hens plädiert dafür, sich nicht allein auf das Geldmengenwachstum zu stützen, dafür seien die Transmissionsmechanismen zwischen Geldmenge und Wirtschaft zu vielfältig. «Die Notenbanken machten während der Finanz- und der Coronakrise insgesamt einen guten Job», sagt er. Zwar hätten sie bei Covid übersteuert, «dafür haben sie aber die Wirtschaft vor dem Einbruch gerettet».

Doch auch wenn die Zinsen hoch bleiben oder weiter steigen sollten, sieht Santos nicht zwingend ein Problem für die Bewertung des US-Aktienmarktes. «US-Unternehmen sind so profitabel wie nie, und die Profitabilität ist dank hoher Markteintrittsbarrieren der grossen Unternehmen geschützt.» Gesellschaften wie Alphabet oder Amazon seien für ihre Investitionen deshalb nicht auf externe Geldgeber angewiesen, was sie unabhängig von den schwankenden Zinsen mache.

Derzeitige Lage erinnert an die Siebzigerjahre

Chancellor sieht das anders. «Die Erholung seit dem Bond-Crash ähnelt der Bärenmarktrally von 1970 bis 1973. Wie heute ist die Inflation damals gesunken, worauf das Fed die Zinsen gesenkt hat.» Anleger, die unter dem Einfluss des ersten Einbruchs Ende der Sechzigerjahre standen, kehrten an die Börsen zurück, fokussierten dabei aber auf qualitativ hochwertige Wachstumsunternehmen, um erneute Verluste zu vermeiden.

Die heute als Nifty Fifty bekannten Gesellschaften, zu denen Namen wie Xerox, Kodak, Polaroid oder McDonald’s zählten, galten als unfehlbar, die Bewertung spielte deshalb keine Rolle. Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis kletterte auf 50, die grössten vierzig Unternehmen machten 1973 mehr als 60% des S&P 500 aus. Heute beträgt das KGV der grössten Werte ebenfalls um die 50, und sie kommen auf ein Gewicht von 56%. Unter den Top zehn ist die Konzentration heute sogar höher als in den Siebzigerjahren. «Das ist ein Signal, dass die Hausse weit fortgeschritten ist», warnt Chancellor.

Das Genick gebrochen haben den Nifty Fifty damals die Zinserhöhungen des Fed als Antwort auf den ersten Ölpreisschock, der die Inflation erneut in die Höhe getrieben hatte. Im Mittel korrigierten die Nifty-Fifty-Valoren 60%. Einzelne Namen wie McDonald’s oder Xerox verloren mehr als 70%, obwohl sie operativ nicht enttäuschten, und es dauerte im Mittel zehn Jahre, bis die Verluste ausgebügelt waren – und das, obwohl die Gewinne dieser Gesellschaften gewachsen sind.

Ausbleiben von Investitionen spricht für Minenaktien

«Nach dem Platzen der Nifty-Fifty-Blase schnitten Value- und günstig bewertete Qualitätsaktien besser ab als der Markt», sagt Chancellor. Auch Rohstoffe wie Kohle und Gold oder Öl- und Minentitel boten Schutz vor dem stagflationären Umfeld. Für Minen spreche heute zudem der Kapitalzyklus, den Chancellor 2015 in seinem Buch «Capital Returns» beschrieben hat. Kupferminen hätten ihre Investitionen seit dem letzten Boom halbiert, und es dauere fünfzehn Jahre, bis eine neue Mine in Betrieb gehe.

Gerade umgekehrt präsentiere sich die Lage im Technologiebereich, wo der Kapitalzyklus ein Warnsignal sende. 2027 sollen die Investitionen der Giganten Microsoft, Amazon, Alphabet und Meta in Rechenzentren, die es für den Siegeszug der künstlichen Intelligenz braucht, 1 Bio. $ übersteigen. «Um diese Investitionen zu amortisieren, ist ein jährlicher Umsatz von 600 Mrd. $ notwendig.» Bisher sei es aber noch keinem Unternehmen gelungen, Anwendungen der künstlichen Intelligenz ausreichend zu monetarisieren.

