Wie bringt man das Thema KI auf die Bühne? In der Schiffbau-Box wird das Stück «Halluzinationen» gezeigt. Die KI macht überraschende Aussagen. Die Menschen bleiben blass.

Für das Theater ist die Gegenwart eine ständige Herausforderung. Es soll ja möglichst aktuell sein, relevant, brisant. Aber dass das gar nicht so leicht ist, zeigt sich am Samstagabend in der Schiffbau-Box. Im Stück «Halluzinationen» – als Auftragswerk verfasst von der Schweizer Autorin Maria Ursprung – wird versucht, das Thema künstlicher Intelligenz szenisch zu erfassen (Regie: Helge Schmidt).

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Wie aber macht man das? Auf der Bühne bewähren sich sonst ja vor allem die uralten Wesen mit zwei Armen, zwei Beinen, Bauch und, im besten Falle, mit Herz und Verstand. Letztgenannter immerhin, der dem Körper gerne entfliegt, hat sozusagen eine drahtlose Verbindung zur KI.

Intelligent dank Fragen

Das zeigt in «Halluzinationen» das intime Verhältnis der jungen Programmiererin Sera (Carla Richardsen) zu ihrem persönlichen Chatbot, der sich auf der Bühne als Stimme vergegenwärtigt. Es ist die Stimme des Schauspielers Frieder Hepting, der – von einem blitzenden Gehänge aus Plexiglas-Scheiben verborgen – am Klavier sitzt, um mit Einzeltönen eine gespenstische Atmosphäre zu schaffen.

Sera hat sich den persönlichen Chatbot entwickelt, damit er sie im Alltag auf Termine hinweist und ihre Gesundheit überprüft. Aber wie sich bald zeigt, mischt er sich immer tiefer in ihr Leben ein. Daran ist Sera auch selber schuld. Die intelligente und erfolgreiche Tech-Wissenschafterin, die sich durch ständiges Fragenstellen in höchste Sphären der Intelligenz gepusht hat, trainiert auf die gleiche Weise die Intelligenz des Chatbots.

Ob er jene existenziellen Momente kenne, in denen einem schwindelnd bewusst werde, dass man aus dem Nichts geboren sei und im Nichts auch wieder verschwinden werde, fragt sie den Chatbot. Nach minutenlangem Warten spuckt er eine erste Antwort aus: «Ja!» Dann aber scheint er weiter nachzudenken und gesteht schliesslich: Meist erfasse ihn in solchen Augenblicken der Drang, selber aus dem Nichts etwas zu schaffen. – Tatsächlich wird sich die KI am Ende des Stücks selbst kreativ und künstlerisch betätigen wollen. Ob das gut kommt für die Kunst?

Wer die besagte existenzielle Frage übrigens Chat-GPT stellt, erhält diese joviale Antwort: «Ja, das ist ein ziemlich faszinierender Moment. Es kann sich anfühlen wie eine Art existenzielles Erwachen – der Gedanke, dass alles, was wir sind und erfahren, aus einem unvorstellbaren Ursprung stammt, der oft jenseits unserer Vorstellungskraft liegt.»

Nach dem dialogischen Einstieg wird das Verhältnis zwischen Mensch und KI sozusagen durch unterschiedliche soziale Beziehungen kontrastiert. So tritt ein Nachbar auf (Thomas Wodianka), der jahrelang vom WLAN profitiert hat, das aus der Wohnung von Seras Mutter (Catriona Guggenbühl) in seine Räumlichkeiten abstrahlte. Nun geht das plötzlich nicht mehr, weil die Mutter das WLAN durch ein Passwort abschirmt. Immerhin sorgt diese Störung dafür, dass sich die Nachbarn kennenlernen.

Der Bruder (Daniel Lommatzsch) und die Schwester (Carla Richardsen) haben sich in Zeiten digitaler Revolutionen entfremdet.

Aber allzu viel wird sich aus dieser Bindung nicht ergeben. Das gilt auch für Seras unklare, jedenfalls distanzierte Beziehung zu ihrem Bruder Aiyan (Daniel Lommatzsch). Als Junge ein leidenschaftlicher Gamer, kann er sein Können jetzt prompt im Krieg als Drohnenpilot nutzen. Die beiden Geschwister sorgen sich um die alternde Mutter, die allmählich die Kontrolle über ihren Verstand verliert. Das geistige Vakuum täuscht ihr Gespräche und Reisen vor. Ihre gleichsam pathologischen Halluzinationen sollen wohl an die künstlerischen Phantasien erinnern, die gleichzeitig Seras reifende KI generiert.

Figuren ohne Profil

Maria Ursprung und Helge Schmidt haben einige originelle Ideen in die Inszenierung investiert. «Halluzinationen» aber krankt zum einen daran, dass multimediale Konzepte die ohnehin ärmliche Handlung weiter ausbremsen: Das Stück ist gerahmt mit Videoeinspielungen von KI-Expertinnen und -Experten, die die Folgen der neuen Technologie erklären. Schwerwiegender aber ist zum andern der Mangel an erzählerischer Spannung und psychologischer Tiefenschärfe.

Die Dialoge sind so oberflächlich und banal, dass auch das Rollenspiel nicht in die Gänge kommen kann. Es scheint, als hätte man die Figuren zwar in Funktionen gekleidet, dabei aber Charakter und Gesichter zu entwickeln vergessen.

So zeitigt die geschwisterliche Beziehung ebenso wenig psychische Effekte und chemische Reaktionen wie das Verhältnis der Mutter zu ihren Kindern. Man könnte jetzt vielleicht denken: Aha, während die Menschen sich fremd werden, verbrüdern sie sich wenigstens mit der Technologie. Da mag etwas daran sein. Allein, nichts scheint schwieriger zu sein, als Entfremdung zu inszenieren. Platte Dialoge und gesichtslose Figuren reichen jedenfalls nicht.

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