Samstag, Februar 22

Einige Gastronomen haben die Showeinlage am Tisch zum erfolgreichen Businessmodell entwickelt. Sie dürfte gern häufiger auf dem Menu stehen, findet Food-Kolumnistr Richard Kägi.

Es ist kein Artilleriegeschütz, das vor unseren Tisch geschoben wird, obwohl es durchaus eine respektable Feuerkraft entwickeln kann. Die Apparatur kommt sogar in doppelter Ausführung daher, aufgebaut auf einem schmalen, langen Guéridon – so nennt man die Servier- oder Beistelltische in noblen Restaurants. Das Paar am Tisch neben uns hat ebenfalls das Flambée-Menu geordert, darum eilt jetzt nicht nur der Chef de Service geflissentlich hinter die silbernen Brenner, auch sein Assistent kommt dazu, auf einem grossen Tablett balanciert er die Zutaten für den ersten Gang, den die beiden gleich vor uns synchron für beide Tische zubereiten werden.

In der Villa d’Este am Comersee, in deren Wintergarten-Restaurant wir gespannt und hungrig auf die Feuershow des Maître warten, wird zweimal die Woche ein viergängiges Menu aufgetischt – besser, angezündet –, bei dem die Hauptzutaten jedes Gangs vor dem Gast flambiert werden. Eine schöne Tradition in der Gästebetreuung und -unterhaltung. Und da meine ich keineswegs bloss das Aromatisieren von Saucen mittels Abbrennens von Alkohol (was nur kundigen Mitarbeitern geraten ist). Nein, da sind ja manche weitere Schritte in der Abfolge der Zubereitung eines Gerichtes möglich, die – genauso perfekt vor den Augen des Gastes vollzogen wie in der Küche – nicht nur der Unterhaltung der Gäste dienen, sondern auch deren kulinarischen Horizont erweitern.

Ein bisschen Show muss sein

Natürlich eignen sich dafür Gerichte, mit denen kurz vor dem Servieren Sehenswertes angestellt wird und die dann nach dem finalen Handgriff geradewegs serviert werden. Klassiker sind Tatar jeglicher Art, Ceviche, das Tranchieren von Geflügel oder ganze Fische, gebraten oder in einer Salzkruste gebacken. Kürzlich wurde in Kapstadt sogar eine Guacamole vor unseren Augen von Grund auf zusammengerührt, während wir noch an unseren Cocktails nuckelten. Dem leisen Verdacht, dass viele Köche gewisse Zubereitungsschritte gar nicht mehr lernen, weil sich immer mehr Fertigprodukte in den Küchen breitmachen, möchte ich gar nicht zu viel Raum geben. Auch wenn ich schon erlebt habe, dass gestandene Berufsleute eine à la meunière gebratene Seezunge mehr zerstückelten, als sie sauber zu filetieren.

Die Beispiele, in denen findige Restaurateure den Voyeurismus ihrer Gäste mittels eines Spektakels am Tisch sogar zum erfolgreichen Geschäftsmodell entwickelt haben, sind zahlreich. In der Provinz – da fällt mir das «Rössli» in Winterthur ein, wo der hessische Koch Ueli Hack, heute Chef im Bistro Max, seine immense Körperfülle einst nur aus der Küche schob, um seine Wiener Schnitzel, gross wie Elefanten­ohren, vor dem Gast zu braten. Genauso in den obersten Kulinarik-Sphären.

Im legendären «La Pyramide Vienne» nahe Lyon perfektionierte Fernand Point, der als einer der Väter der Nouvelle Cuisine gilt, in den 1930er Jahren sein mit Trüffeln und Gänseleber vollgestopftes Bresse-Huhn, gegart in einer Schweinsblase. Es wird heute noch aus dem Ofen an den Tisch getragen, dort vor dem Gast aus der Blase herausgeschnitten und fachgerecht zerlegt. Wobei die blasse, schlabbrige Haut des Huhns wohl nicht jedermanns Sache ist. Aber hier geht es mehr um die inneren Werte.

Die Ente aus der Presse

Das unbestritten legendärste Gericht, das seine Berühmtheit der Zubereitung vor dem Gast verdankt, wird im Pariser Lokal La Tour d’Argent serviert. Beziehungsweise gepresst. Die Ente aus der Presse. Ununterbrochen, seit 1890. Der damalige Besitzer Frédéric Delair nummerierte die bestellten Vögel von Beginn weg, 1930 waren es bereits 100 000, und in den nuller Jahren wurde der millionste Vogel aufgetischt. Meiner war dann vor etlichen Jahren schon einiges darüber. Jeder, der die Ente ordert, erhält ein Zertifikat mit der Nummer des verspeisten Vogels. Das Tier wird in zwei Gängen gereicht. Nach einem ersten Garprozess im Ofen wird die Ente vor dem Gast tranchiert, die perfekt rosa gebratene Brust aufgeschnitten und aus der blutigen Karkasse mit leisem Knacken ihrer Knochen der Saft herausgepresst.

Mithilfe einer massiv silbernen Schraubpresse, exklusiv hergestellt von der französischen Silbermanufaktur Christofle. Danach kocht der Canardier genannte Maître Entenfond auf, gibt Madeira und Cognac dazu und bindet die Sauce mit dem Blut aus der Knochenpresse. Alles vor dem Gast. Als zweiten Gang nach der Entenbrust wird die knusprige Haut mit den noch länger gebratenen Keulen serviert, zusammen mit Entenleber und einer Blutwurst, hergestellt ebenfalls aus Entenblut.

Angesichts solcher visuellen und geschmacklichen Wucht und des damit verbundenen Erfolgs (das «La Tour d’Argent» ist immer auf Monate ausgebucht) wundere ich mich immer wieder über die fehlende Kreativität vieler Köche, was Action am Tisch betrifft. Umso mehr, als es hip geworden ist, dass Köche – aus zumeist offen einsehbaren Küchen – den Schritt Richtung Gast wagen und Serviceleute ersetzen.

Trotzdem: Andächtig um das Gericht auf dem Teller gekippter Jus ist dann doch das höchste der handwerklichen Gefühle. Mein Freund Christian Kuchler, der sein Zwei-Sterne-Können auch in TV-Kochshows zum Besten gibt, hat kürzlich vor der Kamera ein köstliches Rinds-Tatar zubereitet. Und dabei kaum hörbar gemurmelt, dass solches früher oft am Tisch zubereitet wurde, zur Freude aller. Nun, lieber Christian, bei meinem nächsten Besuch in deiner Beiz möchte ich genau das, und zwar von dir. Bitte mit nicht zu knapp Kaviar gedeckelt!

Richard Kägi ist Autor und Foodscout, schreibt Kochbücher und Kolumnen. Flambieren, Tatar zubereiten und Geflügel und Meerestiere tranchieren hat er von der Pike auf gelernt. Seine Rezepte veröffentlicht er auf homemade.ch und richardkaegi.ch. Instagram @richifoodscout.

Exit mobile version