Bleibt die Frage, wann die Inflation definitiv besiegt ist. Chancellor nennt zwei Voraussetzungen: wenn Bücher zum Thema erscheinen (so wie Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre) und die Realzinsen – also die Zinsen nach Abzug der Inflation – länger positiv sind. Beides ist derzeit nicht der Fall.

Trends dürfen nicht in die Zukunft extrapoliert werden

Wie Chancellor glaubt Stefan Rehder an eine Rückkehr der stagflationären Siebzigerjahre. Für ihn ist klar, dass Anleger die Trends der vergangenen Jahrzehnte nicht in die Zukunft extrapolieren sollten. «Gemäss Michael Smolyansky von der US-Notenbank haben sinkende Zinsen und tiefere Steuersätze mehr als 40% des Gewinnwachstums von 1989 bis 2019 ausgemacht.» Dazu komme die von den tieferen Zinsen getriebene Bewertungsexpansion, die dafür gesorgt habe, dass die Kurse schneller gestiegen seien als die Unternehmensgewinne. «Nichts davon dürfte sich wiederholen», warnt Rehder.

Aus diesen Gründen nimmt er Abstand von Mega Caps wie Alphabet, Amazon oder Microsoft, die er als Anhänger des auf Qualität ausgerichteten Buffett- und Columbia-Ansatzes selbst jahrelang gehalten hat. Die immer noch sehr stolzen Bewertungen werden den höheren Zinsen nicht standhalten, ist er überzeugt.

Er sucht deshalb Qualität in der zweiten und der dritten Reihe und wird derzeit vor allem in Japan und Südkorea fündig. Neben soliden Bilanzen und einem niedrigeren Kurs-Gewinn-Verhältnis, das wegen der geringeren Duration besser vor steigenden Zinsen schütze, böten diese Märkte dank der vermehrten Ausrichtung auf Shareholder Value Potenzial für eine Neubewertung. Die beiden Märkte machen zusammen mit Singapur rund 30% der von Rehder verwalteten Fonds aus.

Gold schneidet in mehreren Szenarien gut ab

Allerdings legt sich Rehder nicht auf ein Szenario fest, sondern denkt in multiplen Szenarien. Gemäss dem Vier-Jahreszeiten-Modell der Hedge-Fund-Legende Ray Dalio, das den Konjunktur- und Inflationszyklus in vier Abschnitte unterteilt, sticht dabei eine Anlageklasse besonders hervor: Gold schneidet sowohl bei hoher Inflation als auch bei einem deflationären Schock, bei dem Wachstum und Inflation rückläufig sind, gut ab. Nur bei der Great Moderation, also bei ansprechendem Wachstum und rückläufiger Inflation, funktioniere Gold nicht. Dieses Szenario sei aber wenig wahrscheinlich.

Trotz des massiven Preisanstiegs seit Anfang Jahr sei das Potenzial des Edelmetalls noch nicht ausgeschöpft, ist Caesar Bryan vom New Yorker Value-Investor Gabelli Asset Management überzeugt. Gekauft hätten bisher vor allem die Notenbanken in den Schwellenländern, während US-Privatinvestoren immer noch an der Seitenlinie stünden. Das zeige der Zufluss in Goldminen- und Gold-ETF, der eben erst angezogen habe, aber noch weit vom Höchst aus dem Covid-Jahr 2020 entfernt sei. Für weitere Nachfrage dürfte gesorgt sein.

ESG-Ratings sind wertlos

Neben dem Investitionsumfeld wurde an der Konferenz auch das Thema ESG – das Kürzel steht für Umwelt, Soziales und Governance – diskutiert. Gleich mehrere Referenten wiesen darauf hin, dass die in der Branche beliebten ESG-Ratings der wichtigsten Anbieter zu kurz greifen. «Fondsmanager haben ihr Denken an die Agenturen ausgelagert», sagt Alissa Corcoran vom US-Vermögensverwalter Kopernik Global Investors. «Die Ratings zum selben Unternehmen fallen je nach Anbieter völlig unterschiedlich aus und sind deshalb wertlos.»

