Freitag, Januar 3
Nachgewürzt

Wolfgang Fassbender


zu allen Tageszeiten

Die in Paris zur Blüte gelangte und zeitweise als altmodisch angesehene Form der Gastronomie ist wieder schwer in Mode. Warum dem so ist und welche die besten Brasserien in der Schweiz und Frankreich sind, lesen Sie hier.

Ganz scharf ist die Abgrenzung zwischen einer Brasserie und einem Bistro nicht. Die Zeiten, als erstere Form der Gastronomie an eine Brauerei angeschlossen war und vor allem das selbstgebraute Bier ausschenkte, sind in den meisten Fällen lange vorbei. In den Brasserien von heute gibt es neben Bier kleiner und grösserer Produzenten auch jede Menge Wein.

Sie haben sich halt entwickelt, die Brasserien. Einen ersten Erfolg feierten sie im Norden und Osten Frankreichs sowie in Belgien im ersten und zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts. Als dann, nach dem verlorenen Krieg von 1870/71, allerlei elsässische Gastronomen keine Lust auf deutsche Annexion hatten und Paris als Wohnort wählten, kam die Sache erst recht in Schwung.

Die Neuankömmlinge brachten das heimische Bier mit und eröffneten Lokale. Und sie begründeten, auch weil ihnen der Geschmack der Epoche in die Karten spielte, eine neue Kategorie von Gastronomie.

Jugendstil trifft Meeresfrüchte

Begonnen hatte der Boom der Brasserien allerdings schon ein paar Jahre zuvor. Frédéric Bofinger galt mit seinem 1864 eröffneten Lokal als Vorreiter. Später kam auch ein gewisser Herr Flöderer dazu, dessen Name die Pariser schnell zu Flo abkürzten (das Pariser Haus hat bis Anfang April wegen Umbauarbeiten geschlossen). Auch Léonard Lipp stammte aus dem Elsass und machte Geschichte.

Die neue Architektur- und Dekorationsmode jener Zeit war für alle Beteiligten ein Glücksfall. Art nouveau bzw. Jugendstil war wie geschaffen für die meist grossen, hohen Räume, in denen sich die Brasserien etablierten, gern an belebten Boulevards oder in Nähe der neuen Bahnhöfe. Viele Betriebe existieren immer noch, neue kamen hinzu. Unter dem Namen Lipp wurde sogar eine Brasserie in Zürich eröffnet, die viel vom Charakter des Pariser Originals hat.

Aus der Zeit gefallen? Ganz im Gegenteil!

In den letzten 30 Jahren indes wurden die Brasserien gern als Dinosaurier betrachtet. Die Zukunft gehöre, machten einen die Gastrokritiker lange glauben, den familiengeführten Bistros oder den Gourmetrestaurants, kaum aber den riesigen, unpersönlichen, kaum je auf höchstem Niveau kochenden Etablissements. Meeresfrüchteplatten, Sauerkraut mit dampfenden Würsten, Innereiengerichte – all diese Brasserieklassiker schienen lange aus der Mode.

Doch erstens schätzen immer mehr Gäste wieder deftige Wohlfühlgerichte. Zweitens sind die häufig unkomplizierten Essenszeiten der Brasserien eine Alternative zu sonstigen Gastrokonzepten.

Viele Betriebe haben durchgehend auf und erlauben es dem Gast, etwa um 16 Uhr 30 eine Zwiebelsuppe zu bestellen, Ei in Gelee zu löffeln, Bismarckhering oder Andouillette zu erbitten. Einen Platz bekommt man dann oft auch ohne Reservierung – und teuer ist es bei einem Pastis, bei Tête de Veau und Baba au Rum auch nicht.

Man muss übrigens nicht nach Paris fahren, um gute Brasserien zu entdecken, aber man sollte es. Sowohl der «Terminus Nord» als auch «Le Train Bleu» in der Gare de Lyon besitzen schier unendliches Flair.

Das legendäre «Grand Véfour», zeitweise ein Drei-Sterne-Restaurant, ist mittlerweile zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt und serviert einfachere Kost in spektakulärem Rahmen. Wie fast überall in der Brasserieszene gibt es auch hier livrierte Kellner, Stimmengewirr, einen Hauch von grosser weiter Welt.

Eintauchen in dieses besondere gastronomische Universum lässt sich auch in der Schweiz. Neben «Lipp» hat sich beispielsweise die «Brasserie» im Basler Hotel Les Trois Rois einen guten Namen gemacht – auch wenn die Räumlichkeiten eher überschaubar gross sind –, und in die «Brasserie Grand-Chêne» im Lausanner Hotel Palace kehre ich der Schnecken und des Pot au Feu wegen gern ein. Nicht zu vergessen das, was Philippe Chevrier in Genf aufgebaut hat.

Neue Konzepte, die sich rechnen

Zürich hält mit. Die «Brasserie Süd» und die Brasserie im neuen «Mandarin Oriental Savoy können sich sehenlassen. Beide beweisen auch, dass sich kulinarische und önologische Ambitionen sehr wohl mit dem Brasseriekonzept verbinden lassen.

Was in dieser Kombination möglich ist, wird gerade erst ausgetestet. Dass sich die Sache, weil die Gästefrequenz hoch ist, auch finanziell rechnet, scheint logisch.

Dass den Brasserien die Zukunft gehört, lässt sich auch aus anderen Gründen sagen. Kulinarische Verfeinerung um jeden Preis ist ein bisschen aus der Mode gekommen, lange Menus will kaum noch jemand essen. Das «La Cigale» in Nantes öffnet von 7 Uhr 30 bis Mitternacht.

In der bereits 1836 eröffneten «Brasserie Georges» in Lyon wird noch das eigene Bier gefeiert. Einen Besuch wert ist auch, ein bisschen näher zur Schweizer Grenze gelegen, die «Brasserie Floderer» in Strasbourg! Ich sage nur: Heringsterrine und Zander auf Sauerkraut!

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