Samstag, Oktober 5

Junge, ambitionierte Winzer und Winzerinnen in Deutschland und der Schweiz übernehmen ihre Familienweingüter. Wir haben von ihnen 30 Pinots noirs verkostet. Ein eleganter Wein aus Franken gewann knapp.

Es bewegt sich gerade viel: In der Schweiz und in Deutschland übernehmen talentierte Jungwinzerinnen und -winzer ihr Familienweingut oder stehen kurz davor, den Betrieb in die Zukunft überzuführen. Gemeinsam ist den beiden Ländern, dass die Nachkommen das Erbe ihrer Eltern behutsam weiterpflegen. Die Jungen scheuen sich nicht, neue Wege zu gehen – und die bereits hohe Qualität weiter zu steigern

Bleiben wir zuerst in der Heimat: Pioniere wie Christian Zündel aus dem Tessin, Jean-Denis Perrochet von der Domaine de la Maison Carrée aus Neuenburg oder Raymond Paccot von der Domaine La Colombe aus der Waadt, um lediglich einige Beispiele zu nennen, machen langsam ihren Töchtern und Söhnen Platz. Dass im Weinbau ein Generationenwechsel stattfindet, zeigt sich auch im Mémoire des Vins Suisses, der bedeutendsten Winzervereinigung des Landes. An der letzten Generalversammlung im Frühling trat der gesamte Vorstand zurück und machte einer jungen Crew Platz. An der Spitze stehen jetzt als Co-Präsident der 31-jährige Gianmarco Ofner vom Zürcher Weingut Pircher und die 37-jährige Catherine Cruchon vom Waadtländer Familienbetrieb Henri Cruchon.

Auch der deutsche Weinbau kennt keine Nachwuchsprobleme. Die Branche scheint innovativ, mutig und dynamisch zu sein wie nie zuvor. Die Jungen sind nicht nur bereit, das elterliche Gut weiterzuführen, sondern nehmen auch das Risiko auf sich, einen eigenen Betrieb aufzubauen. Um spannende Ideen zu realisieren und vielleicht auch unkonventionelle Impulse zu geben. Namen wie etwa Sophie Christmann aus der Pfalz oder Felix Keller aus Rheinhessen, Sohn des Kultwinzers Klaus-Peter Keller, sorgen bereits für Furore.

In beiden Ländern spielt in Sachen Rotwein der Pinot noir, in Deutschland oft Spätburgunder genannt, die Hauptrolle. Aus der hochwertigen, schwierig zu bearbeitenden Rebsorte entstehen im Idealfall charaktervolle, herkunftstypische Crus der Sonderklasse. Grund genug, zu testen, was die Jungwinzerinnen und -winzer aus Deutschland und der Schweiz in die Flaschen zaubern können.

In einem grossen Test haben die Sommelière Madeleine Löhner, Direktorin des Hotels Alex Lake Zürich in Thalwil, sowie der Weinredaktor Peter Keller mit verdeckten Etiketten je 15 Weine aus den beiden Ländern verkostet. Eine neutrale Person hat die Flaschen geöffnet und die entsprechenden Serien nach dem Zufallsprinzip zusammengestellt.

Generelles Fazit: sehr hohes Niveau und ein enges Rennen an der Spitze. Nur wenige Weine fielen wegen zu viel Holz oder zu viel Süsse ab.

300-jährige Tradition

Gewonnen hat ein deutscher Wein, der geniale Spätburgunder Benediktusberg 2020 des Weinguts Rudolf May aus dem Anbaugebiet Franken. Rebbau wird in der Familie seit 300 Jahren betrieben. Das eigene Weingut, 16 Hektaren gross und seit acht Jahren biozertifiziert, gibt es erst seit 1998. Rudolf May und sein 31-jähriger Sohn Benedikt führen den Betrieb. Letzterer wird ihn 2027 in alleiniger Verantwortung übernehmen.