Georg von Wyss pflichtet bei. «Nicht nur variieren die Ratings stark, sie sind zum Teil auch korrupt, wie ich aus eigener Erfahrung weiss», sagt der Mitgründer und Partner des Schweizer Value-Fondsmanagers BWM. Dennoch spielt ESG für ihn eine wichtige Rolle, denn auch BWM möchte nicht in Unternehmen investieren, die nicht nachhaltig wirtschaften. Bei Governance-Problemen greift BWM zudem aktiv ein und sucht den Dialog mit der Geschäftsleitung. Statt auf Ratings setzt von Wyss aber auf eigene Analysen.

Ferner eröffne ESG Anlagemöglichkeiten. So investiert von Wyss in Unternehmen, die von der Dekarbonisierung profitieren. Dazu zählen Wasserkraftzulieferer wie die österreichische Andritz oder die belgisch-deutsche Agfa. Andererseits setzt er auf Titel, die wegen vermeintlicher ESG-Probleme vom Markt falsch eingeschätzt werden.

Ein Beispiel sei das französische Raffinerieunternehmen Rubis, das Propangas herstelle und deshalb von Anlegern gemieden werde, obwohl die Substitution von Kohle durch Propan den CO2-Ausstoss reduziere. Auch der italienische Zementkonzern Buzzi findet sich in den Portfolios von BWM. Er sei zwar in einer «schmutzigen» Branche tätig, sei aber Best in Class. Zudem benötige die Elektrifizierung grosse Mengen an Zement, so beim Bau von Staudämmen oder als Fundament für Windturbinen.

Schmutzige Branchen sollten von ESG-Investoren nicht gemieden werden

Dass «braune» Branchen wie Zement oder Rohstoffe von ESG-Investoren nicht zwingend gemieden werden sollten, betont auch Thorsten Hens. Zwar könne das Ausschliessen von problematischen Unternehmen wie Wirecard oder Transocean einen grösseren Unfall vermeiden, «doch letztlich sind das unsystematische Risiken, die gemäss Finanztheorie nicht kompensiert werden». Investoren hätten einen grösseren Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft und dazu noch einen höheren Ertrag, wenn sie sich bei problematischen Gesellschaften aktiv einbringen würden. Das liege auch daran, dass «braune» Unternehmen mehr Einsparpotenzial hätten.

Wie von Wyss versucht Corcoran von Kopernik, von den sich durch ESG eröffnenden Gelegenheiten zu profitieren. Bis 2050 solle die Welt gemäss der Internationalen Energieagentur fossilfrei sein, sagt sie. Bereits im laufenden Jahr würden 2 Bio. $ in saubere Energien investiert. Die Energiewende schaffe eine riesige Nachfrage nach Metallen wie Lithium, Kobalt, Nickel oder Kupfer, der Bedarf werde je nach Metall um ein Mehrfaches zunehmen. «Doch wo findet sich ausreichend Angebot für eine Nachfragesteigerung dieses Ausmasses?», fragt sie rhetorisch.

Weil Minen jahrelang kaum in die Erkundung und die Erschliessung neuer Vorkommen investiert haben, dürften die Preise deutlich anziehen. Wie weit, versucht Kopernik mit dem langfristigen Incentive-Preis abzuschätzen, bei dem es sich für Minen lohnt, die Förderung hochzufahren. Deutlich unter diesem Preis handelten derzeit die Edelmetalle Platin und Palladium, die für die Energiewende unabdingbar seien, aber auch Gas, das umweltfreundlicher sei als Kohle und deshalb gerade in Schwellenländern helfe, den CO2-Ausstoss zu reduzieren.

Als Tipp mit auf den Weg gibt Corcoran denn auch die südafrikanische Anglo American Platinum (Amplats). Das politische Risiko, das viele Minen betrifft, weil sich die Vorräte in instabilen Schwellenländern befinden, will sie durch einen Abschlag von 50% auf den fairen Wert kompensiert wissen. Im Falle von Südafrika betrage der benötigte Abschlag gar 70%, doch auch dieses Kriterium schaffe Amplats.

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