Pinot noir ist neben Silvaner und Chardonnay eine der wichtigsten Sorten im Hause May. «Wir besitzen einige Weingärten mit hochwertigen Burgunder-Klonen», erklärt Benedikt May. Die Reben sind zwischen 25 und 30 Jahre alt. Ziel sei es, möglichst feine, schlanke und elegante Crus mit grosser Länge und viel Alterungspotenzial zu produzieren. Dafür würden sie im Rebberg vorwiegend händisch und im Keller ohne Zusatzstoffe, abgesehen von wenig Schwefel, arbeiten, fügt May an. Der Benediktusberg erfüllt diese Vorlagen auf überzeugende Art und Weise.

Exzellenz aus Neuenburg

Ebenso exzellent ist der zweitplatzierte Pinot noir Les Landions 2020 der aufstrebenden Domaine des Landions aus Neuenburg. Der 34-jährige Önologe Morgan Meier ist daran, mit seinen Pinots noirs für viel Furore zu sorgen. Die Sorte nimmt 85 Prozent der Rebfläche von 25 Hektaren ein. Meier setzt ebenfalls vorwiegend auf ertragsschwache Burgunder-Klone. So sind es beim Landions lediglich 25 bis 30 Hektoliter pro Hektare. «Ich will Terroirweine in sehr hoher Qualität produzieren», so umschreibt Meier seine Ambitionen.

Die Entdeckung der Degustation ist Lisa Bunn aus Rheinhessen mit ihrem famosen Spätburgunder Fraugarten 2020. Die 36-jährige Winzerin hat das Gut mit ihrem Ehemann Bastian Strebel aufgebaut. Es befindet sich derzeit in Umstellung zum Ökoweinbetrieb. Ihre finessenreichen, mineralischen Gewächse sind durch lange Maischestandzeiten von 24 Stunden geprägt. Keine Überraschung ist dagegen der Wein mit dem besten Preis-Genuss-Verhältnis. Der hochwertige, biodynamische Pinot noir Auvernier 2021 der Neuenburger Domaine de la Maison Carrée ist preislich unschlagbar. Der 35-jährige Alexandre Perrochet steht seit diesem Jahr an der Spitze des Guts und will weder an der Preispolitik noch an der Weinstilistik etwas ändern. Gut so.

Die Rangliste der Degustation

Die Verkostung hat die hohe Qualität bestätigt, welche die Pinot-noir-Weine aus Deutschland und der Schweiz auszeichnet. Der nördliche Nachbar stellt den ersten Platz und die Entdeckung des Tests. Die Schweiz überzeugt vor allem mit zwei Crus, die beide aus dem Kanton Neuenburg kommen.

Sieger: Spätburgunder Benediktusberg Erste Lage 2020, Benedikt May, Weingut Rudolf May, Franken

Der herausragende Rebberg ist als Erste Lage klassifiziert. Hier ist Muschelkalk vorherrschend. Der im Barrique ausgebaute Wein (lediglich 25 Prozent Neuholz) zeichnet sich durch ein intensives Bouquet von roten und blauen Beeren sowie würzigen Noten aus. Weitere Merkmale: dicht im Gaumen, reichhaltig, frisch, fruchtsüss, extraktreich, aber immer elegant und samtig bleibend, lang anhaltend, ausgewogen, grosses Kino.

18,5/20 Punkte

Bester Schweizer Wein: Pinot noir Les Landions 2020, Morgan Meier, Domaine des Landions, Neuenburg

Das ist ein burgundisch geprägter, edler Wein, der zu 100 Prozent in neuen Barriques ausgebaut wird. Das Holz ist perfekt in diesem sehr gelungenen Cru integriert. Er zeigt ein sortentypisches Rubinrot und eine komplexe Nase mit Noten von roten Beeren sowie würzig-mineralischen Anklängen. Mittelschwerer Körper, reife Gerbstoffe, präsente Säure, viel Finessen, Tiefe und Länge.

18,25/20 Punkte

Entdeckung der Degustation: Spätburgunder Fraugarten 2020, Lisa Bunn, Weingut Lisa Bunn, Rheinhessen

Das deutsche Weingut ist hierzulande wenig bekannt und besitzt nicht einmal einen Importeur. Das wird sich wohl schnell ändern, wenn man die grossartige Qualität dieses Spätburgunders als Massstab nimmt. Er braucht etwas Luft, enthüllt aber nachher einen wunderbaren, aromatisch vielfältigen Duft. Der überaus frische Wein, gereift im Holzfass, hat von nichts zu viel, ist eher schlank, aber dicht, elegant, tiefgründig, mineralisch und endet mit einem langen Nachhall.

18/20 Punkte

Preis-Genuss-Gewinner: Pinot noir Auvernier 2021, Alexandre Perrochet, Domaine de la Maison Carrée, Neuenburg

Das Schweizer Weingut ist bekannt für eine hohe Qualität zu fairen Preisen. Das trifft auch auf den Pinot noir Auvernier zu, der dank seinem guten Reifepotenzial zur Sammlung des Mémoire des Vins Suisses gehört. Der Ausbau erfolgt vorwiegend im grossen Holzfass und zu kleinen Teilen im Barrique. Seine Eigenschaften: intensives Rubinrot, fruchtig-florales würziges Bouquet, mittelschwer, frisch, elegant, gute Spannung, schöne Länge.

18/20 Punkte

Alle degustierten Weine

  • Pinot noir Marthinsthaler Wildsau 2019, Weingut Diefenhardt, Deutschland, 17/20, 26 Franken; vinothek-hauser.ch
  • Malterdinger Spätburgunder Alte Reben 2020, Weingut Huber, Deutschland, 17/20, 33 Franken; rieslingco.ch
  • Pinot noir Selzner Gottesgarten 2022, Weingut Julia Schittler, Deutschland, 17/20, 34 Franken; weinwerft.ch
  • Pinot noir Stadtberg 2020, Weingut Pircher, Schweiz, 17/20, 36 Franken; weingut-pircher.ch
  • Pinot noir Barrique 2022, Weingut Adank, Schweiz, 17/20, 39 Franken; adank-weine.ch
  • Pinot noir non égrappé Cuvée Elisa 2022, Porret Vins, Schweiz, 16,5/20, 29 Franken; porretvins.ch
  • Pinot noir Réserve 2022, Weingut Anne-Claire Schott, Schweiz, 16,5/20, 29 Franken; schottweine.ch
  • Spätburgunder Kalmit 2020, Weingut Katrin Wind, Deutschland, 16,5/20, etwa 50 Franken; vinterra.ch
  • Spätburgunder Sonnenberg GG 2021, Weingut Jülg, Deutschland, 16,5/20, 49 Franken 50; gerstl.ch
  • Spätburgunder Ötlinger Sonnhohle 2020, Weingut Schlipf Schneider, Deutschland, 16,5/20, 55 Franken; smithandsmith.ch
  • Pinot noir Réserve 2022, Weingut Lindetröpfli, Schweiz, 16/20, 17 Franken; lindetroepfli.ch
  • Pinot noir Calvaire 2023, Weingut Gilles Besse, Schweiz, 16/20, 19 Franken 50; besse.ch
  • Pinot noir Reserve 2022, Weingut Fabio Schmid, Schweiz, 16/20, 25 Franken; weingut-schmid.ch
  • Pinot noir Spissen 2022, Weinbau Ottiger, Schweiz, 16/20, 30 Franken; weinbauottiger.ch
  • Churer Blauburgunder John-Baptista 2021, Weinbau von Tscharner, Schweiz, 16/20, 35 Franken; reichenau.ch
  • Spätburgunder Assmannshauser Höllenberg 2020, Weingut Carolin Weiler, Deutschland, 16/20, 39 Franken; vinothek-hauser.ch
  • Pinot noir Barrique 2022, Manuel Tesch, Weingut Rosenberg, Schweiz, 16/20, 49 Franken; gerstl.ch
  • Spätburgunder Kastanienbusch Köppel 2020, Weingut Franz Wehrheim, Deutschland, 16/20, 49 Euro; weingut-wehrheim.de
  • Alsheim Spätburgunder 2020, Weingut Juliane Eller, Deutschland, 15/20, 29 Franken; vinothek-hauser.ch
  • Pinot noir Barrique 2022, Weingut Frauenkopf, Schweiz, 15/20, 30 Franken; frauenkopf.ch

Dieser Artikel ist im Rahmen der «NZZaS»-Verlags-Beilage «Wein & Genuss» erschienen.

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